Sozialistische Zeitung |
Im Vorfeld der Bundestagswahlen von 1994 schrieben Ute Abraham und ich einen Text zur Kritik des PDS-Programms mit dem Titel
"Klarheit statt Salonfähigkeit!" (siehe SoZ 26/93). Wir zitierten dort eine Passage, deren Inhalt im aktuellen Programmentwurf fehlt: "In der PDS
haben sowohl Menschen einen Platz, die der kapitalistischen Gesellschaft Widerstand entgegensetzen wollen und die gegebenen Verhältnisse fundamental ablehnen,
als auch jene, die ihren Widerstand damit verbinden, die gegebenen Verhältnisse positiv zu verändern und schrittweise zu überwinden."
Diesen Satz bemängelten wir damals: "Das Programm scheint für beide, für
,Revolutionäre und für ,Gradualisten-Reformisten, etwas im Sortiment führen zu wollen. Eine ernste, eines politischen Programms
würdige Aussage zum Weg der Veränderung darf aber mit solchen Formeln nicht umgangen werden." Vielleicht wäre es klarsichtiger gewesen zu
sagen, er sei Moses und die Propheten.
Mit dem Programmentwurf vom 27.April 2001 nämlich richtet sich das Sortiment nur noch nach dem
Geschmack der "Gradualisten-Reformisten", und somit wäre bei Annahme dieses Programms die Mitgliedschaft von Menschen mit revolutionärem
Selbstverständnis in der PDS nicht mehr offiziell gedeckt.
Die innerparteiliche Kritik von links am Programmentwurf entzündete sich bislang am heftigsten an
folgendem meistzitierten Satz: "Unternehmertum und betriebswirtschaftliches Gewinninteresse sind wichtige Bedingungen von Innovation und Effizienz."
Das gilt nicht nur für die organisierten oder sich gerade formierenden linken Strömungen in der
PDS, sondern z.B. auch für die SprecherInnen der AG Betrieb & Gewerkschaft und den gewerkschaftspolitischen Sprecher des Parteivorstandes Harald Werner,
die den Programmentwurf deshalb einen "Bärendienst zum 1.Mai" nannten und in einer Erklärung (vom 29.4.2001) u.a. ausführten:
"Die im Programmentwurf vollzogene Trennung von guten und schlechten Profiten ist angesichts der
wirtschaftlichen Verflechtungen eine völlig absurde Kapitalismusvorstellung. Noch bedrückender finden wir, dass das Programm keinen Satz darüber
verliert, dass die eigentliche Quelle von Innovation und Effizienz, aber insbesondere des Gewinns, die Lohnarbeit und der ihr abgepresste Mehrwert ist. Die
Programmautoren kennen keine Lohnarbeit mehr, sondern nur noch Erwerbsarbeit. Sie drücken sich trotz aller wortmächtigen Kapitalismuskritik um den
konkreten Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital herum und verstecken ihn hinter philosophischen Abstraktionen."
Fazit: Hier handele es sich um einen "weichgespülten Antikapitalismus" (gut gesagt: ein
Antikapitalismus, der niemanden kratzt!).
Der inkriminierte Satz ist freilich klüglich eingebettet in kapitalismuskritische Betrachtungen:
"Die heutige gesamtgesellschaftliche Dominanz von Profit ist jedoch mit unserer Vorstellung von Gerechtigkeit und mit der durch das Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland gebotenen Sozialpflichtigkeit des Eigentums unvereinbar. Weil wir das persönliche Eigentum von Menschen als eine Grundlage freier Selbstbestimmung
verteidigen, lehnen wir die Vorherrschaft kapitalistischer Eigentumsverhältnisse ab, die Millionen von Menschen um dieses persönliche Eigentum
bringt."
Solche Aussagen, auch schärfere Verurteilungen der schlimmen Folgen der Profitdominanz, finden
sich im Entwurf zur Genüge.
