Sozialistische Zeitung |
Was in Genua passiert ist, fordert den europaweiten Protest gegen die Infragestellung des Demonstrationsrechts und den systematischen
Verstoß gegen die verbrieften Menschenrechte heraus. Die Bewegung in den einzelnen Ländern kann nicht dabei stehen bleiben, die Solidarität mit den
"eigenen" Verhafteten und Angeklagten zu organisieren und Strafanzeigen gegen die italienische Regierung zu stellen.
Genua war ein Wendepunkt, hier wurde jedes Recht auf Demonstration einer abweichenden Meinung
buchstäblich mit Füßen getreten und der Versuch unternommen, die Bewegung militärisch niederzuschlagen und in ihr Angst und Schrecken zu
verbreiten. Gegen diese Eskalation der Gewalt, für die ausschließlich die Regierung und die Ordnungskräfte verantwortlich sind, muss ein europaweiter
Protest entfacht werden. Die Bekämpfung einer Militarisierung der Auseinandersetzung, die Durchsetzung des Rücktritts von Innenminister Scajola, von
Ministerpräsident Berlusconi und seinem Stellvertreter Fini das sind Forderungen des Genoa Social Forum (GSF) sind keine italienische
Angelegenheit.
In Genua hat auf der Seite der Regierung mindestens der koordinierte europäische Geheimdienst
gekämpft. Es ist nur recht und billig, dass die europäische Bewegung an der Seite des GSF kämpft, damit diese Regierung wieder abtritt und die EU nicht
zu einem Polizeistaat wird.
Was in Genua passiert ist, reiht sich nicht einfach ein in die Erfahrungen, die mit der Polizei in Prag,
Québec, Göteborg und Barcelona gemacht wurden. Obgleich hier viele Elemente einzeln vorweggenommen wurden, die man dann geballt in Genua
wiedergefunden hat: die "Schandmauer" um die Rote Zone wurde erstmals in Québec errichtet, in Göteborg wurde zum erstenmal scharf geschossen
und in Barcelona hat die Polizei erstmals massiv Provokateure eingesetzt. Aber in Genua wurde eine neue Qualität erreicht, ein Damm ist gebrochen, der Damm des
bürgerlichen Rechtsstaats.
Erstens war die Strategie der Polizei nicht darauf ausgerichtet, die Demonstration in den von ihr vorher festgelegten Grenzen
(keine Gewalttaten) zuzulassen. Sie war darauf angelegt, die Demonstration insgesamt anzugreifen und aufzureiben, also unmöglich zu machen. Die zahlreichen
Misshandlungen nicht nur friedfertiger, auch völlig unbeteiligter Personen demonstriert dies, vor allem aber gibt es einen schreienden Widerspruch zwischen den
Beteuerungen, es sei darum gegangen, den Schwarzen Block auszuschalten und dem Polizeiverhalten, das eben diesen Block weitgehend hat gewähren lassen.
Schon am Donnerstag hatte das Polizeipräsidium Hinweise aus der Bevölkerung erhalten, dass
eine Schule in der Nähe des Bahnhofs Quarto vom Schwarzen Block besetzt worden war, von der aus auch Zerstörungen in der näheren Umgebung
ausgingen; die Polizei hat darauf nicht reagiert, ebensowenig wie sie auf den Hinweis des GSF reagiert hat, dass aus der Emilia Romagna 200300 Faschisten im
Anmarsch waren, die sich der Gruppe Forze Nuove zurechneten.
Des Weiteren gab es keine von der Einsatzleitung koordinierte Polizeiaktion (zu diesem
Ergebnis kommt die polizeiinterne Untersuchung des Innenministeriums; das gilt für die Straßenaktionen wie für den Überfall auf die Scuola Diaz);
ebensowenig gab es während den Straßenaktionen Absprachen zwischen der Polizei und den Demonstranten. Vielmehr haben sich die Einheiten (und es waren
alle Einheiten vor Ort anwesend, auch solche, die da nichts zu suchen hatten) verselbstständigt. Die Männer, die in den Wochen zuvor heiß gemacht
worden waren, "Terroristen" zu schlagen, durften sich austoben.
Der auf der Straße, in der Schule und in den Kasernen entfesselte Sadismus
schließlich verweist auf einen starken faschistischen Bodensatz in den italienischen Ordnungskräften. Der hat eine lange Tradition und eine lange Geschichte
auch direkter Beziehungen zu faschistischen Parteien und Organisationen. Die Präsenz einer neofaschistischen Partei an der Regierung seit den Wahlen vom 13.Mai
hat diesen Kräften kräftigen Auftrieb gegeben. Der Vorsitzende der Linksdemokraten (DS), Massimo DAlema, hat die Bande zwischen der
neofaschistischen Alleanza Nazionale und Sondereinheiten der Polizei hervorgehoben und dem Vorsitzenden der AN, Fini, vorgeworfen, er habe Genua dazu benutzt, den
Einfluss seiner Partei auf die Ordnungskräfte gezielt auszubauen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass es Fini und nicht Innenminister Scajola war,
der während der Tage von Genua vor Ort war und mit den Verantwortlichen Kontakt hatte also die politische Führung übernommen
hat.
In der Nachbereitung der Ereignisse ist es wiederum Fini, der sich zum militanten Betreiber der Kriminalisierung der Bewegung hochschwingt: Alle
Verfahren dienen ihm nur dazu nachzuweisen, dass es die Demonstranten gewesen sind, die die Polizei angegriffen haben, dass das GSF ebenso wie Parlamentarier der
Opposition den Schwarzen Block decken, und dass die Tute bianche eine kriminelle Vereinigung sind.
Die Ereignisse in Genua werfen ein Licht darauf, was es bedeutet, wenn eine neofaschistische Partei mit in
der Regierung sitzt. Während der Aufstieg Haiders in Österreich massive Proteste hervorgerufen hat, noch bevor diese Regierung zeigen konnte, wes Geistes
Kind sie ist, schweigt die EU beharrlich zur Präsenz von AN und Lega Nord in der italienischen Regierung und das auch noch nach Genua, nachdem deutlich
geworden ist, dass die Ordnungskräfte in diesen Tagen die italienische Verfassung, sämtliche Menschenrechtskonventionen und selbst die Grundrechtecharta
massiv verletzt hat, die sie gerade in Nizza mit verabschiedet hatte.
Wenn Genua also (noch) nicht als der Standard der Polizeigewalt in Europa gelten kann, so tragen die
Ereignisse doch auch die Handschrift einer europäischen bis internationalen Polizeiintervention, z.B. die Tatsache, dass das Mobile Einsatzkommando aus Rom eine
Woche lang auf Training in den USA gewesen ist. Ebenso die Vielsprachigkeit der als Tute nere (Schwarzer Block) verkleideten Provokateure, die in der Einsatzzentrale der
Polizei ein- und ausgingen (deutsch, englisch, spanisch). Und das berührt noch nicht offizielle Innenministervorstöße wie die sog. Hooligan-Kartei oder
die europäische Anti-Terror-Gruppe.
Die Bewegung wird sich davon nicht aufgehalten lassen. Im Gegenteil: nach Genua ist sie nochmals breiter
geworden, ihre Entschlossenheit ist ungebrochen und sie schließt sich fester zusammen. Aber von nun an müssen wir damit rechnen, auf jeder dieser
Gipfeldemonstrationen mit militärischer Gewalt konfrontiert zu werden. Und darauf muss sie dringend eine Antwort finden.
Angela Klein
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04