Sozialistische Zeitung |
Der IG-BAU-Chef und SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Wiesehügel will im
Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung "dem ausbeuterischen Treiben der Menschenhändler" Einhalt gebieten. Sind die IG-BAU-Forderungen nach
Einschränkung der Niederlassung von mindestens zehn Jahren für Arbeitskräfte und Dienstleistungsunternehmen aus den Beitrittsländern das
geeignete Mittel?
Heute bestehen enorme Differenzen zwischen den Standards in Ost- und Westeuropa. Deshalb sind diese
Mittel bis zum Ablauf dieser Fristen, wenn sich die Verhältnisse weiter angeglichen haben werden, durchaus geeignet. Erst bei Annäherung des Lohn- und
Sozialniveaus wird der Anreiz sinken, sich diese Differenzen zu Nutze zu machen.
Schon heute gibt es Dienstleistungsunternehmer, die mittels Werkverträgen Lohndumping betreiben.
Praktisch muss man sich das so vorstellen, dass die Arbeitskräfte rotierend eingesetzt werden. Die Arbeitskräfte sind immer nur einige Monate hier, erhalten ein
nach ihren Preismaßstäben die Differenz des Lohnniveaus beträgt ca. 1:10 zunächst einmal attraktiven Lohn zugesichert, der aber
in Deutschland nicht dauerhaft zum Leben reichen würde. Nach einigen Monaten registrieren die Arbeiter, dass dies für deutsche Verhältnisse ein viel zu
niedriger Lohn ist. Sie werden dann häufig von den Unternehmern ausgetauscht. Das ist das Problem.
Mit den Fristen soll gleichzeitig Zeit gewonnen werden, die heute schon sehr chaotischen Strukturen auf
dem Bauarbeitsmarkt und den anderen betroffenen Branchen wieder so zu regulieren, dass die Arbeit von allen Firmen, egal ob sie aus Deutschland kommen oder dem
Ausland, sich unter zumutbaren, menschenwürdigen Bedingungen vollzieht. Die Forderung nach Fristen steht zudem nicht allein: Bei öffentlichen
Ausschreibungen soll außerdem die Auftragsvergabe daran geknüpft werden, dass auch die entsprechenden Regeln eingehalten werden.
Im Zeitalter der Privatisierung öffentlicher Aufgaben könnte dieser Ansatz schon mittelfristig ins Leere laufen. Müsste diese die
Auftraggeber adressierende Forderung nicht auch auf den privaten Bereich ausgedehnt werden?
Es geht uns ja gerade um die private Durchführung öffentlicher Aufträge. Wenn
öffentliche Aufträge an Private vergeben werden, muss dafür gesorgt werden, dass allgemein verbindliche Gesetze und Tarifverträge von den
Firmen eingehalten werden, die diese Aufträge annehmen. Das ist zunächst einmal eine doppelte Verantwortung der öffentlichen Hand: sie erlässt
diese Vorschriften und muss sich natürlich daran messen lassen, dass sie auch Beachtung finden.
Welche Chance gibt es, einen solch umfassendes Vergabegesetz durchzusetzen?
Wir haben auf mehreren Ebenen mit Problemen zu kämpfen. Bei der EU gibt es die
Vergaberichtlinien, die schon heute ab einer bestimmten Größenordnung das Ausschreibeverfahren verbindlich bis hinunter zu den nationalen und kommunalen
Ebenen vorschreiben. Im Moment wird über eine Neufassung dieser Richtlinien diskutiert. Die neoliberalen Kräfte wollen als einziges Auswahlkriterium nur
noch den billigsten Preis ohne Rücksicht auf die jeweilige Arbeitsmarktsituation und die sozialen Bedingungen, unter denen die Beschäftigten arbeiten
müssen zulassen.
Wir als Gewerkschaft vertreten die gegenteilige Auffassung, die soziale und Arbeitsmarktkriterien
berücksichtigt. Innerhalb der EU gibt es deswegen einen Kampf zwischen den eher linken und den neoliberalen Kräften. Anfang Juli wird im Europaparlament
eine Vorentscheidung über die konkrete Ausformulierung dieser Richtlinie fallen.
Auch auf nationaler Ebene ringen wir gerade um ein Vergabegesetz. Dabei verlaufen die Fronten quer zu
den Parteien: Bayern hat einen Vergabegesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, NRW auf unser Drängen hin nun auch, die beide unseren Vorstellungen
nahekommen. Es gibt andere Länder, die sind vollständig dagegen. Auch das Bundeswirtschaftsministerium spielt dabei keine vorwärtstreibende Rolle,
dort wird eher die alte, neoliberale Linie verfolgt: je billiger, desto besser. Das Ministerium vertritt die Position, dass soziale Kriterien bei der Auftragsvergabe keine Rolle
spielen dürfen. Aber auch das ist dort noch nicht endgültig entschieden.