Die Autoren wollen das Streben nach Profit erhalten, sind aber nicht zufrieden mit dessen Dominanz. Statt
einer Blütenlese zu dieser Art Zweideutigkeit hier nur ein weiteres Beispiel:
"Ziel moderner Emanzipationsbewegungen ist Gerechtigkeit. Sie kämpfen für die
Schaffung gleicher sozialer Möglichkeiten des Zugangs aller zu den wichtigsten Gütern der Gesellschaft unabhängig von Klassenzugehörigkeit,
Geschlecht, Nation ."
Unabhängig von der Klassenzugehörigkeit! Dass die bestehende Gesellschaft in Klassen
geteilt ist mag demnach hingehen, solange dies für diejenigen, die nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft, ohne persönliche Folgen bleibt!
In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Autoren des Entwurfs "sozialistische
Realpolitik" als Anspruch auf ihre Fahnen geschrieben haben.
Einer von ihnen, Michael Brie, verteidigte (im Freitag vom 4.5.2001) den Programmentwurf mit den
Worten, dieser sei "mehr bei Marx als alle deutschen sozialdemokratischen und kommunistischen Parteiprogramme seit 1848".
Die im Zentrum des Entwurfs stehenden "Freiheitsgüter" insbesondere stünden in
dieser Tradition: "Freiheit braucht Güter, um mehr zu sein als ein bloß formales Recht." Es ist in der Tat nicht besonders überzeugend, den
Entwurf wegen seiner Ausführungen zu diesem Thema zu kritisieren.
Im Gegenteil am formulierten Ziel, die materiellen Voraussetzungen für die Freiheit aller zu
schaffen, sollte der Entwurf sogar gemessen werden: "Auf absehbare Zeit wird es vor allem darauf ankommen, die Verfügungsgewalt über
hochkonzentriertes Kapitaleigentum oder scheinbar anonyme Aktienfonds schrittweise einzuschränken ."
Das weniger konzentrierte Privateigentum aber schränkt die Freiheit vieler auch ein, und sogar der
Entwurf, der sich doch so sehr um das Bündnis mit "kleinen und mittleren Unternehmen" bemüht, konstatiert, dass diese unter der Peitsche der
Konkurrenz oft gezwungen sind, noch schlechtere Arbeitsbedingungen aufzuzwingen als die großen Konzerne.
Der Entwurf, der sich gegen das neoliberale Rollback ausspricht, stellt schrittweise Änderungen
vermittelt über ein neues "Reformbündnis" in Aussicht.
Es bringt wenig, dem eine nur rhetorische Systemopposition entgegenzustellen. Fruchtbarer wäre die
politische Diskussion, ob die strategische Grundidee des Entwurfs wirklich zur Eroberung der so genannten "Freiheitsgüter" taugt.
Wirkliche antikapitalistische Strukturreformen, durchgesetzt von breiten Massenbewegungen,
müssten die Logik der Kapitalverwertung als Herz der kapitalistischen Wirtschaftsordnung brechen, und eine andere Logik müsste an deren Stelle treten: die der
Produktion für den Bedarf. Genau diese Art von Bruch jedoch scheut der Entwurf wie der Teufel das Weihwasser.
Alle Missstände der bestehenden Gesellschaft und viele werden im Entwurf treffend
kritisert sollen mittels eines regulierten Marktes zurückgedrängt und letztlich beseitigt werden. Unter dem Vorwand, dass Verstaatlichung unter dem
Vorzeichen undemokratischer Verhältnisse und bürokratischer Bevormundung weder umfassende Emanzipation noch befriedigende Wirtschaftsentwicklung
brachte, wird die Vergesellschaftung der großen Produktionsmittel nicht gefordert auch auf dieser Ebene, wo Menschen ausgebeutet werden müssen,
um private Profite zu ermöglichen, bleiben die Marktgesetze also bestimmend. Doch Marktmechanismen setzen sich hinter dem Rücken der Beteiligten durch
wie Naturmächte wo bleibt da die Freiheit?
