Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.09 vom 25.04.2001, Seite 12

Verstärkte Guerillaaktivitäten

Nepal

Das im allgemeinen eher aus Gründen der Bergsteigerei oder für Sucher buddhistischer Erleuchtung bekannte Königreich Nepal hat in der Vergangenheit erfolgreich eine Äquidistanz zwischen den beiden großen Nachbarländern Indien und China gewahrt. Die wachsende Stärke einer radikalen internen Opposition könnte jedoch zu einer zunehmenden Annäherung an Indien führen.

Anfang August 2000 hat die maoistische Kommunistische Partei Nepals (CPN-M) ihre Guerillaeinheiten offiziell zu einer "Volksbefreiungsarmee" hochgestuft. Die Gründung einer offiziellen revolutionären Armee wurde auf einer Pressekonferenz der Partei im Dschungel von Jureli Danda bei Khalanga im Jajarkot-Distrikt bekanntgegeben.
Der Krieg zwischen verschiedenen Regierungen und der maoistischen KP hat bislang über 2000 Menschenleben gefordert, rund 400 davon Polizisten, der Rest überwiegend Zivilisten. Dass die Gründung einer "Volksbefreiungsarmee" mehr war als eine inhaltslose Propagandageste deutete sich schon Anfang vergangenen Jahres an.
Der Londoner Economist schrieb am 26.2.2000 nachdem zuvor die Mehrheit der Abgeordneten der Regierungspartei den erst neun Monate zuvor gewählten Ministerpräsidenten Krishna Prassad Bhattarai zum Rücktritt aufgefordert und 11 Minister zurückgetreten waren: "Aber das Timing und die Art und Weise von Bhattarais Rücktritt könnte die Chancen für einen Frieden in einem Land beeinflussen, in dem eine Aufstandsbewegung niedriger Intensität droht, eine ernste Gefahr zu werden."
Die im Norden und Westen des Landes schwerpunktmäßig aktive Guerilla hatte gleichzeitig mit dieser Destablisierung der Regierung 15 Polizisten getötet und weitere 20 verwundet, offensichtlich ihre bis dahin militärisch erfolgreichste Operation seit Beginn des Kampfes im April 1995. Bemerkenswert ist, dass weder die militärische Großoffensive im Juni 1998 noch die Tatsache, dass bereits Ende 1994 die ebenfalls maoistische Kommunistische Partei Nepals (Vereinigte Marxisten-Leninisten) (CPN-UML) als stärkste Partei in die Regierung gewählt wurde und bei den Kommunalwahlen von 1997 sogar über 50% der Stimmen erhielt, die Entwicklung der Guerilla der CPN-M wesentlich aufhalten konnte.
In der Tat hat die Lal Sena, die "Rote Armee", Anfang April dieses Jahres ihre Operationen deutlich verstärkt. Nachdem sie zunächst am 2.April einen Polizeiposten überrannt und dabei 42 Polizisten getötet und 20 gefangen genommen hatte, stürmte sie am 7.April einen weiteren Polizeiposten tötete dabei 31 Polizisten.
Die maoistische Guerilla, die die Zahl ihrer Kämpfer innerhalb von fünf Jahren von einigen hundert auf 25000 erhöht haben soll, ist inzwischen in der Hälfte der 72 Distrikte des Königreichs aktiv. Während die bewaffnetenAktionen im Westen des Landes stattfinden, soll der Einfluss der Partei aber weit darüber hinaus reichen. In der Hauptstadt Katmandu soll inzwischen fast jedes Geschäft "Revolutionssteuern" an die CPN-M abführen.
Dazu mag beigetragen haben, dass die CPN-UML im März 1997 in eine Regierung unter Führung der rechten, monarchistischen Nationaldemokratischen Partei (RPP) teilgenommen hat. Diese Beteiligung der CPN-UML an verschiedenen staatlichen Institutionen hat offensichtlich auch das Wüten der "Ordnungskräfte" nicht verhindern können.
Die UNO und Amnesty International haben die diesbezügliche Bilanz des Landes kritisiert. Die Regierung selbst gab Anfang des Jahres zu, dass die Polizei bis November 1999 innerhalb eines Jahres 436 Menschen getötet habe. Nach Ansicht von Kritikern habe es sich in der Hälfte der Fälle um Morde gehandelt. Von den 5000, die in den vergangenen vier Jahren verhaftet wurden, sind viele "verschwunden" und andere gefoltert worden.
Der Menschenrechtsaktivist Gopal Siwakoti verglich die Situation mit dem Chile Pinochets. Vor allem aber hat sich die im vergangenen Jahr gewählte Regierung als völlig unfähig erwiesen, irgend etwas gegen die grassierende Korruption, Armut und die halbfeudalen Beziehungen auf dem Land zu unternehmen.
Der Erfolg des von der CPN-M augerufenen Generalstreiks am ersten Wochende im April deutet darauf hin, mehr noch aber die Landbesetzungen der jüngsten Zeit durch ehemalige Schuldknechte — rund 100000 bis zur Verbot der Schuldsklaverei im Juli 2000 —, die bei Großgrundbesitzern für einen Hungerlohn schuften mussten. Im Januar hatten zunächst 3000 Familien im Westen des Landes Staatsland besetzt, da die Regierung ihrer Zusage, den zwar aus der Schuldknechtschaft befreiten aber völlig mittellosen Familien Land zuzuweisen, nicht nachgekommen war.
Dass der wachsende Erfolg der maoistischen "Volkskrieger" zu einer verstärkten Oberhoheit Indiens über Nepal werden könnte, hat weniger mit der Haltung der heutigen Regierung in Peking zu tun, die von der CPN-M ohnehin völlig abgelehnt wird. Ausschlaggebend ist vielmehr die Tatsache, dass die CPN-M, die zur vom peruanischen Sendero Luminoso ("Leuchtender Pfad") gegründeten "Revolutionären Internationalistischen Bewegung" (RIM) gehört, mit bewaffneten maoistischen Organisationen in Indien zusammenarbeitet, vor allem mit der People‘s War Group in Andhar Pradesh und dem Maoist Coordination Centre in Bihar.
Indien behauptet im Übrigen, dass die Maoisten vom pakistanischen Geheimdienst Inter Services Intelligence (ISI) unterstützt würden. Die durch das letztjährige Treffen zwischen Nepals Ministerpräsident Girija Prasad Koirala und indischen Regierungsvertretern unterstrichenen Bemühungen Indiens, mit Nepal die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich zu intensivieren, werden von der VR China mit Argusaugen betrachtet. Peking hat entsprechende Angebote gemacht, Nepals wirtschaftliche Abhängigkeit von Indien zu mindern. Chinas Interesse ist nicht zuletzt darauf gerichtet, seine Kontrolle über Tibet zu festigen, dessen religiöser Herrscher, der Dalai Lama, sich in Indien im Exil befindet.

Anton Holberg

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