Sozialistische Zeitung |
Ende März stellte eine Reihe französischer, oder in Frankreich niedergelassener, Unternehmen und Konzerne sogenannte
"Sozialpläne", also Massenentlassungen in Aussicht. Am bekanntesten unter ihnen sind der Nahrungsmittelkonzern Danone, gegen dessen Produkte sich
in der Folge eine Boykottbewegung entfaltete, und die britische Bekleidungskette Marks & Spencer.
Die Vorhaben lösten eine breite Empörung aus. Premierminister Lionel Jospin gab die Parole
aus: Weder noch. Der sozialistische "Beauftragte für Beschäftigungspolitik", Eric Besson, konkretisierte sie: "Weder zuschauen noch
verbieten."
In diesem Sinn arbeitete die Arbeits- und Sozialministerin Elisabeth Guigou einen "Plan" aus,
der im Wesentlichen drei Maßnahmen vorsieht:
Im Falle betriebsbedingter Entlassungen sollen die Abfindungen vom bisherigen gesetzlichen
Minimum (ein Zehntel des Monatsgehalts pro Jahr Betriebszugehörigkeit) auf das Doppelte, also ein Fünftel des Monatsgehalts pro Jahr, erhöht werden.
Dies hätte aber praktisch nur einen geringen Effekt, denn die Tarifverträge in den meisten Branchen gehen ohnehin und zum Teil deutlich
über das gesetzliche Minimum hinaus. Konkret bedeutet das für einen Beschäftigten mit 20 Jahren Betriebszugehörigkeit, dass er mit vier
Monatslöhnen Abfindung nach Hause gehen kann.
Daneben soll der Betriebsrat erweitere Informationsrechte und ein Vorschlagsrecht für
alternative Optionen erhalten. Die Unternehmen sollen ferner verpflichtet werden, sich um eine Weiternutzung der aufgegebenen Produktionsstätten durch andere
Betriebe zu bemühen auch das tun sie ohnehin meist heute schon. Und schließlich sollen sie angehalten werden, jedem der zu entlassenen
Beschäftigten eine "Bilanz seiner beruflichen Kompetenzen" zu erstellen, um eine Neuanstellung zu erleichtern.
Die Verkündung dieser, alles in allem eher lächerlichen, Maßnahmen konnte den
verbreiteten sozialen Unmut kaum besänftigen. Die Regierung versprach, in das "Gesetz über die soziale Modernisierung", das ab dem 22.Mai in
zweiter Lesung in der Nationalversammlung debattiert wurde, die im April verkündeten und noch weitere Maßnahmen gegen die Entlassungspraktiken der
Konzerne aufzunehmen.
Letztere sollten am Tag vor dem Beginn der Parlamentsdebatte verkündet werden.
Bei dem "Gesetz über die soziale Modernisierung" handelt es sich um ein Kraut-und-
Rüben-Gesetz zu verschiedenen wirtschafts- und sozialpolitischen Themen.
Als Arbeitsministerin Guigou am Vormittag des 22.Mai ihre Ergänzungsvorschläge zum
Kündigungsrecht verkündete, blieben diese einmal mehr weit hinter den Erwartungen zurück. Die geltende Rechtslage ändert sich dadurch kaum.
Was bisher "Sozialplan" hieß, wird umgetauft in "Plan zur Erhaltung von
Arbeitsplätzen". Die von betriebsbedingten Kündigungen betroffenen Beschäftigten sollen ein Recht auf Qualifizierungsmaßnahmen
erhalten eine noch zu bestimmende Zeitspanne hindurch (im Gespräch sind maximal 12 Monate) soll dabei der Arbeitsvertrag aufrecht erhalten werden.
Einen allerdings brachte die Verkündung des Maßnahmenbündels der Ministerin
Guigou zum Schäumen : Maxime Gremetz, den umtriebigen KP-Abgeordneten vom "orthodoxen" Flügel, er ist Sprecher seiner Fraktion in Sachen
Arbeits- und Sozialpolitik. Er hatte sich am Vortag noch mit Guigou unterhalten und war euphorisch und des Lobes voll über die Ministerin aus der Besprechung
gegangen.
