Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.11 vom 23.05.2001, Seite 15

Nicht nur Hochschullehrer

Vor 50 Jahren ernannte die Hessische Landesregierung Wolfgang Abendroth zum ersten Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der Marburger Universität. Er sollte als "Gegengewicht" zu den in ihren Ämtern aus der Nazizeit verbliebenen Professoren wirksam werden. Immerhin hatte er in der Weimarer Republik der KPD-Opposition (KPO) angehört, die aus der KPD ausgeschlossen wurde… Aus der Haft, in der die Nazis ihn folterten, wurde er ins Strafbataillon 999 gesteckt. In Griechenland desertierte er und schloss sich der dortigen Widerstandsbewegung an. Nach dem Krieg trat er in der Sowjetischen Besatzungszone in die SPD ein, ging aber dann, nachdem er eine Erklärung hinterlassen hatte, dass er seine marxistischen Überzeugung keineswegs aufgebe, in den Westen.
In Marburg diskutierten ehemalige Abendroth-Schüler (unter denen allerdings einige wie der jetzige Bundesfinanzminister Hans Eichel oder auch der ehemalige FDP-Chef Wolfgang Gerhard fehlten) zusammen mit jetzt noch Lehrenden und Studierenden über "Bilanz und Perspektiven der Marburger Politikwissenschaft". Dass diese in einer Periode des Vormarschs neoliberaler Dogmen nicht eben blendend sind, wurde überdeutlich. Schmerzlich ist die Erinnerung an die Rolle, die Abendroth 1958 bei der Erarbeitung einer linken Perspektive zum Godesberger Programm der SPD spielte, in seinem Widerstand gegen Notstandsgesetze, die das Grundgesetz aushölten, oder gegen die Remilitarisierung. Obwohl einer seiner Schüler, Frank Deppe, "die Verbindung von wissenschaftlicher Arbeit und politischem Engagement als Marburger Besonderheit" hervorhob, ist das Engagement von Abendroth für die Sozialistische Politik (SoPo), die von 1954 bis 1966 eine wichtige Rolle spielte, nicht erwähnt worden.
Willy Boepple war es, der in einem Abriss über die Geschichte der SoPo* daran erinnerte, dass es "Trotzkisten" gelang, gemeinsam mit bekannten Linken eine Redaktion für ein unabhängiges Organ zu schaffen, die sich zusammensetzte aus Wolfgang Abendroth, Siegfried Braun, Willy Boepple, Erich Gerlach, Georg Jungclas, Theo Pirker, Peter von Oertzen.
"Gespräche mit prominenten linken Gewerkschaftern führten zu dem Ergebnis, dass einige von ihnen die SoPo (wenn auch in bescheidenem Maße) finanziell unterstützen oder Versammlungs- und Schulungsräume für Referate zur Verfügung stellten. Zu diesem Kreis gehörten in mehr oder weniger loser Verbindung Fritz Strothmann, Willy Bleicher, Jakob Moneta, Hans Wischnewski (alle IG Metall), der DGB-Vorsitzende von Bayern, Linsert, Harry Ristock (Berlin), Heinz Ruhnau (Hamburg) und andere."
Die erste Nummer des Blatts erschien am 15.September 1954 unter dem Namen Der Sozialist. Der Vertrieb erfolgte hauptsächlich über im Vorfeld der SPD entstandene linke Arbeitskreise, etwa die Marxistischen Arbeitskreise in der SPD, bei den Jusos und den "Falken" sowie im linken Milieu der Gewerkschaften. Die Auflage betrug etwa 1200, davon etwa 800—900 für Abonnements und Verkauf. Der Rest wurde etwa bei bestimmten Anlässen (wie Partei und Gewerkschaften) an bestimmte Adressaten verschickt oder auf politischen und gewerkschaftlichen Veranstaltungen verteilt, im günstigsten Falle verkauft. Die SoPo erschien jeden Monat. Bemühungen, ein 14-tägiges Erscheinen zu erreichen, scheiterten an den materiellen Bedingungen. Die finanzielle und personelle Situation war und blieb schwierig.
Die monatlichen Redaktionssitzungen wurden mit großen organisatorischen und technischen Schwierigkeiten durchgeführt. Meist traf man sich in Frankfurt in einem Lokal oder in einer Wohnung. Auch Köln und gelegentlich Marburg dienten als Sitzungsorte, v.a. um die Teilnahme von Abendroth zu sichern.
Der Mitarbeiterkreis wurde im Laufe der Jahre kleiner. Theo Pirker, Siegfried Braun und Peter von Oertzen zogen sich Anfang der 60er Jahre allmählich zurück. Ab Godesberg war die Arbeit an der SPD-Basis immer schwieriger geworden. Hingegen zeigten die gewerkschaftlichen Kontakte der SoPoeine gewisse Stabilität, nicht zuletzt durch eine gute Basis in einigen wenigen Großbetrieben.
Da sich Resignation und Anpassung auch in der redaktionellen Arbeit und Zusammensetzung des Mitarbeiterstabs ausbreiteten und die SoPo gegen den Willen der Trotzkisten zu einem fast ausschließlich von ihnen herausgegebenen und geschriebenen Blatt wurde, führte dies letzten Endes zu dem Entschluss, das Blatt aufzugeben und eine Fusion mit express international zu vollziehen. Zum Zeitpunkt der Vereinigung mit express international im November 1966 gehörte Wolfgang Abendroth immer noch der SoPo-Redaktion an.
Willi Boepples Fazit lautet: "Immerhin hat die SoPo als einziges unabhängiges linkes Blatt zwölf Jahre überdauert, eine Insel im Meer des Antikommunismus, der ‚Liberalisierung‘ und Entpolitisierung der organisierten Arbeiter und Angestellten. Anderen linken Blättern oder Blättchen, wie der von Viktor Agartz herausgegebenen, sehr lesenswerten WISO, der Arbeiterpolitik … und den Funken ist schon früher der Atem ausgegangen … Im September 1966 verabschiedete sich die SoPo-Redaktion von ihren Lesern."

Jakob Moneta

Zu Wolfgang Abendroth siehe auch den Beitrag von Georg Fülberth in SoZ 18/95.

*Willy Boepple und Georg Jungclas waren damals in der Leitung der deutschen Sektion der IV.Internationale. Siehe W.Boepple, "Sozialistische Politik 1954—1966" [1980], in: W.Alles (Hg.), Gegen den Strom. Texte von Willy Boepple (1911—1992), Köln (Neuer ISP Verlag) 1997, S.125ff.



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