Sozialistische Zeitung |
"Fahren Sie doch ans Meer." Der Bankangestellte aus Genua, der in der sog. gelben Zone wohnt und in der roten Zone arbeitet (beide sind in den Tagen des
G8-Gipfels komplett abgeriegelt), versucht dieser Tage, einen Pass zu erhalten, damit er vom Wohnort zur Arbeitsstelle gelangen kann. Doch er findet niemanden, der ihn
ausstellt. Die Carabinieri (eine Art Polizei mit besonderen Aufgaben), die er befragt, antworten ausweichend und raten ihm, es am besten gar nicht erst zu versuchen. Wie
aber soll der Mann ans Meer fahren, wenn der Fährverkehr schon vor Monaten für diese Zeit storniert wurde? Just an dem Wochenende, an dem die hohen
Herren sich treffen, beginnt die Urlaubszeit; traditionell sind die Fähren zu den Inseln dann überfüllt. In diesem Jahr aber heißt es: No. Bleiben Sie
zu Hause, Ihr Urlaubsbeginn wurde verschoben. Zu Hause aber ist die Bevölkerung auch nicht gelitten, wie der Bankangestellte gerade erfährt, da rät
man, ähnlich wie in Prag: Verlassen Sie die Stadt. Aber wohin? Ans Meer geht nicht; die Strände werden in der Zeit geschlossen sein.
Das ist nur ein Beispiel für das Chaos, das die italienische Regierung derzeit in Genua anrichtet, weil
sie am liebsten jegliche Bewegung in den Tagen des Gipfels, und sei es den normalen Alltagsverkehr, unterbinden möchte. Die
"Sicherheits"maßnahmen steigern den Unmut und Zorn der ortsansässigen Bevölkerung und werden dazu beitragen, die Ränge der
Demonstrierenden weiter zu füllen. Die Feuerwehrleute sollten als Ordnungskräfte eingesetzt werden als Antwort darauf haben sie sich dem Streik
angeschlossen, den die unabhängigen Basisgewerkschaften Cobas für den 20.Juli ausgerufen haben; die Bewohner des historischen Zentrums, die das Pech
haben, daß die G8 ausgerechnet sie heimsuchen, müssen in den Tagen ihr Auto am Stadtrand parken und mit einem Pendelbus verkehren.
Es ist weiter unklar, ob Demonstrierende von außerhalb überhaupt in die Stadt kommen
werden. Das Bündnis Genoa Social Forum hatte monatelang umsonst einen Verhandlungstermin mit der Regierung gefordert, um den Empfang von über
100.000 Demonstrierenden aus dem In- und Ausland zu regeln. Schließlich hat es einen Brief an den neuen Innenminister gerichtet, in dem es drei Fragen stellt:
Werden die Grenzen zu den europäischen Nachbarländern geschlossen und die italienischen Eisenbahnlinien lahmgelegt? Werden die Demonstrationen
erlaubt? Wird es in Genua Räume geben, in denen diskutiert und übernachtet werden kann?
Auch hierauf gibt es bislang keine Antwort; die Regierung gibt sich zugeknöpft, hat aber
vorsichtshalber zusätzlich zu bisher vorgesehenen 20 Mio. DM weitere 33 Millionen bewilligt, um die "Sicherheitsstandards der G8 einzuhalten" und holt
sich u.a. bei der Bundesregierung Rat, was man aus Göteborg über die Bekämpfung von Demonstranten lernen kann.
Die zahlreichen Netzwerke, die das Bündnis Genoa Social Forum bilden, bereiten sich seit Wochen
aktiv auf die heißen Tage vor. Ende Mai sah es eine Weile danach aus, als würde sich das Bündnis an der Frage zerstreiten, ob gegen den Gipfel
demonstriert, oder ob er verhindert werden soll. Insbesondere ein Aufruf der Tute Bianche, der den Titel "Kriegserklärung" trug, was an die lokalen
Behörden gerichtet war, hatte für Aufregung gesorgt, und die Regierung in Rom hatte in Aussicht gestellt, sich mit den "Guten" an einen Tisch zu
setzen, um die "Bösen" von vornherein und gemeinsam zu isolieren.
Die Taktik ist in die Hose gegangen. Die Tute Bianche haben, wie auch andere Netzwerke, ihre
vollständige Gewaltfreiheit und ihren festen Willen betont, nichts zu tun, was sie in Gegensatz zur Bevölkerung der Stadt bringen könnte. Die
"guten" NGOs haben es abgelehnt, sich unter den herrschenden Bedingungen mit der Regierung zu treffen und die Spaltungspolitik mitzumachen.
Stattdessen weitet sich die Mobilisierung aus und bezieht nun auch soziale Konflikte mit ein, die mit den
G8 vordergründig nichts zu tun haben: So hat sich das Bündnis solidarisch erklärt mit den Arbeitern bei Ilva, eine Kokerei, die geschlossen werden soll.
Die Arbeiter organisierten am 13.Juni eine Protestdemonstration durch die Straßen von Genua und wurden dabei gewaltsam von der Polizei angegriffen. Ein Zeichen
für ihre Nervosität?
Am 17.Mai hatten in Genua MigrantInnen friedlich demonstriert und waren dabei gewaltsam von der
Polizei angegriffen worden; es hatte acht Verletzte und zwei Abschiebungen gegeben.
Das Liliput-Netz, ein Netzwerk von etwa 500 Umwelt-, Friedens-, Frauen- und Solidaritätsgruppen
mit der Dritten Welt, das nach Seattle entstanden ist, hat sich Anfang Juni zu einem landesweiten Vorbereitungstreffen gefunden und ist die verschiedenen Szenarien
durchgegangen. Ziel bleibt in jedem Fall, in Genua zu demonstrieren; sollte die Stadt gesperrt sein, will man sie auch zu Fuß erreichen. Sollte es unmöglich
sein, überhaupt in ihre Nähe zu kommen, soll es Demonstrationen und Blockadeaktionen an den Stellen geben, wo die Weiterfahrt verhindert wird
Bahnhöfe oder Autobahnen. Nach demselben Muster soll im Ausland verfahren werden, so dass der Widerstand sich wie ein Leopardenfell über ganz Europa
legt.
Angela Klein
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