Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 10.05.2001, Seite 2

1.Mai in Berlin

Werthebach schießt Eigentor

Berlins Innensenator Werthebach wird dieser 1.Mai noch lange im Magen liegen. Erst hatte er, brav nach der anti-totalitären Devise: rechts gleich links, die Anmeldung der NPD-Demo zum Anlass genommen, nicht nur diese, sondern in deren Windschatten gleich auch noch die Revolutionäre 1.Mai- Demo zu verbieten.
Das Gericht machte ihm einen ersten Strich durch die Rechnung, indem es das Demoverbot auf der Linken zwar bestätigte, auf der Rechten aber aufhob. Damit brachte es zwar deutlich zum Ausdruck, wen Werthebach wirklich treffen wollte, aber so plump durfte es nicht gesagt werden, das verstand selbst der Senator.
Er war darüber unglücklich, aber es half nichts. Also gab er am 1.Mai das traditionelle Bild des deutschen Staatsbeamten, der die NPD in Hohenschönhausen eskortieren, die Linken in Kreuzberg hingegen verprügeln ließ — und dokumentierte damit eindringlich, dass der Aufruf der Bundesregierung zur Zivilcourage gegen rechts eher aus der Art geschlagen, das CDU-Wort vom Stolz, ein Deutscher zu sein, doch die Normalität ist.
Berlin verbündete sich gegen Werthebach: Der DGB geißelte auf seiner Kundgebung das Verbot der revolutionären Demo in schärfsten Worten, ganz ohne das gewohnte Ritual der Distanzierung von den "Chaoten"; im Vorfeld hatte das ganze liberale (wozu auch die Grünen zu zählen sind) und sozialdemokratische Berlin bis hin zur Gewerkschaft der Polizei gegen Werthebach Stellung bezogen.
Die PDS-Abgeordnete Angela Marquardt (ihre Partei war nicht mit von der Partie) meldete zusammen mit den Jusos und den Grünen eine "Demonstration gegen das Demonstrationsverbot" an, das der Autonomen Antifa die Möglichkeit bot, legal zu demonstrieren, wenn auch zu einem früheren Zeitpunkt als sonst. Von 13 Uhr an war Kreuzberg voll von Menschen, obwohl der Senator sie aufgefordert hatte, "im eigenen Interesse" zu Hause zu bleiben. 20000 Menschen besuchten das nahegelegene Kiezfest auf dem Mariannenplatz — und als die Polizei es schließlich stürmte, stellte sich wieder jener Effekt der Solidarität ein, an dem sich Berliner Politiker schon oft die Zähne ausgebissen haben: die Menschen blieben ruhig, hingen aus den Fenstern, strömten auf die Straßen, und wenn ein Vermummter Schutz suchte, gingen die Haustüren auf.
Werthebach prahlt, es habe 616 Festnahme gegeben — ein Drittel mehr als im vergangenen Jahr. Neun davon verblieben in U-Haft — das ist keine stolze Bilanz. Dafür haben seine Beamten alles getan, seine Behauptung Lügen zu strafen, es sei ihm nur darum gegangen, "die Gewalttäter zu isolieren".
Peter Grottian, Berliner Politikwissenschaftler und Mitglied der "Arbeitsgemeinschaft gegen Polizeigewalt", zu der auch das Komitee für Grundrechte und Demokratie gehört, hat das anders beobachtet: "Die Menschen standen auf dem Heinrichplatz friedlich beisammen. Dann machte die Polizei die Ankündigung, dass der Platz sofort zu räumen sei." Daraufhin habe die Polizei die Menschen regelrecht vor sich hergetrieben und zwar genau auf den Mariannenplatz zu. Ein anderer hat sogar gehört, die Polizei habe sie aufgefordert, dorthin zu gehen. Das dementiert diese zwar, die Sache hat dennoch ein Nachspiel — nicht nur im Senat, auch im Bundestag.
Bevorzugt hat die Polizei auf Prominente eingedroschen: Der Politikprofessor Wolf-Dieter Narr, ebenfalls als Demobeobachter unterwegs, wurde zu Boden geworfen und in eine Wanne gezerrt; PDS-Abgeordnete aus Bezirken und Abgeordnetenhaus stundenlang an Fenstergitter gefesselt — ohne Rechtsmittelbelehrung, ohne die Möglichkeit, Anwalt oder Bekannte zu benachrichtigen. Die Berliner Polizei zeigte sich ganz von ihrer brutalen Seite.
Werthebach kennt seine Leute. Es muss ihm also unterstellt werden, dass er an diesem 1.Mai mehr im Sinn hatte, als was er im Vorfeld verkündete: "die gewohnten gewalttätigen Ausschreitungen zu verhindern". Dass sie nicht zu verhindern waren, wusste er — dennoch sorgte diese Ankündigung dafür, dass die Niederlage nun auf seiner Seite ist. Unverdrossen bleibt er dabei, es gebe zum Verbot auch im nächsten Jahr "keine Alternative". Das kann einer nur sagen, wenn er im Schilde führt, nicht nur "die Gewalttäter", sondern auch den "sympathisierenden Sumpf" auszuheben — sprich: auch friedliche Demonstrationen und Feste in Kreuzberg zu verbieten. Werthebach will Berlin zu einer weitgehend demonstrationsfreien Zone machen. Aber das ist illusorisch.

Angela Klein

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