Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.17 vom 17.08.2001, Seite 9

Im Zeichen der Polarisierung

Der Gegengipfel des Genua Social Forum

Nicht in muffigen Konferenzräumen, sondern in offenen Zelten mit weitem Blick auf das Mittelmeer fand der Gegengipel zum offiziellen Treffen der G8-Staaten in Genua statt.
Ein Zusammenschluss aus mehr als tausend italienischen und internationalen Organisationen zum Genua Social Forum (GSF), darunter Gewerkschaftsvertreter und kirchliche Gruppen, veranstaltete ebenso die Konferenz wie auch die Demonstrationen. Das schon im Vorfeld der Demonstrationen auf Provokation angelegte Agieren der Sicherheitskräfte beeinträchtigte nicht nur die Protestaktionen auf der Straße, sondern auch die Konferenz und reichte weit über Genua hinaus.
Mehreren Referenten, darunter viele, die sich in den vergangenen Jahren einen Namen als Kritiker der kapitalistischen Globalisierung gemacht hatten, sollte die Einreise verwehrt werden. Darunter José Bové, der Repräsentant der europäischen Bauernvereinigung Confédération Paysanne. Erst nachdem das GSF mit Hilfe einiger Abgeordneten des Europäischen Parlaments intervenierte, erhielt Bové eine "Sondergenehmigung", um nach Italien einzureisen.
Ebenso traf es den nigerianischen Rechtsanwalt und Menschenrechtsaktivisten Oronto Douglas, der auf Betreiben der italienischen Regierung schon bei seiner Ankunft in Europa zurückgewiesen wurde. Die niederländischen Behörden teilten Douglas bei seiner Zwischenstation in Amsterdam mit, er sei nicht im Besitz einer ausreichenden Geldsumme, um nach Italien zu reisen. Dabei hatte er ein Begleitschreiben einer bekannten Organisation bei sich, das die Übernahme der Aufenthalts- und Reisekosten garantierte.
Douglas, dessen Einreise zudem von einem italienischen Senator unterstützt wurde, war schon vor zwei Jahren in Italien gewesen, um die menschenrechtswidrige Politik des italienischen Ölmultis AGIP in Nigeria anzuprangern. Doch nach zahlreichen Interventionen gelang es auch in diesem Fall, die Teilnahme von Douglas am Gegengipfel durchzusetzen.
Das Public Forum, so die Bezeichnung der Konferenz, behielt trotz aller Widrigkeiten seinen offenen und kritischen Charakter. Vor allem die Alternativen zur weltweiten Finanz- und Handelspolitik standen im Mittelpunkt und sollten nicht "ungehört bleiben", so das GSF. Mehrere hundert Zuhörer zählten die einzelnen Foren, die sich vor allem mit Bewegungen aus dem Süden und deren Widerstandserfahrungen beschäftigten. Dass die bestehende Weltwirtschaftsordung für Armut, Krieg und Hunger verantwortlich ist, stellte auf der Konferenz niemand in Frage.