Wir haben in Gesprächen mit dem Bundeskanzler den Eindruck gewonnen, dass die Regierung sich
allmählich den Vorstellungen der IG BAU anschließt. Als Verbündete haben wir ausserdem ver.di und die Bahngewerkschaft Transnet. Auch den
anderen Gewerkschaften dürfte es entgegen kommen, wenn die Daseinsvorsorge unter öffentlicher Kontrolle bleibt und in die Auftragsvergabe an Private nicht
automatisch Dumpingeffekte bei den Löhnen eingebaut werden.
Bis ein Vergabegesetz tatsächlich umgesetzt wird, wird also noch viel Zeit vergehen. De facto wird derweil die Bevölkerung der neuen
Mitgliedsstaaten zu EU-Bürgern zweiter Klasse gemacht. Ist das nicht ein falsches Signal an die neuen EU-Bürger?
Wir haben nur eine sektorale Begrenzung der Freizügigkeit für individuelle Zuwanderer
gefordert. Unter Bauarbeitern gibt es z.B. eine sehr hohe Arbeitslosigkeit. Wir versprechen uns nichts davon, wenn Zuwanderer in eine Branche strömen, die
momentan ohnehin schon von hoher Arbeitslosigkeit geprägt ist. Das wird allenfalls zu vermeidbaren Spannungen und Lohndumping führen. Beides sollten wir
auch im Interesse der Menschen aus den Beitrittsländern verhindern.
Im Zentrum unserer Kritik stehen aber die Dienstleistungsunternehmen und Entsendefirmen, die auf dem
Bau tätig sind. Das sind oft Firmen, die ihre Arbeitskräfte um erhebliche Bestandteile des Lohns betrügen, z.B. durch unbezahlte Stunden und
ungerechtfertigte Kosten für die Unterbringung.
Die Justiz in den Beitrittsländern verfolgt diese Verstöße der Dienstleistungsfirmen
gegen die jetzt schon bestehenden bilateralen Abkommen nicht. Wir haben also kein Zutrauen, dass diese Firmen in ihren Heimatländern unter Kontrolle gebracht
werden. Dafür muss sich dort noch einiges ändern: in der Arbeitsgerichtsbarkeit, Justiz- und Polizeiwesen. Solange das nicht passiert ist, werden die Firmen, die
unseriös arbeiten, einen vollkommen ungerechtfertigten Konkurrenzvorteil haben und immer wieder ahnungslose Menschen anwerben.
Das Problem hat schon heute eine brennende Aktualität: polnische Entsendearbeiter an der ICE-
Trasse KölnFrankfurt hatten wir in die IG BAU aufgenommen, um die ihnen zustehenden Ansprüche nach Mindestlohngesetz und allen gültigen
Abkommen durchzusetzen. Am nächsten Tag wurden sie vom Unternehmer nach Polen zurückgeschafft.
Der Aufenthaltsstatus dieser Arbeiter ist in der Regel an den Arbeitsvertrag gebunden. Sie unterliegen also
völlig der Verfügungsgewalt des Unternehmers. Nach unseren Erkenntnissen gibt es in den Beitrittsländern keine Bereitschaft, den Beschäftigten
die ihnen zustehenden Ansprüche auch sicherzustellen. Das kann man aber auch psychologisch erklären: der deutsche Mindestlohn am Bau entspricht dem, was
ein sehr hoher Regierungsbeamter in den Beitrittsländern verdient.
Deshalb ist die Akzeptanz in den Beitrittsländern von subjektiv als derart hoch eingeschätzten
Löhnen gering. Daneben spielen natürlich auch Strukturen der Organisierten Kriminalität eine große Rolle. Diese Firmen sind oft keine Baufirmen,
die regulär in den Ländern selbst arbeiten. Sie sind zumeist reine Personalvermittler und Leiharbeitsunternehmen. Sie nutzen die gelockerten Visa-
Bestimmungen und illegale Einwanderung, um immer wieder für Nachschub an billigen Arbeitskräften zu sorgen.
Stehen die Türen der IG BAU auch Arbeitsmigranten ohne Aufenthaltsgenehmigung offen?
