Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.12 vom 07.06.2001, Seite 15

Black Box BRD

von Andreas Veiel. (Kinostart: 24.Mai 2001.)

So wie der antike Geschichtsschreiber Plutarch die Geschichte des Altertums mit Hilfe von "Parallelbiografien" — bspw. von Alexander dem Großen und Cäsar — darzustellen versuchte, so versucht der Regisseur Andreas Veiel nunmehr, einen Teil der jüngsten BRD- Geschichte durch parallele Biografien aufzuarbeiten. Seine Protagonisten sind Wolfgang Grams, Aktivist der Roten Armee Fraktion, und der von der RAF getötete Bankier Alfred Herrhausen.
Während jedoch der antike Historiograf Plutarch bei seinen parallelen Lebensbeschreibungen darauf achtete, dass die beschriebenen Personen irgendwelche Gemeinsamkeiten aufwiesen — so galt Alexander als größter griechischer und Cäsar als größter römischer Feldherr — scheint Veiel dieser Aspekt entgangen zu sein. Worin die Gemeinsamkeiten von Grams und Herrhausen bestehen sollen, bleibt dem geneigten Kinogänger bis zum Schluss verborgen.
Vielmehr verlaufen die Leben von Grams und Herrhausen denkbar unterschiedlich. Der 1953 geborene Grams wächst in eher proletarischen Verhältnissen auf und schließt sich Anfang der 70er Jahre der außerparlamentarischen Opposition an, die ihre Legitimation vor allem daraus bezieht, die Kontinuität vom Nazi-Faschismus zur BRD zu thematisieren und zu bekämpfen.
Der 1930 in großbürgerlichen Verhältnissen geborene Herrhausen besucht demgegenüber eine NS-Eliteschule und steigt als Erwachsener zum Sprecher des Vorstands der Deutschen Bank auf. Damit ist er einer der führenden Repräsentanten des von Grams bekämpften Systems.
Der Regisseur versucht nun, über den beiden Männern eigenen "Idealismus" eine Verbindung zu konstruieren. Er legt sogar nahe, dass beide irgendwie für das Gleiche standen, da Herrhausen sich ja für einen Schuldenerlass für die Dritte Welt stark gemacht habe und Grams ebenfalls von der Ausbeutung der Dritten Welt zu seiner antiimperialistischen Aktivität getrieben worden sei.
Vielleicht kann man von einem linksliberal-bürgerlichen Regisseur nicht erwarten, dass er die für das Kapital herrschaftssichernde Funktion von Entschuldungsaktionen durchschaut und in der Lage ist, sie von — im Falle der RAF völlig untauglichen — Versuchen, den Kapitalismus revolutionär zu überwinden, unterscheidet.
Man könnte aber erwarten, dass er überhaupt erklärt, wieso der angeblich so gleich geartete "Idealismus" seiner Protagonisten diese auf so unterschiedliche Wege geführt hat. Das bleibt aber im Dunkeln.
So ist ein Film entstanden, der zwar einige recht eindrucksvolle Zeitzeugenaussagen bietet, diese aber letztlich zusammenhanglos aneinander reiht. Immerhin bleibt Veiel bei der Dokumentation und baut nicht — wie Heinrich Breloer in seinem unsäglichen Fernsehfilm Todesspiel — manipulative pseudodokumentarische Spielszenen ein.
Ganz ohne Manipulation kommt sein Film aber auch nicht aus. So legt die Konstruktion nahe — ohne dass es im Film ausdrücklich gesagt wird —, dass Grams am Anschlag auf Herrhausen beteiligt war. Dafür gibt es aber noch nicht einmal einen so buchstäblich an den Haaren herbeigezogenen "Beweis" wie für die angebliche Beteiligung von Grams an der Ermordung Rohwedders. Auch der mysteriöse Tod von Grams in Bad Kleinen wird nur oberflächlich gestreift, obwohl vieles dafür spricht, dass in diesem Fall die offizielle Version definitiv falsch ist.
So bleibt also die RAF, die 1994 ihre letzte Aktion durchführte und sich 1998 offiziell auflöste, durch mehr oder weniger misslungene Filme und haarige Beweise des Bundeskriminalamts für ihre angebliche Fortexistenz, lebendig oder eher untot. Auch Veiels Film bietet keine echte Aufklärung über die RAF und schon gar keine über den wahren Charakter der BRD. Man sollte also, anstatt Veiels Film zu besuchen, die entsprechende Zeit vielleicht lieber mit Plutarchs "Parallelbiografien" zubringen. Das bildet ungemein.

Andreas Bodden

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