Verschuldung

Ein neuer Ansatz, zu dem auch der nigerianische Anwalt Douglas auf einem Podium sprach, ist die Forderung nach einem Ausgleich für die ökologischen Schulden. Dabei geht es nicht nur um die gegenwärtige Zerstörung des "indonesischen Urwalds, der einer der größten Waldressourcen darstellt", so Titi Soentoro, Vertreterin einer indonesischen Umweltorganisation.
Der Ansatz hat auch eine historische Dimension und umfasst ökologische Probleme wie die monokulturelle Landwirtschaft. Diese auf den Export orientierte Produktionsweise ist eine Auswirkung der Strukturanpassungsprogramme seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts, die ebenso wie die Ausplünderung der Ressourcen seit der Kolonialisierung durch den Norden "ausreichend Gründe liefert, die Schulden des Südens sofort abzuschreiben", erklärte ein Vertreter des internationalen Jubilee-South-Netzwerks, das sich neben Reparationen für entstandene Schäden seit Jahren für die Entschuldung der Dritten Welt einsetzt.
Die Verschuldung der Dritten Welt nahm den größten Raum ein. Ein Sprecher von CONAI, der nationalen Organisation der Indígenas Equadors, kündigte an, dass sie wie in anderen lateinamerikanischen Ländern auch ein internationales Tribunal durchführen wollen, dass sowohl die korrupten nationalen wie auch die internationalen Profiteure der Verschuldung anprangern wird. Einhellig stellten alle Teilnehmer der verschiedenen Podien zum Thema Verschuldung fest, dass die bilateralen, multilateralen und privaten Kredite nicht für die Bedürfnisse der Bevölkerung in ihren Ländern verwendet werde.
Jürgen Kaiser von der deutschen Erlassjahrkampagne ermahnte seine Gesprächspartner, dass man "schon seit dem Berliner Treffen des Internationalen Währungsfonds 1988 dieselben Diskussionen" führe. Währenddessen veranstalte der Pariser Club, ein Zusammenschluss der staatlichen Gläubiger, monatliche Treffen mit Vertretern der verschuldeten Regierungen aus dem Süden, bei denen der Club gleichzeitig die Rolle der Anklägers und Richters übernehme. "Verschuldete Konzerne werden nicht so behandelt", erklärte Kaiser und sprach sich für ein seit langem von der Erlassjahrkampagne vorgeschlagenen Verfahren aus, dass den verschuldeten Ländern nach dem Vorbild privatwirtschaftlicher Regulierungen ein Insolvenzverfahren ermöglichen solle.
Um dies durchzusetzen, betonte der frühere Gegenspieler von Jubilee South, sei die Kooperation der Kampagnen aus dem Norden und Süden unumgänglich, denn letztendlich könnten "nur soziale Bewegungen und Kampagnen in den verschuldeten Ländern den nötigen Druck ausüben, damit ihre Regierungen die Zusammenarbeit mit dem Pariser Club aufkündigen".
Zu den etwas betagteren Kampagnen zählt mittlerweile ebenfalls die Tobin-Steuer. Die Forderung nach einer Besteuerung der internationalen Transaktionen auf den Finanzmärkten, die auf der Konferenz bekräfigt wurde, zählt mittlerweile zahlreiche Unterstützer. Unter anderem setzen sich Abgeordnete verschiedener europäischer Parlamente und des Europaparlaments für ihre Einführung ein.
Erstmals sahen sich auch die Finanzminister der sieben reichsten Industrienationen auf einem Vortreffen Anfang Juli genötigt, diese Steuer in ihren Bericht für den Genua-Gipfel aufzunehmen. Allerdings lassen sie keinen Zweifel daran, dass sie die Tobin-Steuer für ein ungeeignetes Mittel halten, weil diese zu einer "zusätzlichen Instabilität des internationalen Finanzsystems führen würde".

Welthandel

Im Blickpunkt stand auch das kommende Ministertreffen der Welthandelsorganisation (WTO) im November. Walden Bello, Direktor der internationalen Nichtregierungsorganisation (NGO) Focus on the Global South mit Sitz in Thailand, bezog sich positiv auf die Verweigerungshaltung vieler Regierungen in den südlichen Ländern im Hinblick auf eine neue Verhandlungsrunde der WTO, die eine weitere Liberalisierung des Weltmarktes anstrebt. Dafür sei allerdings "die massive Unterstützung der Zivilgesellschaft im Norden und im Süden nötig", erklärte der Wirtschaftswissenschaftler.
Vor allem einige NGOs aus dem Norden würden jedoch dem Druck ihrer Regierungen nach- und diese Position aufgeben. "Einige behaupten, die WTO sei die einzige Institution, die zwischen Ordnung und Chaos stehe, dass der Süden Konzessionen eingehen müsse . und dass Handel gut für die Armen sei", kritisiert Bello. Er fordert grundsätzliche Veränderungen, weil die ungleichen Kräfteverhältnisse in der WTO zu tief "verwurzelt" seien.
Die Forderung nach "kleinen Reformen" rechtfertige ausschließlich die Regeln der ohnehin einflussreichen Länder und verfestige die Ausbeutung der Armen im Welthandelssystem. Bei der Ablehnung der Globalisierung in ihrer jetztigen Form gehe es nicht um den häufig zur Diskreditierung unterstellten Rückzug in Protektionismus und Nationalismus und die Ablehnung internationaler Zusammenhänge, so Bello.
Ganz im Gegenteil basiere die soziale Bewegung auf einem Internationalismus mit dem Bestreben, die unterschiedlichen sozialen Kämpfe und ökonomischen Krisen aufeinander zu beziehen. Dabei erscheine in der Bewegung die einfache "politische Regulierung der Globalisierung" zu kurz gegriffen. Konkretes Beispiel dafür lieferte ein Sprecher der brasilianischen Landlosenbewegung MST, die den Eingriff in Eigentumsrechte fordern, um den Menschen überhaupt die Möglichkeit zu eröffnen, mittels Subsistenzproduktion auf eigenem Grund und Boden die Ketten vorkapitalistischer Abhängigkeitsverhältnisse und Wilkürherrschaft zu durchbrechen.

