Sozialistische Zeitung |
Wir werden uns dafür einsetzen, dass sich so etwas Schreckliches nicht wiederholen kann!" Das ist der letzte Satz eines Briefes,
den die Klasse 6a der Maria-Montessori-Schule von Berlin Tempelhof am 9.März 1999 an Wolfgang Szepansky geschrieben hat. Und das ist das ganz Besondere an
der Autobiografie* des im "Dritten Reich" verfolgten Handwerkers: sie endet nicht mit der Gründung der "neuen" Bundesrepublik
Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und auch nicht in mit den 50er Jahren, in denen Kommunisten an westdeutschen Schulen schon wieder nicht erwünscht
waren.
Im letzten Kapitel schreibt der Autor über seine Arbeit als Zeitzeuge in Schulen. Und besonders
dadurch wird es zum aktuellen Lehrbuch für alle, die sich mit der faschistischen Vergangenheit beschäftigen und für alle, die sich mit den
neofaschistischen Tendenzen und Umtrieben im "wiedervereinigten Deutschland" auseinandersetzen, und auch für alle diejenigen, die den Wunsch nach
einer anderen, besseren Zukunft haben und dafür arbeiten wollen.
Oft fragen Lehrende, wie sie diesen Umtrieben begegnen könnten, was ein Pädagoge oder eine
Universitätsprofessorin gegen rechtsextremes Auftreten tun kann. Eine außerordentlich wichtige Methode ist sicher das nach wie vor verbreitete feige
Schweigen der deutschen Bürger im Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus zu brechen.
Szepansky berichtet in den Schulen und in seinem Buch nicht nur von den Opfern, er wendet sich vor allem
den Tätern zu und stellt die Frage, wie ganz gewöhnliche Deutsche, wie "normale" Menschen zu Massenmördern werden konnten, um sich
nach dem Krieg genauso schnell wieder in "normale" Menschen zurückzuverwandeln.
Die SchülerInnen, mit denen er spricht sie kommen hauptsächlich aus Gymnasien und
Gesamtschulen, aber auch aus Grundschulen, Universitäten und Volkshochschulen und mitunter sogar aus dem Kindergarten artikulieren nicht nur ihre
Unsicherheit im Umgang mit rechten Jugendlichen. Sie zeigen immer noch, dass sie über den Nationalsozialismus wie auch den aktuellen Rechtsextremismus viel zu
wenig wissen. Sie werden ganz offensichtlich von den Erwachsenen allein gelassen. Wolfgang Szepansky redet mit ihnen, und man kann mit ihm reden.
Mit Sieben im Agitproptheater
Seine Autobiografie ist zweifelsohne Teil seiner Aufklärungsarbeit. Er schildert darin nicht nur die Jahre 19331945 als "für mich die
tragischste Zeitgeschichte des 20.Jahrhunderts", sondern auch seine Kindheit im Berliner "roten" Wedding. Sie begann zunächst so hoffnungsfroh,
bis der Erste Weltkrieg "seine eiserne Ferse" in die glücklichen Tage setzte.
Während dieser Zeit der ersten Kindheit macht der kleine Wolfgang die ersten Erfahrungen, mit
Bezugspersonen, die ohne Wenn und Aber gegen die Kriegspolitik der Herrschenden und gegen die Kriegsbegeisterung der Massen Positionen bezogen. Es war ganz
offensichtlich seine Mutter, die es früh verstand, seine Abscheu gegen den Krieg zu wecken. Aber auch der Vater zeigte ganz deutlich sein Unverständnis und
seine Abneigung gegenüber Menschen, die gestern sangen: "Die Internationale wird die Welt befreien", und heute durch die Straßen riefen:
"Siegreich wollen wir Frankreich schlagen."
Szepansky beschreibt auch, wie ihm der Gegensatz zu dem, was er von den Lehrern, den Nachbarn und den
SPD-Genossen der Eltern hörte, bewusst wurde. Es waren jedoch die Eltern, die die Kinder in ihre subversive Arbeit einbezogen: "Revolution im
Pfefferkuchenheim", war sein erster Auftritt mit den Eltern, die ihn als Siebenjährigen in ihr Agitproptheater einbezogen.