Noch weniger Bereitschaft zum Bruch mit dem Bestehenden zeigt der Entwurf im Bereich der
Institutionen: "Die individuellen politischen Grundrechte, freie Wahlen, die parlamentarische Demokratie, politischer Pluralismus, Gewaltenteilung und
Rechtsstaatlichkeit sind für uns unverzichtbare Errungenschaften emanzipatorischer Kämpfe."
Alles andere ist richtig und wichtig, aber warum soll das für die "parlamentarische
Demokratie" gelten? Warum blenden die Autoren bewusst alle praktischen und theoretischen Erfahrungen und Ansätze aus, die über diesen
bürgerlich-demokratischen Rahmen hinausweisen, so die Rätedemokratie, die aus der Selbstorganisation der abhängig Beschäftigten, der
Ausgebeuteten und Unterdrückten erwächst?
Nur aus einem Grund: Man will die bürgerliche "Salonfähigkeit" um jeden Preis
(und darum auch "gut ausgebildete und human motivierte Polizeikräfte", in Kreuzberg und anderswo).
Man will auch die" Stärkung der Vereinten Nationen", obwohl man deren reale
Verfasstheit (die die Interessen der reichsten und dominierenden kapitalistischen Industriestaaten widerspiegelt) zu Recht ablehnt und hält sich damit trotz
aller antimilitaristischen Bekenntnisse, trotz der Ablehnung der NATO (zumindest in ihrer heutigen Form.) und des "humanitär" bemäntelten
Interventionismus ein Hintertürchen offen für die eventuelle Unterstützung einer militärischen Aktion, wenn sie vom UNO-Sicherheitsrat gedeckt
ist.
Wie schon das Programm von 1993 fordert der Entwurf übrigens "offene Grenzen für
Menschen in Not" statt schlicht offene Grenzen. Wie schon 1993 frage ich, wer und nach welchen Maßstäben darüber befinden soll, "ob Not
vorliegt", um es so bürokratisch auszudrücken, wie die betreffende Behörde das tun wird . Wen will man da doch ein bisschen ausgrenzen und
kraft welchen Urteils maßt man sich das an?
Der Entwurf ist reich an kritikwürdigen Aussagen und, dies sei nicht verschwiegen, ebenso reich an
wohlformulierten und höchst anregenden Überlegungen. Ein kurzer Artikel kann ihm nicht gerecht werden.
Hart zur Sache geht es freilich, wenn die Autoren sich von philosophischen Höhen zu den
Niederungen der realen Politik herablassen:
"Seit 1990 haben wir dafür gewirkt, dass Sozialstaat und soziale Marktwirtschaft in der alten
Bundesrepublik nicht zerstört werden . Mit der Tolerierung einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt seit 1994 und der Bildung der SPD-
PDS-Regierung in Mecklenburg-Vorpommern 1998 hat die PDS demokratische Verlässlichkeit und Politikfähigkeit auch in Regierungsverantwortung
nachgewiesen."
Und: "Die PDS ringt um parlamentarische Stärke. Sie ist bereit und in der Lage, politische
Verantwortung in parlamentarischer Opposition ebenso wie in Regierungsbeteiligungen zu übernehmen, ohne dabei ihr sozialistisches Profil zur Disposition zu
stellen."
Tatsächlich? Eine ehrliche Bilanz der Übernahme von Regierungsverantwortung als
Juniorpartner der SPD auf Landesebene zeigt, dass die PDS in dieser Rolle immer wieder gegen die eigenen formulierten Ansprüche verstoßen musste, und auf
Bundesebene würde sich diese Tendenz noch enorm zuspitzen.
Der Anspruch, für sozialistische Politik zu stehen, verliert damit ebenso an Glaubwürdigkeit
wie sich die Fähigkeit zersetzt, gesellschaftlichen Radikalisierungen einen emanzipatorischen politischen Ausdruck zu verschaffen. Als loyale Sachwalterin des
bestehenden Systems kann keine Partei konsequent für die Besitzlosen und gegen die Kapitalinteressen handeln.
Manuel Kellner
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