Gewerkschaften

Auf einem Gewerkschaftsforum im Rahmen des Gipfels stand IG-Metall-Vorstandsmitglied Horst Schmitthenner mit seiner moderaten Kritik weit hinter den Positionen seiner europäischen und brasilianischen Kollegen auf dem Podium zurück. Vor allem die italienischen Gewerkschaftsvertreter zogen ein negatives Resümee aus den Erfahrungen der Zusammenarbeit mit der bis vor kurzem amtierenden Mitte-Links Regierung. "Die Arbeiterbewegung hat in dieser Zeit auf fast allen Feldern verloren", konstatierte ein Sprecher des Gewerkschaftsdachverbands CGIL.
Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und zurückhaltende Lohnforderungen seien zu Lasten der Beschäftigten gegangen und bildeten nun die Basis, auf der die neue Mitte-Rechts Regierung aufbauen und diese Politik radikalisieren kann.
Gewerkschaften sollten sich künftig wieder auf die eigene Unabhängigkeit besinnen und "Sprachrohr der abhängig Beschäftigten" werden, erklärte der italienische Gewerkschafter. Vor allem die Globalisierung sei ein "zentrales Thema der Gewerkschaften". Denn es seien nicht mehr die Arbeiter und ihre Gewerkschaften, die die sozialen Proteste der letzten Jahrzehnte initiiert hätten, bekräftigte auch Raffael Freire vom brasilianischen Dachverband CUT. Deswegen stehe die Öffnung der traditionellen Gewerkschaftsstrukturen für die sozialen Bewegungen an, die sich im Umfeld der Kritik an der kapitalistischen Globalisierung herausbildeten.
Viele der italienischen Gewerkschaften hatten sich nur zögerlich dazu durchringen können, überhaupt zu mobilisieren. Ausnahmen stellten neben den Cobas-Gewerkschaften die italienischen Metallarbeiter der Gewerkschaft FIOM dar. Ihr Sprecher setzte auf die Dynamik, mit der sich die globalisierungskritische Bewegung gegen die herrschende Meinung stelle und Alternativen artikuliere. Dies müsse man nutzen und in die Arbeiterbewegung tragen, um "Seite an Seite politisch zu kämpfen", zumal die Bewegung "traditionelle" Aspekte der Arbeiterbewegung aufgreife und in den Kontext des 21.Jahrhunderts stelle.
Wenn die Gewerkschaften dies in ihrer gesamten Breite nicht anerkennen und diese Chancen ergreifen würden, so warnte der Gewerkschafter, müssten sie "einen hohen politischen Preis dafür bezahlen".

