Sozialistische Zeitung |
Hast du den Einkaufszettel, Schatz ? Und die Liste der Produkte, die zu boykottieren sind?" Mit diesem fiktiven Dialog zwischen
Eheleuten lässt die Satirezeitung Le Canard enchaŚne vorausahnen, wie die Situation des "kritischen Konsumenten" in Bälde aussehen
könnte. Denn während sich in den letzten vier Wochen in Frankreich eine intensive Boykottkampagne gegen Konzerne entfaltet hat, die durch eine besonders
brutale Politik von Massenentlassungen von sich reden machen, wurden in den vergangenen Tagen bereits die nächsten Stellenabbaupläne öffentlich.
Ende März machten zwei Konzerne mit massiven Entlassungsplänen auf sich aufmerksam.
Einer davon war der englische Bekleidungskonzern Marcs & Spencer, der andere der Nahrungsmittelkonzern Danone, der die Schließung zweier Werke
ankündigte, im nordfranzösischen Calais und in Ris-Orangis in der Pariser Banlieue. Insgesamt sollten 1816 Stellen in sechs europäischen Werken
verschwinden, davon ein Drittel an den betroffenen französischen Danone-Standorten.
Dabei geht es dem agroindustriellen Multikonzern Danone wirtschaftlich blendend. 17%
Dividendensteigerung gab es für die Aktionäre im vorangegangenen Geschäftsjahr. Denn einerseits hatte die Danone-Aktie an den Börsen im
Laufe des Jahres 2000 um 37% an Wert gewonnen, so dass der Verkauf von Anteilen an Neuaktionäre eausgesprochen lukrativ war. Zum Anderen war aber auch das
materielle Produktionsgeschäft im zurückliegenden Jahr von Gewinnsteigerungen begleitet, und hatte im Jahr 2000 einen Reingewinn von 4,7 Milliarden Francs
(rund 715 Millionen Euro) eingebracht, bei rund 85 Milliarden Francs (13 Milliarden Euro) Umsatz.
Dabei wies allerdings die Keksbranche LU mit einer Gewinnmarge von knapp 8% in 1999 und
2000 (was eine Steigerung von gut 1% gegenüber 1996 und 1997 darstellt) eine geringere Spanne an Reingewinn auf als die beiden anderen großen
Aktivitätspole des Konzerns. Denn die Herstellung von Getränken, vor allem Mineralwasser, brachte in den letzten Jahren einen Reingewinn von gut 12%, und
bei den Milchprodukten (insbesondere Joghurtspeisen) beträgt die Gewinnspanne 11%. Unerträglich in den Augen mancher Aktionäre und Manager des
Unternehmes.
24 Stunden produzieren
Die französischen Produktionsstandorte von Danone wiesen Überkapazitäten auf, da sie nur zu gut 42% ausgelastet seien, rechnet die
Konzernspitze nunmehr vor. Doch diese Rechnung geht nur auf, wenn man wie das Unternehmen es offenkundig tut davon ausgeht, dass die Maschinen 24
Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr liefen. Lediglich 12 Stunden pro Woche für die Reinigung und eventuelle Reparatur der Maschinen sind in der Gleichung der
Konzernspitzen als Nichtproduktionszeit vorgesehen.
Tatsächlich war in der LU-Frabrik in Calais bereits die Arbeit im Drei-Schicht-Betrieb rund um die
Uhr, von Montag bis Samstag, eingeführt. Dabei kann keine der sonst für die Nacht- und Drei-Schicht-Arbeit angeführten Rechtfertigungen hier geltend
gemacht werden. Weder handelt es sich um ein dringendes soziales Bedürfnis, das wie im Falle von Krankenhäusern die Tätigkeit rund
um die Uhr nötig machen würde.
Noch hat man hier es mit teuren und schwerfälligen Maschinen zu tun, die rund um die Uhr laufen
müssten, da sie einmal erkaltet nur auf langwierige Weise wieder in Gang zu bringen wären. Im Gegensatz zu einem Stahlwerk kann man eine
Keksproduktion sehr leicht anhalten und wieder anlaufen lassen.