Früh musste er auch erfahren, was es hieß, "anders auszusehen, als der
Durchschnitt". Seine Mitschüler verspotteten ihn, wo sie konnten wegen seiner langen blonden Locken, die ihm ein mädchenhaften Aussehen verliehen.
Er lernte, sich durchzusetzen. Er lernte aber auch, dass man Äußerlichkeiten nicht zum Maßstab der Bewertung anderer Menschen macht. Während
der Kriegsjahre war Schmalhans Küchenmeister und oft war der Hunger unerträglich. Kein Wunder, dass ihm die Freudentränen übers Gesicht
liefen, als der Vater 1918 aus der Zeitung vorlas, dass der Kaiser geflohen und der Krieg zu Ende sei.
Als Achtjähriger schrieb er sein erstes Gedicht: "Der Krieg ist aus, viele kehren als
Krüppel nach Haus die Mütter weinen". Mit dem Dichten war er in die Fußstapfen von Mutter und Vater getreten. Er begann, wichtige
Erlebnisse zu zeichnen, aufzuschreiben und in Verse zu fassen. Gedichte, Zeichnungen und Fotos sind es, die das Buch durch alle beschriebenen Lebensphasen begleiten
und es so zu einem richtigen Lesebuch machen.
Trotz dieser vielseitigen Fähigkeiten musste er sich durch die Schule quälen. Wäre da
nicht die kommunistische Kindergruppe, die jungen Naturfreunde und der Sportverein Fichte gewesen und die endlosen politischen Diskussionen, hätte es nicht viele
Höhepunkte in seinem jungen Leben gegeben.
Nach der Jugendweihe kam er zu seinem Vater in die Lehre, damit er wie dieser ein tüchtiger Maler
werde. Nach einer Wanderschaft widmete er sich neben seiner Arbeit wieder dem politischen Theater und der Arbeit in der Agitpropgruppe "Roter Hammer"
für die Kampffonds von KPD, Internationaler Arbeiterhilfe und Roter Hilfe. Kein Wunder, dass er und seine GenossInnen sehr schnell mit der Polizei in
Berührung kamen.
Als 1931 das Hakenkreuz warf bereits seine Schatten voraus die "Verordnung zur
Bekämpfung politischer Ausschreitungen" erlassen worden war, war es nicht nur für den "Roten Hammer" aus mit der Kunst, viele
hervorragende Kabarettisten und Arbeiterdichter wurden verboten. Szepanski begann nun die politische Arbeit im Jugendverband der KPD. Als Maler übernahm er das
Malen, und das sollte ihm nicht nur einmal zum Verhängnis werden.
Er bemalte mehrere Wände mit den Worten "Nieder mit den Brüningschen
Notverordnungen", bevor ihn Polizeibeamte zur Wache schleppten. Als ehrlicher und aufrichtiger Mann hat er seine Tat zugegeben und obendrein noch mit dem
Polizisten über den notwendigen Sozialismus diskutiert. Wenig später knallte die Tür des Polizeigefängnisses wegen "Verunreinigung der
Straße" ins Schloss. Zwar musste er nur drei Tage bleiben, aber seine Akte war nun mit dem Stempel "vorbestraft" versehen. Das sollte ihm lange
nachhängen. Mit dem Demonstrieren gegen das Verbot der KPD und gegen das herannahende braune Regime ließ er nicht locker.
Nieder mit Hitler
Nach der Machtübernahme beobachteten ein Polizeibeamter in Zivil und ein SA-Mann den Schmierfinken bei einer erneuten staatsfeindlichen Malarbeit und
nahmen ihn sowie zwei seiner Helfer fest. "Nieder mit Hitler! KPD lebt. Rot Front!" hatte er nunmehr an eine Wand gemalt. Jetzt erlebte er
Demütigungen, Schläge und Verhöre, aber er gab nichts zu und seine Genossen verriet er schon überhaupt nicht.
