Sozialistische Zeitung |
Mit der wachsenden Legititimationskrise der Weltwirtschaftsordnung gerät immer öfter die Frage nach Alternativen ins
Zentrum der Aufmerksamkeit. Eines der zur Zeit am meisten diskutierten alternativen Konzepte heißt "Global Governance". Die Autoren Ulrich Brand,
Achim Brunnengräber, Lutz Schrader, Christian Stock und Peter Wahl haben in ihrem Buch Global Governance Alternative zur neoliberalen Globalisierung?*
dieses Konzept auf seine Tauglichkeit geprüft.
Umstandslos gestehen die Autoren einen entscheidenden Verdienst zu: "Gobal Governance" ist
der Versuch, globalen Problemen internationale Lösungsansätze entgegenzuhalten und grenzt sich damit von primär nationalistischen und
protektionistischen Konzepten ab. Auch schärfe die Debatte den Blick dafür, "dass emanzipative Veränderungen nicht allein aus
Globalisierungskrisen erwachsen, sondern nur durch Kritik und gesellschaftlich bewußtes Handeln." Bei diesen notwendigen Voraussetzungen bleibt es jedoch.
Den Autoren fällt es schwer, weitere positive Aspekte der vorliegenden Konzepte auszumachen. Im Gegenteil ließen sich die Mehrzahl der verschiedenen
Governance-Varianten "als spezifische Form des Anschlusses an den Neoliberalismus nutzen".
Internationale Bekanntheit erlangte der Begriff erstmals mit der Commission on Global Governance (CGG),
die im Jahre 1990 auf Inititative des früheren sozialdemokratischen Bundeskanzlers Willy Brandt ins Leben gerufen wurde. Die CGG sollte nach dem Ende der
Blockkonfrontation Visionen zur Regierbarkeit der Welt erarbeiten. "Kein Staat kann Fortschritte machen und Unsicherheit und Not andernorts unbeachtet
lassen", so die unter dem Dach der UN-arbeitende Kommission, der u.a. auch Kurt Biedenkopf angehörte. Adressaten ihrer Empfehlungen sind die auf der
internationalen Ebene angesiedelten Institutionen inkl. der mächtigen G7-Staaten. In Deutschland griff vor allem Franz Nuscheler und sein Institut für
Entwicklung und Frieden (INEF) in Duisburg die Ergebnisse der CGG auf. Als "wichtigster ‚think-tank sozialdemokratisch orientierter Entwicklungs- und
Friedenspolitik", so die Autoren, konzentrierte sich INEF fortan auf eine "zukunftsgewandte Botschaft": Die nationale Politik habe an
Steuerungsfähigkeit verloren und solle diese über eine neue internationale Architektur der Global Governance zurückgewinnen.
Weltordnungspolitik
Die Architektur dieser "Weltordnungspolitik" bzw. "internationalen Strukturpolitik", wie "Global Governance" von SPD und
Grünen genannt wird, bietet wenig Ansatzpunkte für die Beteiligung ausgegrenzter Regionen und Bevölkerungsgruppen an Entscheidungen von globaler
Bedeutung. Machtverhältnisse sind kein Bestandteil der Governance-Analysen. Sie benennen nicht die Rolle der starken Staaten, die gemäß
einschlägiger Untersuchungen dazu neigen, internationale Zusammenarbeit und ihre Gremien hauptsächlich als Instrument ihrer eigenen Interessenpolitik zu
gebrauchen.
Institutionen, die diese Funktion nicht mehr erfüllen, landen deshalb mittelfristig in der
Bedeutungslosigkeit. Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien, der ohne das Mandat des UN-Sicherheitsrats geführt wurde, ist ein Beispiel für den
Autoritätsverlust und die schleichende Marginalisierung einer Institution, die vielen als Träger einer "nachkonfrontativen Weltordnung" gilt. Noch
deutlicher ist die Marginalisierung der Vereinten Nationen im Bereich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Die Abwertung des wirtschaftspolitischen UN-Forums
UNCTAD wird begleitet von einer weiteren Stärkung der vom Norden dominierten Wirtschaftsinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds, der
Weltbank und der Welthandelsorganisation.
Nicht nur den UN, auch den "zivilgesellschaftlichen Akteuren" im Allgemeinen und
Nichtregierungsorganisationen im Speziellen, die im übrigen seit 1948 bei den Vereinten Nationen einen offiziellen Beobachterstatus haben, messen die Konzepte der
Global Governance eine entscheidende Rolle zu. Ihre Funktion wird in der Entlastung staatlicher Politik gesehen, sie sollen wie die "Sozialpartner" auf
betrieblicher Ebene agieren. Neben Umwelt-, Friedens-, und Menschenrechtsgruppen zählt z.B. INEF deshalb auch Gewerkschaften und Unternehmerverbände
zu den NGOs. Diese neokorporativen Strukturen auf internationaler Ebene könnten "zur Abkopplung von demokratischen Legitimierungsprozessen auf
nationaler Ebene beitragen, ohne dass dafür Ersatz in Sicht wäre", befürchten die Autoren.
Die ersten Schritte dorthin sind schon gemacht, denn neben der UNO und der Weltbank will nun auch die
Welthandelsorganisation den NGOs ein Gremium schaffen. Das wird auch dazu führen, dass die NGOs beträchtliche Energie in Verfahrensfragen, z.B.
Koordination und Abstimmungen, stecken müssen. Durch den Zwang zu Kompromissen untereinander würden die politischen Positionen auf einen kleinsten
gemeinsamen Nenner abgeschleift oder gar neutralisiert, da auch die Unternehmerlobby als NGO in einem solchen Gremium vertreten wäre.