Und natürlich hat es, mit Calais und Ris-Orangis, nicht zufällig zwei Niederlassungen
getroffen, die sich in der Vergangenheit durch einen relativ hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad auszeichneten und einige soziale Errungenschaft erreicht hatten. Das
dortige Personal, das nunmehr im Durchschnitt 4045 Jahre alt ist, soll nunmehr in der Produktion durch ein jüngeres (und damit noch schlechter bezahltes)
Personal ausgetauscht werden, das an den verbleibenden Standorten eingestellt wird. Als wahrscheinlich gilt unterdessen auch, dass zumindest ein Teil der Keksherstellung
in absehbarer Zukunft nach Osteuropa ausgelagert werden, wo Lohnkosten und soziale Absicherung niedriger sind als in Frankreich.
Dort hat Danone bereits den polnischen Keksfabrikanten UB aufgekauft und plant eine Erweiterung der
dortigen Produktionskapazitäten, jedenfalls am Standort Plonsk und möglicherweise auch in weiteren Fabriken. Zugleich verfügt Danone auch in der
Tschechischen Republik über drei Produktionsstandorte.
Die französische Regierung und die ihr angehörenden Linksparteien waren unangenehm
berührt. Drohte doch der soziale Unmut vor allem der schlechter gestellten Schicht, der sich bei den Kommunalwahlen im März bereits Luft gemacht hatte
durch Wahlenthaltung, Einbrüche der KP und durch Gewinne der revolutionären Parteien LCR und LO durch die Danone-Pläne erneut
aufgerührt zu werden. Zumal Konzernchef Franck Riboud und sein Vater und Vorgänger, Antoine Riboud, bis dahin zu den so genannten "patrons de
gauche" gezählt wurden den "linken Bossen", die in den 80er Jahren den Präsidenten Mitterrand unterstützten und um die
Wahrung eines sozialen Image ihres Unternehmens bemüht waren. Dies, obwohl Danone bereits zwischen 1996 und 1999 insgesamt 5000 Stellen abgebaut hatte.
Aus diesem Anlass gab die Jospin-Mannschaft die Parole des Ni ni (Weder noch) aus
das Leitrezept lautete : "Weder zuschauen noch verbieten." Prompt ließ Premierminister Jospin die Arbeits- und Sozialministerin Elisabeth
Guigou einen "Plan" ausarbeiten, der nach Ansicht fast aller Beobachter aber ausgesprochen schwach ausfiel.
Die Ankündigungen führten nicht dazu, den verbreiteten sozialen Unmut wirklich zu
beruhigen. Dieser wurde in den folgenden Tagen durch die sich ausbreitende Bewegung für den Boykott der Danone-Produkte aufgefangen. Diese ging zunächst
vom LU-Standort Calais aus, dessen KP-Bürgermeister Jacky Hénin sich die Forderung des Gewerkschaftsdachverbandes CGT bei den betroffenen
Beschäfigten ("Danone entlässt, entlassen wir Danone aus unserem Einkaufswagen!") zu eigen machte und die Boykottforderung lancierte.
Rasch schlossen sich eine Reihe zumeist links regierter Städte und Gemeinden an wie etwa die KP-
Rathäuser von Saint-Denis und Montreuil bei Paris oder das Bezirksparlaments desselben Départements, die Danone-Produkte aus ihren Kantinen verbannten.
Aber auch die von Gaullisten regierte Pariser Trabantenstadt Savigny-sur-Orge Nachbarkommune des von Schließung betroffenen Werks in Ris-Orangis
war mit von der Partie.
Widerspruch kam hingegen zum Teil aus den Gewerkschaften in den nicht von der Schließung
betroffenen Werken, die davor warnten, "der Ast, auf dem wir sitzen", werde abgesägt. So lancierten die "gemäßigten"
Gewerkschaften CFDT und FO im Werk im südwestfranzösischen Chamapgnac eine Petition in diesem Sinne. In Besan‡on, wo das Werk ebenfalls von der
Schließung verschont blieb, verfocht die FO die Ansicht, wonach jetzt eher der Kauf von Danone-Produkten denn ihr Boykott angesagt sei, um den
Beschäftigten zu helfen. Auf nationaler Ebene wurde eine solche Position vom Arbeitgeberverband MEDEF, den Wirtschaftsliberalen und dem sozialliberalen
"modernen" Gewerkschaftsbund CFDT vertreten.
