Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.17 vom 17.08.2001, Seite 7

Was war los bei der Polizei?

Acht verschiedene Ermitlungsprozesse hat die Staatsanwaltschaft von Genua laufen, die meisten davon gegen die Ordnungskräfte: 1) über die Briefbomben an Carabinieri und den Präfekten von Genua; 2) über den Tod von Carlo Giuliani; 3) über Straftaten derer, die sich in der Scuola Diaz aufhielten; 4) über Verfehlungen der Polizei in der Schule; 5) über Verfehlungen von Polizei und Carabinieri in Bolzaneto; 6) über Zerstörungen durch den Schwarzen Block; 7) über die gewaltttätigen Auseinandersetzungen auf der Straße; 8) über Versäumnisse der Polizei und der Carabinieri, nachdem ihnen gefährliche Situationen oder Gewalttaten signalisiert worden waren.
Noch bevor die Arbeit der Staatsanwaltschaft abgeschlossen ist oder parlamentarische Untersuchungskommission ihre Arbeit aufgenommen hat, sind schon die ersten Disziplinarstrafen verhängt — die höchsten, die es in Italien in der Nachkriegszeit gegeben hat: Des Amtes enthoben wurde der stellvertretende Polizeipräsident in Rom, der Chef der Antiterroreinheit und der Polizeipräsident von Genua.
Die Zeitungen schreiben, es sei Berlusconi gewesen, der dies angeordnet habe — der Druck aus dem Ausland, die schlechte Presse vor allem in Deutschland, England und mittlerweile auch den USA habe ihn dazu gedrängt. Der Innenminister hofft wohl, damit seinen Stuhl zu retten, aber alles deutet daraufhin, dass noch ganz andere Köpfe rollen können und müssen, wenn die Wahrheit über Genua aufgedeckt werden soll.
Ein Mechanismus, der die Wahrheitsfindung erleichtert, ist der Krieg, der jetzt innerhalb und zwischen den verschiedenen Polizei- und Militäreinheiten ausgebrochen ist: Polizisten schwärzen Carabinieri, die Finanzpolizei und die Gefängnispolizei an, weil sie nicht die einzigen Sündenböcke sein wollen; der Chef der Mobilen Einsatzkommandos lädt die Schuld auf den SCO ab, eine Spezialtruppe der Kripo, die vor allem für Aufklärungsaufgaben zuständig ist; die Polizeigewerkschaften wehren sich gegen die Absetzung des Vizepolizeichefs; die Genueser Polizei behauptet, ihr sei die Kommandogewalt genommen worden; die Regierung wälzt alles auf die Ordnungskräfte ab. Im Mittelpunkt steht vor allem der Überfall auf die Schule.
Einer Filmaufnahme aus dem 3.Stock des gegenüberliegenden Medienzentrums zufolge betrat der SCO als erster die Schule — der SCO hat den Überfall verursacht, weil er den Hinweis gab, in der Schule halte sich der Schwarze Block auf; mit dem daraufhin selbsterteilten Auftrag, die Schule zu durchsuchen, hatte er aber eigentlich nichts mehr zu tun —, und zwar über den Hintereingang: Bullen in Zivil, mit maskiertem Gesicht, Helm auf, schusssichere Westen und Knüppel in der Hand. Angeblich sollen sie die Knüppelorgien veranstaltet haben, jedenfalls behauptet der Chef des Mobilen Einsatzkommandos, als seine Leute eingedrungen seien, sei das Blutbad schon angerichtet gewesen.
Das Verhalten der Ordnungskräfte wirft eine Reihe von Fragen auf:
• Wer hatte in jener Nacht wirklich das Kommando? Die polizeiinterne Untersuchung, die der Innenminister angestrengt hat, stellt als einen der gröbsten Fehler fest, dass niemandem formal eine Verantwortung übertragen worden war.
• Wer hat den "Blitz" beschlossen? Die Entscheidung sei in "kollegialer Runde" gefällt worden, zwischen dem Antiterror-Chef, dem Polizeipräsidenten von Genua und dem Chef der Mobilen Einheiten. Ein operativ Verantwortlicher wurde nicht benannt.
Was hat ihn veranlasst? Zunächst hieß es, Anlass sei ein Steinhagel gegen ein Auto der Kripo gewesen; doch es fanden sich dafür keine Beweise.
200 Männer und 1 Hubschrauber waren beteiligt — keine geschlossenen Einheiten, eher "Kampfgruppen" aus verschiedenen Einheiten, die auf zwei Stoßtruppen aufgeteilt waren. Der erste sei eingedrungen und habe die Knüppelorgien veranstaltet, dabei die Eingangstür hinter sich verriegelt. Der zweite Stoßtrupp habe versucht, diese Tür aufzubrechen, dann habe ein "Kollege" in Zivil geöffnet. Der Chef der Antiterroreinheit soll schon drin gewesen sein.
Der Chef der Mobilen Einheiten sagt, durch den Hinterausgang seien auch unauffällig welche rausgegangen, nämlich welche in schwarzer Kluft. Wer waren diese? Angehörige des Schwarzen Blocks, die die Polizei angeblich suchte? Spitzel? Il Manifesto schreibt: "Man weiß es nicht. Man weiß allerdings, dass es Spitzel gab, aber nicht, wem sie verantwortlich waren. Der Digos (Kriminalpolizei)? Dem SCO? Filippo Ascierto, Abgeordneter der Alleanza Nazionale und ehemals Chef bei den Carabinieri, der in Genua während des Gipfels eine Armeeeinheit befehligte, spricht von ,unseren Agenten‘." Welche Rolle hat der CIA, welche Rolle haben die Geheimdienste gespielt, die "aus der halben Welt da waren"?
Das Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Sicherung der öffentlichen Ordnung, das durch die Anzeige der Provinz Genua veranlasst wurde, richtet sich erstmals auch gegen die Carabinieri, die bisher außerhalb der Schusslinie geblieben sind. Sie waren vor allem am Freitag im Einsatz und hatten sich zuerst geweigert, sich dem Kommando der Genueser Polizei zu unterstellen. Nach der Ermordung von Carlo Giuliani wurden sie dazu gezwungen; am Samstag wurden ihre Einheiten großenteils abgezogen und durch Einheiten der Finanzpolizei, auch der Gefängnispolizei ersetzt.
Gegen die Finanzpolizei und die Gefängnispolizei wird bisher noch nicht ermittelt. Sie haben interne Untersuchungen angesetzt, die allerdings von denen angeordnet wurden, die in Genua mit beteiligt waren, also parteiisch sind.
"Der Hauptfehler in Genua war, dass hier eine militärisches Konzept der Sicherung der öffentlichen Ordnung verfolgt wurde, mit dem einzigen Ziel, die rote Zone zu schützen. Alles andere geriet ins Hintertreffen." So zitiert Il Manifesto einen führenden Polizeibeamten. Und das ist eine politische Verantwortung.

Angela Klein

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