Sozialistische Zeitung |
Er scheint fast in Vergessenheit geraten zu sein: der aktive Streik! Städtische Busfahrer oder das U-Bahn-Personal stellten nicht ihre
Arbeit ein; sie kassierten nur kein Geld von den Fahrgästen oder öffneten U-Bahn-Schranken, damit alle auch ohne Fahrkarten
durchschlüpfen konnten!
Wie aber kam es in Storkow, Bundesland Brandenburg, vom 11. bis 19.September 2000 zu einem aktiven
Streik von Schülerinnen und Schülern, dessen Ausstrahlung immer noch spürbar ist?
"Am 4.September 2000 hatten sich an Storkows 13-klassiger Gesamtschule 'nur 39 statt der
offiziell zum Minimum erklärten und auch namentlich eingetragenen 40 Schüler zur 11.Klassenstufe eingefunden. Obwohl noch nicht klar war, weshalb die
vierzigste Schülerin fehlte, übergab die Schulrätin allen Schülern sofort und gegen Quittung vorbereitete Handzettel mit dem Auftrag, sich um
Aufnahme an Schulen anderer Städte zu kümmern." So der Bericht von Monika Rösler.
Nach zwei Tagen kam die Streikidee auf. Losung war: "Ohne Elfte ist Storkow nur die
Hälfte." Die Schülerschaft beschloss nun, ihren Unterricht selbst zu organisieren. Mit den ausgesperrten Elftklässlern solidarisierten sich 500
Schüler aus der Gesamtschule, die hierfür das Einverständnis ihrer Eltern erhalten hatten. Der Unterricht wurde von den SchülerInnen der oberen
Klassen für die unteren übernommen. Aber auch Eltern, Fachleute aus Storkow und Berlin stellten sich zur Verfügung. Das Potsdamer
Bildungsministerium geriet immer mehr in die Schusslinie, versuchte jedoch zunächst, sich mit verschiedenen Tricks heraus zu mogeln. Letzten Endes jedoch musste
es sich dem Druck der mobilisierten Öffentlichkeit beugen und nachgeben.
Das 14-köpfige Streikkomitee ließ sich niemals zur Gewaltanwendung verleiten. Es sorgte mit
einem Ordnungsdienst für Disziplin. Die Teilnahme am Unterricht war Pflicht, Schulschwänzer wurden vom Unterricht ausgeschlossen. Alkohol, Waffen und
Drogen waren strikt verboten. Die Schule wurde auch nachts beschützt. Bis zu 137 Schüler und sogar einige Eltern übernachteten in Turnhalle und
Streikbüro. Freiwillige Feuerwehr und Polizei unterstützten sie ebenso wie die Mehrheit der Bürger und die Stadt. Mittel, Geld, Verpflegung und
Feldküche wurden ihnen zur Verfügung gestellt.
Aber mit dem Erfolg von Storkow war die Aktion nicht beendet. Die Landesregierung startete einen
Nervenkrieg, denn immerhin fanden noch im Mai Schülerdemonstrationen vor dem Landtag in Potsdam statt. Es geht darum, die Schließung von Schulen oder
die Verlagerung der oberen Klassen in andere Städte, die noch "aufnahmefähig" sind, zu verhindern.
Der 70-jährige habilitierte Philosoph Rainer Thiel, der nicht nur den Streik unterstützte,
sondern ein ausgezeichnetes Büchlein über ihn verfasste (Schülerstreik in Storkow, Bundesland Brandenburg, 11.-19.September 2000), wendet sich
gegen die Verschwendung der Lebenszeit von Jugendlichen, die in Klassen mit 32 oder 34 SchülerInnen "Wissen, Können und Werte erwerben
sollen". Er setzt sich für kleine Klassen mit 17 oder 8 SchülerInnen ein. Denn so zitiert er einen Polizisten: "Wenn Schüler ihren
Tatendrang vernünftig befriedigen könnten, hätten wir weniger Kriminalität und hätten Schüler mehr Vertrauen zu den Lehrern, dann
hätten es die Drogendealer nicht so leicht."
"Bildung für eine Kulturnation oder nur Schulung für die Profitwirtschaft?" Das ist
die Frage, die Rainer Thiel stellt und zu beantworten versucht."
Jakob Moneta
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