Mehr soziale Konflikte
Im sozial progressiven Lager weist die Boykottforderung somit derzeit überwiegend Freunde auf, auch wenn ihre Begrenztheit natürlich ebenfalls auf
der Hand liegt : Wollte der Verbraucher auf diesem Wege alle verurteilungswürdigen kapitalistischen Praktiken abstrafen, würde er sich wohl zunehmend selbst
aller Konsummöglichkeit berauben zumal der Markt ihm zumeist gar nicht die Informationen über die Hintergründe der Produktion zur
Verfügung stellt. Dennoch ist eine solche Boykottbewegung, symbolisch gegen einen Konzern gerichtet, eine mögliche öffentlichkeitswirksame
Aktionsform. Wenn auch die Auswirkungen auf den Umsatz von Danone sehr begrenzt sind, so ist doch dessen Bemühung um ein "soziales"
Konzernimage nachhaltig ruiniert.
Unterdessen rührt sich auch auf den Straßen Protest. Nach der Demonstration, die die
französische KP am LU-Standort Calais organisierte , ist nunmehr für den 9.Juni in Paris eine Großdemonstration aller von Entlassungsplänen
Betroffenen, oder gegen diese Protestierenden angesetzt. Der Aufruf ging aus einer Vollversammlung der Beschäftigten-Vertreter und des UnterstützerInnen-
Spektrums im Pariser Gewerkschaftshaus am 3. Mai hervor, die mit 300 Teilnehmenden ein voller Erfolg war. Um die gleiche Zeit lancierte die LCR (Ligue Communiste
Révolutionnaire, französische Sektion der IV.Internationale) ihre Petition, die einen Schutz des Gesetzgebers gegen "Entlassungen in Unternehmen, die
Profite einfahren" fordert. Diese wurde mittlerweile von 40 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unterzeichnet (darunter KP-Chef Robert Hue und
der Fraktionsvorsitzende der KP im Pariser Parlament, Alain Bocquet, Vertreter der Arbeitslosenorganisationen APEIS und CGT-Erwerbslosenkomitee und auch
Repräsentanten des linken Flügels der Sozialistischen Partei). Rund 50 Aktivisten der Organisation bewarfen ferner am 1.Mai die Fassade des MEDEF-Sitzes
der MEDEF ist der französische zentrale Arbeitgeberverband mit 100 Kilogramm Yoghurt, und strichen sie so neu in weiß. Die
spektakuläre Aktion zog erneut eine starke Aufmerksamkeit in den Medien auf die Danone-Entlassungspläne.
Anlass zu Protesten haben die Konzerne unterdessen erneut selbst geliefert : Am letzten April-Wochenende
wurde bekannt, dass der Küchenelektronik-Hersteller Moulinex in nächster Zukunft einen weiteren "Sozialplan" auflegen wird, dem 4000
Arbeitsplätze darunter 1500 in Frankreich zum Opfer fallen sollen. Die Küchengeräte sollen dann fürderhin aus Mexiko und
China kommen.
Auf die Frage hin : "Denken Sie, dass es in den kommenden zwei oder drei Monaten viele oder
wenige soziale Konflikte geben wird ?", die für das konservative Figaro-Magazine einmal pro Monat gestellt wird, antworteten übrigens in der letzten
Aprilwoche 77% mit "viele" und nur 16% mit "wenige". Damit war der Anteil jener, die mit zahlreichen sozialen Konflikten rechnen, binnen eines
Monats parallel zur Diskussion um die Massenentlassungspläne sprunghaft angestiegen. Ende März hatten die jeweiligen Anteile noch bei
64% (in Erwartung "vieler Konflikte") und 27% andererseits (als Vertreter der Gegenmeinung) gelegen.
Bernhard Schmid
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