Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.17 vom 17.08.2001, Seite 5

Wer war Carlo Giuliani?

Wie Regierung, Polizei und der Großteil der Presse in Italien mit vereinten Kräften versuchen, die These aufrechtzuerhalten, das Genoa Social Forum habe in Wirklichkeit mit dem Schwarzen Block unter einer Decke gesteckt und als Deckung für Gewalttaten gedient, so wird auch Carlo Giuliani und seinem Freund zum Schwarzen Block gezählt. Das ist nicht wahr. Die beiden aus Genua stammenden Freunde hatten sich dem Demonstrationszug der Tute bianche angeschlossen; der Freund hatte sich einen passiven Schutz aus Helm, Schwimmweste und Gelenkschützern zugelegt, Carlo war im Unterhemd und hatte nur eine schwarze Kappe übergezogen.
Carlo Giuliani, 23 Jahre, Sohn eines Sekretärs der CGIL, war ein Punk. "Er war auf der Suche, er wusste selbst nicht nach was. Es ist eine Schweinerei, wenn gesagt wird, er habe die Gewalt gewählt", zitiert der Corriere einen Freund von ihm. "In Wirklichkeit verstand er es nicht zu wählen, er wußte nicht, was mit sich und seinem Leben anzufangen, er konnte sich nicht entscheiden. Auch deshalb wurde er Carletto genannt, weil er innerlich nicht stark war. Er hatte keine Fahnen, und versucht nicht, ihm eine überzuziehen!"
Er hatte aus pazifistischen Gründen den Kriegsdienst verweigert und war vorbestraft wegen Tragens eines Messers und Widerstands gegen die Staatsgewalt. Drei Monate lang war er Mitglied in der Jugendorganisation von Rifondazione, dann hat er der Politik der Rücken gekehrt. Er hatte eine Leidenschaft für die harten Texte von Public Enemy und Assalti frontali, und eine große Leidenschaft für den AS Rom. Er kehrte dem Elternhaus den Rücken, lebte eine Zeitlang auf der Straße, geriet in die Drogenabhängigkeit, ging auf Entzug. Zwei Wochen vor seinem Tod meldete er sich als Freiwilliger bei einer Initiative zur Bekämpfung von AIDS. Er hatte auch die Gefährtin seines Freundes aufgenommen — sie hatten sich getrennt — mitsamt ihrer 17 Monate alten Tochter, um die er sich kümmerte, als wäre es seine eigene.
"Carlo war kein Gewalttätiger, er hatte einen eigenen Begriff von Ehre und Gerechtigkeit, er hatte beschlossen, sein eigenes Leben zu leben. Er hat sich nie zuvor bei einer Demonstration etwas zuschulden kommen lassen."
Und sein Freund, der neben ihm am Jeep war, und doch beide jeder für sich, voneinander nichts wissend? Aus guter Familie, Vater Psychoanalytiker, Mutter Hausfrau, Abschluss des humanistischen Gymnasiums, danach orientierungslos, lebt von Gelegenheitsjobs wie Tellerwäscher oder Aushilfe bei Großkonzerten. Auch er vorbestraft wegen lächerlicher Angelegenheiten: 5 Gramm Haschisch mit 17 und Beamtenbeleidigung mit 21, als er in eine Fahrkartenkontrolle geriet. Seitdem wird er als "sozial gefährlich" geführt.

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