Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 10.05.2001, Seite 5

Jogurth für den Unternehmerverband

Frankreich

Hast du den Einkaufszettel, Schatz ? Und die Liste der Produkte, die zu boykottieren sind?" Mit diesem fiktiven Dialog zwischen Eheleuten lässt die Satirezeitung Le Canard enchaŚne vorausahnen, wie die Situation des "kritischen Konsumenten" in Bälde aussehen könnte. Denn während sich in den letzten vier Wochen in Frankreich eine intensive Boykottkampagne gegen Konzerne entfaltet hat, die durch eine besonders brutale Politik von Massenentlassungen von sich reden machen, wurden in den vergangenen Tagen bereits die nächsten Stellenabbaupläne öffentlich.
Ende März machten zwei Konzerne mit massiven Entlassungsplänen auf sich aufmerksam. Einer davon war der englische Bekleidungskonzern Marcs & Spencer, der andere der Nahrungsmittelkonzern Danone, der die Schließung zweier Werke ankündigte, im nordfranzösischen Calais und in Ris-Orangis in der Pariser Banlieue. Insgesamt sollten 1816 Stellen in sechs europäischen Werken verschwinden, davon ein Drittel an den betroffenen französischen Danone-Standorten.
Dabei geht es dem agroindustriellen Multikonzern Danone wirtschaftlich blendend. 17% Dividendensteigerung gab es für die Aktionäre im vorangegangenen Geschäftsjahr. Denn einerseits hatte die Danone-Aktie an den Börsen im Laufe des Jahres 2000 um 37% an Wert gewonnen, so dass der Verkauf von Anteilen an Neuaktionäre eausgesprochen lukrativ war. Zum Anderen war aber auch das materielle Produktionsgeschäft im zurückliegenden Jahr von Gewinnsteigerungen begleitet, und hatte im Jahr 2000 einen Reingewinn von 4,7 Milliarden Francs (rund 715 Millionen Euro) eingebracht, bei rund 85 Milliarden Francs (13 Milliarden Euro) Umsatz.
Dabei wies allerdings die Keksbranche LU — mit einer Gewinnmarge von knapp 8% in 1999 und 2000 (was eine Steigerung von gut 1% gegenüber 1996 und 1997 darstellt) — eine geringere Spanne an Reingewinn auf als die beiden anderen großen Aktivitätspole des Konzerns. Denn die Herstellung von Getränken, vor allem Mineralwasser, brachte in den letzten Jahren einen Reingewinn von gut 12%, und bei den Milchprodukten (insbesondere Joghurtspeisen) beträgt die Gewinnspanne 11%. Unerträglich in den Augen mancher Aktionäre und Manager des Unternehmes.