Wir sind definitiv gegen illegale Beschäftigung. Im Zweifelsfall würden wir natürlich
versuchen, einen illegal Beschäfigten, der sich an uns wendet, weil er um seinen Lohn betrogen worden ist, zu vertreten. Die IG BAU will alle Beschäftigten in
ihrem Sektor organisieren, gleich welcher Nationaliät. Aber wir haben Probleme damit, wenn sich jemand selbst für sechs bis acht Mark anbietet, obwohl der
gesetzliche Mindestlohn für diese Branche höher ist. Und dieser Mindestlohn, der bei ca. zwei Dritteln des tariflichen Facharbeiterlohns im Westen liegt, ist
schon eine Folge von entsandten Bauarbeitern aus den Ländern der alten EU.
Die IG BAU ist bisher allerdings auf keine Entsendefirma gestossen, die den gesetzlichen Mindestlohn real
einhält. Wir wären bereit gewesen, Firmen gemeinsam mit Kollegen von den mittel- und osteuropäischen Gewerkschaften ein Zertifikat auszustellen,
wenn sie sich an den vorgeschriebenen Mindestlohn und andere Arbeitsrechtsbestimmungen hielten. Doch wir haben keine Firma gefunden, die einhält, wozu sie
rechtlich verpflichtet ist. Während die Dienstleistungsunternehmer bis zu 35 Mark pro Stunde nehmen, erhalten die Beschäftigten lediglich zwei bis vier Mark.
Die Auftraggeber dieser Firmen, angefangen vom privaten Bauherrn bis hin zum Generalunternehmer mit
öffentlichen Aufträgen, sind natürlich auch Profiteure dieser Praxis. Normalerweise müssten sie mindestens fünfzig Mark pro Stunde und
Arbeitskraft bezahlen.
Wie ist das Verhältnis zu den Gewerkschaften in den Beitrittsländern?
Die Gewerkschaften, die dort stärker als in den alten EU-Ländern in staatliche
Entscheidungen eingebunden sind, lehnen die Übergangsvorschriften entweder explizit ab oder äußern sich nicht dazu. Sie sehen ihre Chancen zum Teil
in guten Bedingungen für Investoren und Dienstleistungsfirmen, nicht in einer Entwicklung des Binnenmarktes durch steigende Löhne und Kaufkraft. Das
führt bei einigen dann zum dem Fehlschluss, sich indirekt für niedrige Löhne einzusetzen. Oft haben sie es auch nicht geschafft, in privatisierten und
neugegründeten Firmen Fuß zu fassen, so dass sie kraftlos sind.
Positive Ausnahme sind die slowenischen Gewerkschaften, die von Anfang an Lohnsteigerungen
entsprechend der Produktivitätsentwicklung durchgesetzt haben. Es ist kein Zufall, dass die slowenische Wirtschaft heute am weitesten an die der Alt-EU-
Länder herangekommen ist, sondern Ergebnis dieser offensiven Lohnpolitik und der dadurch ausgelösten Binnenmarktentwicklung.
Trotz aller Meinungsunterschiede haben wir mit den polnischen Gewerkschaften einen Kooperationsvertrag
abgeschlossen, der enthält u.a. eine Anti-Streikbruch-Klausel. In diesem Monat soll in Warschau ein gemeinsames Informationsbüro eingerichtet werden, dass
die Entsendearbeiter über ihre Rechte informieren soll.
Angesichts dieser angespannten Lage und des Wirtschaftspessimismus für die meisten der Beitrittsländer: ist es nicht gefährlich, die
Arbeitskräfte in die Übergangsforderungen mit einzubeziehen, anstatt eine Offensive für die Gleichberechtigung der Arbeitsmigranten zu starten?
Wir haben das nun über Jahre versucht. Die Entsenderichtlinie ist im Wesentlichen auf das Betreiben
der IG BAU zustande gekommen. Bisher hat sie nicht wirklich gegriffen. Nach wie vor findet massives Dumping durch Menschenhändler statt. Wir können im
Moment angesichts der hohen Arbeitslosigkeit keine weiteren Kräfte gebrauchen, weil sonst der Druck auf die Beschäftigten in den Betrieben selbst immer
weiter wächst.
Diese neue Form der Wanderarbeit, wo der Mensch selbst gar nicht mehr entscheidet, wo und zu welchen
Konditionen er eingesetzt wird, ist im Grunde ein Export fremder Lebens- und Arbeitsbedingungen. Die Lohnniveaus bestimmen sich normalerweise nach der
Ökonomie, in der sie gezahlt werden. Ein Arbeitsmigrant, der einen gesicherten Aufenthaltsstatus hat, kann bei Bedarf den Arbeitgeber wechseln. Diese neuen
Wanderarbeiter sind aber ihren Unternehmen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
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