Es war ein Freund aus der Kinderzeit in der Zwischenzeit SA-Genosse, der ihn befreite. Nun war er
zum zweiten Mal vorbestraft. Mit der Widerstandsarbeit wollte er auf keinen Fall aufgeben, vor einem erneuten Verhandlungstermin wegen "Fortführung des
verbotenen Roten Frontkämpferbunds" emigrierte er nach Holland, wo er die politische Arbeit mit viel Aufregung, Hoffnung und Enttäuschung
weiterführte.
In seiner Autobiografie schildert er die politische Situation der Emigranten, der Widerständler und
der nicht geglückten Einheitsfront der Linken gegen den Faschismus anschaulich. Er zeigt aber auch auf, wie er sich mit den verschiedensten Gelegenheitsarbeiten nur
mühsam und nur mit der Hilfe solidarischer Mitmenschen über Wasser halten konnte.
Im Mai 1940, als die deutsche Wehrmacht in die Niederlande einfiel, geriet er wieder in die Fänge
der Gestapo. Nach einem Gefängnisaufenthalt in Holland wurde er zurück ins faschistische Deutschland, zur Steinwache in Dortmund, geschleppt, von da ins
Polizeigefängnis Berlin-Alexanderplatz, bis er nach einem erneuten Transport schließlich durch ein Tor gestoßen wurde, über das die Buchstaben
"Arbeit macht frei", gemalt waren.
Nun war er jeder Individualität beraubt, wurde in eine einheitliche Zebrakleidung gesteckt, mit der
Nummer 33527 und mit einem roten Winkel für "Politische" versehen. Er musste Kartoffeln schälen, wurde vor einen schmalrädrigen
Bauernwagen gespannt, wurde gezwungen auf einer Wiese Grasboden auszustechen und musste die Erniedrigungen von Vorarbeitern und Mithäftlingen ertragen. Er
hörte auch von Menschen, die in die hinterste Ecke des Hofes geführt wurden und von dort nie wieder zurückkehrten.
Schließlich hat die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen "Rassenschande" gegen ihn
eingeleitet, weil er in Amsterdam mit einer holländischen Jüdin zusammengelebt hatte. Nun kam er ins Untersuchungsgefängnis Moabit, dann ins
Strafgefängnis Tegel, wo er zwei Jahre bleiben sollte. Danach wurde er über das Gefängnis Berlin-Alexanderplatz wieder nach Sachsenhausen
zurückgebracht und erhielt die alte Häftlingsnummer.
Er zeichnete jede freie Minute und hielt sich so am Leben. In seinem Buch beschreibt er Erniedrigungen,
Korruption und menschenverachtende Demütigungen, Auspeitschung, Todesangst und Mord, aber auch die Solidarität mancher Häftlinge. Am 21. April
1945 wurde er mit den anderen Häftlingen auf den Todesmarsch geschickt. "Oft fielen Schüsse. Ich weiß nicht, wie viele getötet
wurden", schreibt er. Dann erfolgte in Schwerin die Befreiung durch britische Truppen.
Der Kampf geht weiter
Szepansky machte sich mit den anderen sofort an die politische Aufbauarbeit. "[W]ir wollten dazu beitragen, eine Welt des Friedens und der Freiheit zu
errichten. Wir wollten in diesem friedlichem Aufbau die ersten sein", schreibt er im sechsten Kapitel seines Buches: "Heimkehr Der Kampf geht
weiter". Und die Leserin wundert sich, woher er und seine Genossen die Kraft nehmen.
Wieder fertigte er Transparente an, dieses Mal in deutscher und russischer Sprache: "Dem Tode
entronnen", "Wir kommen aus dem KZ Sachsenhausen" und "Den Faschismus mit der Wurzel ausrotten". Mit den so geschmückten
Wagen fuhren sie in Berlin ein, das einer Trümmerberglandschaft glich. Sofort schloss er sich der "Antifa" an und gründete zusammen mit Karl
Veken und anderen eine antifaschistische Jugendorganisation, schrieb Berichte, Artikel eine öffentliche Wandzeitung und gab eine hektografierte Jugendzeitung
heraus.