Guigou, so verkündete Gremetz, sei auf die Vorschläge seiner Fraktion eingegangen
sie fordert ein Vetorecht von Betriebsräten und Personalvertretern gegen betriebsbedingte Kündigungen. Der Arbeitgeber soll sich nur dann wirksam über
das Veto hinwegsetzen können, wenn er vor Gericht nachweist, dass die Entlassungen tatsächlich für das wirtschaftliche Überleben des Betriebs
notwendig sind die Beweislast würde somit zu Lasten des Arbeitgebers umgekehrt. Guigou so der KP-Sprecher habe ihm versichert, diese
Maßnahme in das Gesetz aufzunehmen.
Am folgenden Morgen gab es ein bitteres Erwachen für Gremetz : Von sämtlichen KP-
Anträgen fand sich in der Sache keine Spur im Gesetzesentwurf der Regierung.
Um den tobenden Gremetz unter Kontrolle zu halten, beeilte sich der KP-Sekretär und -Abgeordnete
Robert Hue, im Namen der Fraktion zu sprechen. Aber auch Hue stellte in Aussicht, die KP-Fraktion werde im Parlament gegen den Regierungsentwurf stimmen, wenn
dieser nicht mehr geändert würde.
Für die Partei stellt sich damit aber ein heikles Problem, weil sie erstmals in der Legislaturperiode
(19972002) einen Gesetzentwurf der Sozialdemokraten zu Fall brächte. Die konservativ-liberale Opposition schickte sich ihrerseits an, gegen den Text zu
stimmen, wenngleich aus anderen Gründen ihr gehen viele der Bestimmungen bereits zu weit.
In früheren Fällen hat die KP-Fraktion ebenfalls gegen sozialliberale Weichenstellungen der
Regierung opponiert, sich im Endeffekt im Parlament der Stimme aber enthalten.
Aber diesmal kamen aus den Parteisektionen klare Signale an die Spitze : "Wir wollen, dass die
Fraktion gegen diesen Entwurf stimmt." Zwar gab Robert Hue Anfang der Woche das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten frei, doch er nahm zugleich im Namen
der Partei ziemlich eindeutig gegen den Gesetzentwurf in seiner jetzigen Fassung Stellung.
Die rettende Idee kam vom KP-Minister für Transport und Wohnungsbau, Jean-Claude Gayssot, den
Le Monde bereits 1998 als "den Musterschüler" im Kabinett bezeichnet hatte, und der sich allzeit als "konstruktive" Stützer der
Regierung erwies. Am Montag (28.Mai), dem Tag vor der endgültigen Abstimmung im Parlament, schlug er Hue vor, man könne doch beantragen, die
Parlamentsdebatte um 14 Tage zu verschieben. Vielleicht würden ja bis zur definitiven Annahme des Gesetzes noch Bestimmungen verabschiedet, die aus Sicht der
Beschäftigten günstig seien.
Am folgenden Vormittag teilte Jospin dem KP-Sekretär Hue telefonisch mit, der Bitte um
Verschiebung werde stattgegeben. Damit dürfte die Verabschiedung in dritter und letzter Lesung nicht mehr vor der parlamentarischen Sommerpause stattfinden, die
am 29.Juni beginnt, sie wäre auf den Herbst verschoben. François Hollande, Chef der Sozialdemokraten. betonte zugleich, die Verschiebung bedeute nicht, dass sich
am Gesetzestext etwas ändern werde.
Es zeichnet sich auch schon ab, worin die "beschäftigtenfreundlichen" Bestimmungen
bestehen könnten, auf die Hue und Gayssot anscheinend spekulieren : Im Gespräch ist, ähnlich wie seit Jahrzehnten in der BRD, Vertreter der
abhängig Beschäftigten in die Aufsichtsräte der Unternehmen aufzunehmen.
Dies wäre ein Schritt hin zum Versuch, eine Art "Sozialpartnerschaft" auch in
Frankreich einzuführen. Am gegebenen Problem würde es in der Sache nicht viel ändern.
Am 9.Juni wird unterdessen in Paris die geplante Großdemonstration gegen die Massenentlassungen
der Konzerne stattfinden.
Bernhard Schmid
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