24 Stunden produzieren

Die französischen Produktionsstandorte von Danone wiesen Überkapazitäten auf, da sie nur zu gut 42% ausgelastet seien, rechnet die Konzernspitze nunmehr vor. Doch diese Rechnung geht nur auf, wenn man — wie das Unternehmen es offenkundig tut — davon ausgeht, dass die Maschinen 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr liefen. Lediglich 12 Stunden pro Woche für die Reinigung und eventuelle Reparatur der Maschinen sind in der Gleichung der Konzernspitzen als Nichtproduktionszeit vorgesehen.
Tatsächlich war in der LU-Frabrik in Calais bereits die Arbeit im Drei-Schicht-Betrieb rund um die Uhr, von Montag bis Samstag, eingeführt. Dabei kann keine der sonst für die Nacht- und Drei-Schicht-Arbeit angeführten Rechtfertigungen hier geltend gemacht werden. Weder handelt es sich um ein dringendes soziales Bedürfnis, das — wie im Falle von Krankenhäusern — die Tätigkeit rund um die Uhr nötig machen würde.
Noch hat man hier es mit teuren und schwerfälligen Maschinen zu tun, die rund um die Uhr laufen müssten, da sie — einmal erkaltet — nur auf langwierige Weise wieder in Gang zu bringen wären. Im Gegensatz zu einem Stahlwerk kann man eine Keksproduktion sehr leicht anhalten und wieder anlaufen lassen.
Und natürlich hat es, mit Calais und Ris-Orangis, nicht zufällig zwei Niederlassungen getroffen, die sich in der Vergangenheit durch einen relativ hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad auszeichneten und einige soziale Errungenschaft erreicht hatten. Das dortige Personal, das nunmehr im Durchschnitt 40—45 Jahre alt ist, soll nunmehr in der Produktion durch ein jüngeres (und damit noch schlechter bezahltes) Personal ausgetauscht werden, das an den verbleibenden Standorten eingestellt wird. Als wahrscheinlich gilt unterdessen auch, dass zumindest ein Teil der Keksherstellung in absehbarer Zukunft nach Osteuropa ausgelagert werden, wo Lohnkosten und soziale Absicherung niedriger sind als in Frankreich.
Dort hat Danone bereits den polnischen Keksfabrikanten UB aufgekauft und plant eine Erweiterung der dortigen Produktionskapazitäten, jedenfalls am Standort Plonsk und möglicherweise auch in weiteren Fabriken. Zugleich verfügt Danone auch in der Tschechischen Republik über drei Produktionsstandorte.
Die französische Regierung und die ihr angehörenden Linksparteien waren unangenehm berührt. Drohte doch der soziale Unmut vor allem der schlechter gestellten Schicht, der sich bei den Kommunalwahlen im März bereits Luft gemacht hatte — durch Wahlenthaltung, Einbrüche der KP und durch Gewinne der revolutionären Parteien LCR und LO — durch die Danone-Pläne erneut aufgerührt zu werden. Zumal Konzernchef Franck Riboud und sein Vater und Vorgänger, Antoine Riboud, bis dahin zu den so genannten "patrons de gauche" gezählt wurden — den "linken Bossen", die in den 80er Jahren den Präsidenten Mitterrand unterstützten und um die Wahrung eines sozialen Image ihres Unternehmens bemüht waren. Dies, obwohl Danone bereits zwischen 1996 und 1999 insgesamt 5000 Stellen abgebaut hatte.
Aus diesem Anlass gab die Jospin-Mannschaft die Parole des Ni — ni (Weder — noch) aus — das Leitrezept lautete : "Weder zuschauen noch verbieten." Prompt ließ Premierminister Jospin die Arbeits- und Sozialministerin Elisabeth Guigou einen "Plan" ausarbeiten, der nach Ansicht fast aller Beobachter aber ausgesprochen schwach ausfiel.
Die Ankündigungen führten nicht dazu, den verbreiteten sozialen Unmut wirklich zu beruhigen. Dieser wurde in den folgenden Tagen durch die sich ausbreitende Bewegung für den Boykott der Danone-Produkte aufgefangen. Diese ging zunächst vom LU-Standort Calais aus, dessen KP-Bürgermeister Jacky Hénin sich die Forderung des Gewerkschaftsdachverbandes CGT bei den betroffenen Beschäfigten ("Danone entlässt, entlassen wir Danone aus unserem Einkaufswagen!") zu eigen machte und die Boykottforderung lancierte.
Rasch schlossen sich eine Reihe zumeist links regierter Städte und Gemeinden an wie etwa die KP- Rathäuser von Saint-Denis und Montreuil bei Paris oder das Bezirksparlaments desselben Départements, die Danone-Produkte aus ihren Kantinen verbannten. Aber auch die von Gaullisten regierte Pariser Trabantenstadt Savigny-sur-Orge — Nachbarkommune des von Schließung betroffenen Werks in Ris-Orangis — war mit von der Partie.
Widerspruch kam hingegen zum Teil aus den Gewerkschaften in den nicht von der Schließung betroffenen Werken, die davor warnten, "der Ast, auf dem wir sitzen", werde abgesägt. So lancierten die "gemäßigten" Gewerkschaften CFDT und FO im Werk im südwestfranzösischen Chamapgnac eine Petition in diesem Sinne. In Besan‡on, wo das Werk ebenfalls von der Schließung verschont blieb, verfocht die FO die Ansicht, wonach jetzt eher der Kauf von Danone-Produkten denn ihr Boykott angesagt sei, um den Beschäftigten zu helfen. Auf nationaler Ebene wurde eine solche Position vom Arbeitgeberverband MEDEF, den Wirtschaftsliberalen und dem sozialliberalen "modernen" Gewerkschaftsbund CFDT vertreten.