Schließlich wurde er Lehrer und begann voller Begeisterung, die jungen Menschen für eine
neue Demokratie zu erziehen. Er hatte einen Beruf gefunden, der ihm zugleich Berufung war. Aber schon krochen "Reaktionäre aller Schattierungen aus ihren
Schlupfwinkeln und machten Russen und Kommunisten für die katastrophale wirtschaftliche Lage verantwortlich". In den Schulen wurden alte,
"bewährte Fachkräfte" wieder eingestellt, die schnell zum antikommunistischen Kampf übergingen.
Nach bestandener zweiter Lehrerprüfung (1949) wurde die Atmosphäre in der Schule immer
unerträglicher: Schulbücher "aus dem Osten" durften nicht mehr verwendet werden, Klassenfahrten dorthin wurden nicht mehr riskiert, nicht die
Atombombe wurde geächtet, sondern diejenigen, die gegen die Atombombe Unterschriften sammelten. Der Kalte Krieg war ein totaler Krieg. Schon wieder wurde der
Antifaschist gehetzt und bekämpft. Die Mutter eines Schülers hat ihn bespitzelt, als er an einer Dampferfahrt in die DDR teilgenommen hatte.
Die Einsicht in seine Personalakte ergab noch andere "Vergehen": Teilnahme am Pfingsttreffen
der FDJ 1950, Herr S. steht "im anderen Lager", will das Thema Luftbrücke nicht zeichnen lassen, und hat drei Vorstrafen wegen seiner
Malaktionen und wegen "Rassenschande". Nach einem Prozess, der mit einem "Vergleich" endete, wurde er aus dem Schuldienst entlassen.
Schulleiter und KollegInnen mit der braunen Vergangenheit hatten gesiegt, und er war erwerbslos. Schon wieder musste er erleben, wie Menschen am 1.Mai festgenommen
wurden, weil sie eine rote Nelke im Knopfloch trugen und schon wieder wurde die rote Fahne am selben Tag von seinem Balkon entfernt.
Als Wolfgang Szepansky seine Erlebnisse aufgeschrieben hat, konnte er nicht verstehen, dass es viele aus
seiner Generation gelassen hingenommen haben, dass wieder Bunker gebaut werden, die Bundesrepublik wieder aufrüstet und sich junge Menschen für das
mörderische Kriegshandwerk ausbilden lassen.
Im letzten Kapitel des Buches beschreibt er, wie er als Zeitzeuge 1979 in "seine" ehemalige
Schule zurückgekehrt ist. Bis heute wurde Wolfgang S. in viele Schulen eingeladen. Er erzählt Kindern und Jugendlichen, was er erlebt hat und spricht von
seinen toten Freunden, die ihr Leben einsetzten, um den Faschismus zu verhindern und den Frieden zu erhalten. Für ihn selbst gilt heute wie damals: "Es ist
besser, für eine gerechte Sache zu kämpfen, als sich für eine ungerechte Sache missbrauchen zu lassen. Der Krieg gegen andere Völker ist das
größte Unrecht. Es zu dulden heißt schuldig werden." Diese Überzeugung hat er für sich gewonnen und so kann er sie
glaubhaft weiter geben.
Wolfgang Szepansky würde den Weg, den er gegangen ist, auch heute wieder gehen. Das Buch ist
eine unbeschreibliche Beschreibung von Erlebnissen, die unglaublich wären, wenn Wolfgang Szepansky sie nicht niedergeschrieben hätte. Darin liegt sein
Verdienst. Es sollte von allen Eltern, Lehrern, Ausbildern, Erwachsenen und Jugendlichen gelesen und schon mit Kindern diskutiert werden.
Gisela Notz
*Wolfgang Szepansky, Dennoch ging ich diesen Weg, Berlin (Trafo) 2000, 278 Seiten, 34,80 Mark.
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