Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.17 vom 17.08.2001, Seite 8

Alle Wege führen nach Genua

Den nachfolgenden Text schrieb der philippinische Soziologe WALDEN BELLO und Direktor des Instituts Focus on the Global South Anfang Juli, vor den Ereignissen von Genua. Er fasst zusammen, worin die Entlegitimierung der G8 liegt — ein Prozess, der durch das Verhalten der Regierung und der Ordnungskräfte in Genua massiv vorangetrieben wurde.

Das Treffen der G8 in diesem Monat in Genua findet zu einer Zeit statt, in der der globale Kapitalismus vom Triumph zur Krise seiner Legitimation übergegangen ist. Da die Welt am Rande einer tiefen Rezession steht, ist es nützlich, über die Herausforderung nachzudenken, die dies für die neue Protestbewegung darstellt.
Das letzte Jahrzehnt des 20.Jahrhundert begann mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Ökonomien Osteuropas, und es gab viel triumphierendes Gerede über die Entstehung einer neuen globalen Marktwirtschaft, die Grenzen überholt sein lässt und auf den Fortschritten der Informationstechnologien basiert.
Doch auch wenn die Propheten der Globalisierung über die zunehmende Irrelevanz nationaler Interessen sprachen, die Hauptnutznießer der neuen globalen Ordnung waren US-amerikanische transnationale Konzerne. Die wichtigsten Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO), die angeblich ein Vertreter des Freihandels ist, förderten Monopole für US-Unternehmen: das Trade Related Intellectual Property Rights Agreement festigte den Zugriff dieser Konzerne auf Hightechinnovationen, während das Landwirtschaftsabkommen ein System monopolistischen Wettbewerbs für US- und EU-Agrarkonzerne in Drittländern festlegte.
Die unverschämte Indienstnahme des globalen multilateralen Systems für die Interessen der USA ist einer der Gründe für den Zusammenbruch der Legitimität dieses Systems gewesen. Eine ebenso wichtige Quelle der Delegitimierung war die Verbreitung der Erkenntnis, dass das System seine Versprechen nicht einhalten konnte. In der zweiten Hälfte der Dekade begannen immer mehr Leute zu begreifen, dass sie sich mit der Verpflichtung gegenüber der WTO zu einer Charta für Konzernherrschaft bekannt hatten, die die Handelsprinzipien der Konzerne über Gleichheit, Gerechtigkeit, Umwelt und fast alles andere stellt.
Die Ströme von Unzufriedenheit und Opposition flossen auf der Straße zusammen, um das WTO-Treffen in Seattle zu Fall zu bringen und ein ernste Krise der Institutionen auszulösen, von der die Organisation sich noch erholen muss.
Die Krise des multilateralen Systems übersetzte sich darüber hinaus in ein vertieftes Unbehagen gegenüber dem Hauptakteur der Globalisierung: dem Konzern. Mehrere Faktoren kamen zusammen, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Konzern zu richten — am dreistesten waren die räuberischen Praktiken von Microsoft, die Umweltzerstörungen durch Shell, die Verantwortungslosigkeit von Monsanto und Novartis bei der Förderung genetisch veränderter Organismen und Nikes systematische Ausbeutung billiger Arbeitskräfte. Ein Bewusstsein für den Umweltnotstand breitete sich auch aus.
Mit der zunehmenden Unrechtmäßigkeit der konzernbetriebenen Globalisierung und der wachsenden Kluft zwischen einer prosperierenden Minderheit und einer zunehmend marginalisierten Mehrheit werden militärische Interventionen zur Aufrechterhaltung des globalen Zustands ein ständiger Zug der internationalen Beziehungen werden, ob dies nun mit dem Kampf gegen Drogen oder gegen den Terrorismus, mit der Bändigung von "Schurkenstaaten" oder des "islamischen Fundamentalismus" oder mit der Zügelung Chinas gerechtfertigt wird.
Es ist jedoch nicht die Konzernmacht oder die militärische Macht, die der stärkste Trumpf der USA sind, sondern ihre ideologische Macht als der Verfechter von Freiheit und Demokratie. In den letzten Jahren sind jedoch die Demokratien à la Washington oder Westminster mit ihrer Fokussierung auf formale Rechte und formale Wahlen und ihrer Voreingenommenheit gegenüber wirtschaftlicher Gleichheit in stagnierende und polarisierte politische Systeme degeneriert, die denen der Philippinen, Brasiliens und Pakistans ähneln.
Dies ging einher mit der Erkenntnis einer wachsenden Zahl von US-Bürgern, dass ihre liberale Demokratie derart durch eine Politik des großen Geldes korrumpiert ist, dass sie die Bezeichnung Plutokratie verdient. Die Tatsache, dass ein Mann, der die Wahl eigentlich an den Urnen verloren hat, Präsident der mächtigsten liberalen Demokratie werden konnte, hat dem nicht gerade entgegengewirkt. Die Tatsache, dass die britische Regierung mit 24% der Stimmen regieren wird, verweist darauf, dass in Großbritannien dieselbe Legitimitätskrise besteht.
Mit einem solchen Zusammenbruch der Legitimität ist es vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis die Strukturen selbst anfangen sich zu entwirren, aber die Krise des Systems führt nicht notwendigerweise zu seiner Ersetzung durch ein besseres. Deshalb ist die Darlegung einer Alternative zu diesem Zeitpunkt entscheidend.
Die Schaffung dieser alternativen Vision, die sich auf Institutionen partizipatorischer Demokratie gründet, die den Markt wieder der Gesellschaft unterordnet, echte Gleichheit fördert und ein zuträgliches Verhältnis zwischen menschlichen Gemeinschaften und der Biosphäre etabliert, bleibt die große Herausforderung für die Gegnerinnen und Gegner der konzernbetriebenen Globalisierung.
Vom Erfolg dieser Unternehmung hängt unsere Zukunft ab.

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