Fazit

Die Abschlussveranstaltung des GSF am Sonntag mit mehr als 500 Teilnehmern war von der Gewalt der Polizei überschattet. GSF-Sprecher Vittorio Agnoletto wertete die Beteiligung an den Demonstrationen dennoch als Erfolg. Damit sei einer Institution, "die über kein Mandat verfüge und nur Macht und Arroganz" zur Schau stelle, einer "Regierung, die Profite privatisiert und Verluste sozialisiert", eine klare Absage erteilt worden.
Während in der Abschlusserklärung des offiziellen G8-Gipfels von einer "Verteidigung des Rechtes von friedlichen Demonstrationen" die Rede ist, stellte Angoletto die Frage nach dem Wesen einer Demokratie, die mit solcher Brutalität gegen ihre Kritiker vorgehe und deren Forderungen ignoriere. Er kündigte an, gemeinsam mit zahlreich anwesenden Parlamentariern eine Untersuchung der Vorfälle der vergangenen Tage in die Wege zu leiten und forderte den Rücktritt des Polizeipräsidenten.
Der Soziologe Riccardo Petrella ist der Ansicht, dass die Herrschenden "uns gar nicht als Verhandlungspartner behandeln können". Denn das, so Petrella weiter, würde bedeuten, "die neue Weltordnung und vor allem die US- amerikanische Hegemonie in Frage zu stellen. Ein Dialog ist deshalb nicht möglich. Sie können sich eine Legitimität nur noch mit Gewalt verschaffen, indem sie uns kriminalisieren."
Er machte darüber hinaus darauf aufmerksam, dass es zahlreiche Hinweise gebe, dass Gruppen des Schwarzen Blocks von der Polizei und auch von Neonazis infiltriert waren. Natürlich bestand nicht der ganze Schwarze Block aus Polizeibeamten, erklärte Petrella, der dass Vorgehen der Polizei mit dem der paramilitärischen Todesschwadronen in Lateinamerika verglich. "Wir teilen die Kritik und Analyse an den kapitalistischen Institutionen, aber nicht die Mittel, gegen sie vorzugehen", sagte der Soziologe.
Doch angesichts der Ignoranz von Institutionen wie der G8 sähen die Anhänger des Schwarzen Blocks offensichtlich "keine Möglichkeit, außer mit Gewalt vorzugehen". Letztendlich mache sich der Schwarze Block jedoch zu einem "nützlichen Instrument der Polizeistrategien". Und auch die Medien leisteten ihren Beitrag zur Kriminalisierung der Bewegung, die die Auseinandersetzungen einer Minderheit mit der Polizei gegenüber den Protesten der Mehrheit der Bewegung überbetonten. "Was sind 3000 im Vergleich zu fast 300.000", fragte Petrella.
Die offiziellen Ergebnisse des G8-Gipfels bezeichneten einige Redner als "Ohrfeige für die Dritte Welt". Der HIV-Fonds der G8 sei "ein Tropfen auf den heißen Stein", so die Sprecherin von World Development Movement (WDM), eine der größten britischen Kampagnen zur Bekämpfung der Armut in der Welt. Das GSF kritisierte den Fonds, der aus Steuergeldern finanziert sei und von dem vor allem die Pharmaindustrie profitiere.
Dasselbe gelte für den Fonds zur Digitalisierung der Dritten Welt, der 300 Millionen Dollar umfassen soll und in erster Linie die Profitinteressen der Computerindustrie bediene. Auch an den Strukturanpassungsprogrammen, die an den Schuldenerlass für die Dritte Welt gekoppelt sind, habe sich nichts geändert.
Dementsprechend wird auch der von den G8 initiierte "Afrika-Plan", der auf dem kommenden G8-Treffen in Kanada umgesetzt werden soll, bewertet. Entgegen den Versprechungen des Plans gebe es kaum Möglichkeiten für die afrikanischen Regierungen, ihre Interessen zur Geltung zu bringen, erklärte Jessica Woodroffe, Sprecherin von WDM, in Genua. "Stattdessen sind weitere Handelsliberalisierungen der zentrale Punkt des geplanten Abkommens."
Petrella forderte, "den Druck gegen die kapitalistische Globalisierung weiter zu erhöhen". Die Termine stehen schon fest: im September das Treffen des Internationalen Währungsfonds in Washington, im November das der Welthandelsorganisation in Qatar, im Dezember der Europäische Regierungsgipfel in Brüssel und im Januar schließlich das zweite World Social Forum im brasilianischen Porto Alegre.

Gerhard Klas

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