Vertrauensvolle Kooperation
"Auffallend" finden es die Autoren, dass Veröffentlichungen zur Global Governance "im Großen und Ganzen" die
bestehenden Institutionen der Weltwirtschaft und -politik positiv einschätzen. "Offensichtlich steht hier die Absicht dahinter, ein allseits anerkanntes Projekt zu
initiieren und alle potenziellen Akteure der Weltpolitik und -ökonomie zu vertrauensvoller Kooperation zu bewegen. Man hofft auf breitere Zustimmung, wenn auf
die Benennung von Konflikten und die Kritik an deren Verursachern verzichtet wird". Deshalb bleiben die Problembeschreibungen deskriptiv und was die historischen
Dimensionen der Ungleichheit angeht, sprechen die Autoren von einer "absichtsvollen Geschichtsvergessenheit".
Alle Governance-Konzepte unterstellen Politik und Ökonomie jeweils eine Eigenständigkeit,
die in der Realtität nicht vorzufinden ist. Dieser Logik entsprechend stehen Nationalstaaten und Ökonomie in einem Konkurrenzverhältnis um
Handlungsmacht, das im Zeitalter der Globalisierung bereits zu Gunsten der Ökonomie entschieden sei. Deswegen erscheinen auch die mächtigen
Nationalstaaten in diesen Konzepten als Opfer und nicht als Akteure politischer Konzepte, die auf deren Betreiben heute international umgesetzt werden.
Soziale Konflikte und antagonistische Interessen seien in den Konzepten zur Global Governance nicht
einfach vergessen worden, sondern "basieren auf der bewussten Abgrenzung von kritischen Gesellschaftstheorien … die als ideologischer Ballast früherer Zeiten
entsorgt" werden, konstatieren die Autoren. Auch die "demokratische Legitimation" der Governance-Konzepte werde von ihren Protagonisten kaum
reflektiert und die stattdessen vorgebrachte "Weltethik" aus dem westlichen Fundus der Ideeengeschichte sei kein Ersatz, sondern ein "weiterer
problematischer Aspekt der Argumentation".
Die Autoren gehen davon aus, das Governance-Konzepte "von der politischen Klasse zunehmend
aufgegriffen werden". Auch deshalb gehen sie im letzten Teil ihres Buches auf ihre eigenen "Ansätze emanzipatorischer Politik" ein. So lobenswert
ihre Vorschläge zu einem "erweiterten Demokratiebegriff" und zahlreiche Fragestellungen zu Einzelaspekten sind, bleiben sie doch hinter dem Niveau
internationaler Debatten und Praxis zurück und in der Formulierung ihrer Alternativen schwammig und widersprüchlich. So verlieren sie kein Wort zum
Unterschied innerhalb der internationalen Gewerkschaftsstrukturen: ihre Kritik an der Fixierung deutscher Gewerkschaften auf "produktive Kernbelegschaften"
trifft auf us-amerikanische mittlerweile nicht mehr zu und selbst in der Bundesrepublik gibt es vorsichtige Ansätze, auch die neuen Dienstleistungsbereiche zu
organisieren.
Geschichtsvergessenheit
Ob es ausreicht, mit "pointierter Kritik den neoliberalen Konsens zu unterlaufen und damit bereits auf der diskursiven Ebene die
Kräfteverhältnisse zu verschieben", sei dahingestellt. Völlig diffus wird es aber bei ihrer Forderung, "kapitalistische Eigentums- und
Verfügungsverhältnisse zu demokratisieren". Die Perspektive von "Enteignung" oder "Vergesellschaftung" taucht nirgends auf,
stattdessen greifen die Autoren selbst den zuvor kritisierten "neokorporatistischen" Ansatz auf und sprechen sich für den "Ausbau von Mitmacht,
d.h. von Partizipation an politischen Verhandlungen und herrschenden Institutionen" als "Bestandteil einer differenzierten Gegenmachtstrategie" aus.
Diese eklatante Unterschätzung der historisch erwiesenen Reproduktionsfähigkeit
kapitalistischer Verhältnisse findet ihre Entsprechung im Umgang mit der Geschichte. Im ganzen Buch findet sich kaum ein Wort zu den historischen Erfahrungen, die
im vergangenen Jahrhundert immerhin der Versuch einer globalen Alternative zum Kapitalismus gewesen sind. Lapidar wird die "vulgärmarxistische
KPDSU" ohne irgendeine Einlassung auf die Struktur und Geschichte der internationalen Organisierung der Arbeiterklasse in einem Satz abgehandelt. Die Absage der
Autoren an "traditionelle Vorstellungen von Revolution" ist angesichts ihrer Geschichtsblindheit nur konsequent. Sie sind hingegen der Ansicht,
"Gesellschaftsveränderung" sei nur als demokratischer Prozess in historischen Dimensionen denkbar, als radikaler Reformismus".
Ob diese weißen Flecken der politischen Heterogenität der Autoren, ihrer Unkenntnis oder
den Anforderungen des Finanziers, der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung, geschuldet sind, erschließt sich nicht aus der Lektüre des insgesamt
lesenswerten Buches. Die vermeintliche Alternative "Global Governance", so muss man schlussfolgern, hält nicht, was sie verspricht. Sie ist vielmehr die
internationale Analogie zum "Dritten Weg" einer "modernisierten" Sozialdemokratie à la Blair und Schröder auf nationaler Ebene, die
heute das Geschäft des Kapitals weitaus effektiver betreibt als ihre konservativen Vorgänger.
Gerhard Klas
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