Mehr soziale Konflikte

Im sozial progressiven Lager weist die Boykottforderung somit derzeit überwiegend Freunde auf, auch wenn ihre Begrenztheit natürlich ebenfalls auf der Hand liegt : Wollte der Verbraucher auf diesem Wege alle verurteilungswürdigen kapitalistischen Praktiken abstrafen, würde er sich wohl zunehmend selbst aller Konsummöglichkeit berauben — zumal der Markt ihm zumeist gar nicht die Informationen über die Hintergründe der Produktion zur Verfügung stellt. Dennoch ist eine solche Boykottbewegung, symbolisch gegen einen Konzern gerichtet, eine mögliche öffentlichkeitswirksame Aktionsform. Wenn auch die Auswirkungen auf den Umsatz von Danone sehr begrenzt sind, so ist doch dessen Bemühung um ein "soziales" Konzernimage nachhaltig ruiniert.
Unterdessen rührt sich auch auf den Straßen Protest. Nach der Demonstration, die die französische KP am LU-Standort Calais organisierte , ist nunmehr für den 9.Juni in Paris eine Großdemonstration aller von Entlassungsplänen Betroffenen, oder gegen diese Protestierenden angesetzt. Der Aufruf ging aus einer Vollversammlung der Beschäftigten-Vertreter und des UnterstützerInnen- Spektrums im Pariser Gewerkschaftshaus am 3. Mai hervor, die mit 300 Teilnehmenden ein voller Erfolg war. Um die gleiche Zeit lancierte die LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire, französische Sektion der IV.Internationale) ihre Petition, die einen Schutz des Gesetzgebers gegen "Entlassungen in Unternehmen, die Profite einfahren" fordert. Diese wurde mittlerweile von 40 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unterzeichnet (darunter KP-Chef Robert Hue und der Fraktionsvorsitzende der KP im Pariser Parlament, Alain Bocquet, Vertreter der Arbeitslosenorganisationen APEIS und CGT-Erwerbslosenkomitee und auch Repräsentanten des linken Flügels der Sozialistischen Partei). Rund 50 Aktivisten der Organisation bewarfen ferner am 1.Mai die Fassade des MEDEF-Sitzes — der MEDEF ist der französische zentrale Arbeitgeberverband — mit 100 Kilogramm Yoghurt, und strichen sie so neu in weiß. Die spektakuläre Aktion zog erneut eine starke Aufmerksamkeit in den Medien auf die Danone-Entlassungspläne.
Anlass zu Protesten haben die Konzerne unterdessen erneut selbst geliefert : Am letzten April-Wochenende wurde bekannt, dass der Küchenelektronik-Hersteller Moulinex in nächster Zukunft einen weiteren "Sozialplan" auflegen wird, dem 4000 Arbeitsplätze — darunter 1500 in Frankreich — zum Opfer fallen sollen. Die Küchengeräte sollen dann fürderhin aus Mexiko und China kommen.
Auf die Frage hin : "Denken Sie, dass es in den kommenden zwei oder drei Monaten viele oder wenige soziale Konflikte geben wird ?", die für das konservative Figaro-Magazine einmal pro Monat gestellt wird, antworteten übrigens in der letzten Aprilwoche 77% mit "viele" und nur 16% mit "wenige". Damit war der Anteil jener, die mit zahlreichen sozialen Konflikten rechnen, binnen eines Monats — parallel zur Diskussion um die Massenentlassungspläne — sprunghaft angestiegen. Ende März hatten die jeweiligen Anteile noch bei 64% (in Erwartung "vieler Konflikte") und 27% andererseits (als Vertreter der Gegenmeinung) gelegen.

Bernhard Schmid

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