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Warum soll sich die PDS eigentlich immer wieder für eine Vergangenheit entschuldigen, die sie gar nicht
zurückwünscht? Die Erklärung zum 13.August 1961 des Parteivorstands der PDS gibt eine verständnisvolle Antwort auf diese Frage und
formuliert damit gleich einen Maßstab zur Beurteilung des Textes: "An unseren Antworten zu Fragen der Geschichte wollen und sollen die Menschen ersehen,
inwieweit wir uns von der SED-Vergangenheit gelöst haben und zu einer kritisch mit der eigenen Geschichte umgehenden, demokratisch und rechtsstaatlich
verlässlichen Partei entwickelt haben."
So ist die Erklärung nicht eine Darstellung historischer Tatsachen, sondern ein Dokument des
politischen Zustands einer Partei. Nur als ein solches Dokument ist sie von Interesse.
Die Aufgabe des Parteivorstands war klar: Einerseits geht es um "die historische Aufarbeitung",
und "andererseits um die deutliche politische Wertung", beides fällt offenbar nicht zusammen. Denn Geschichtsschreibung liefert nicht immer das
nötige Material zur gewünschten politischen Stellungnahme. Die vorsichtigen Thesen der Historischen Kommission der PDS zum 13.August nahm der
Parteivorstand daher zwar "mit Interesse zur Kenntnis", anschließen mochte er sich ihnen aber nicht.
Er formulierte eine eigene Erklärung, in die manche Erkenntnis der Historiker Eingang fand: dass die
Mauer der erfolgreiche Versuch war, die Abwanderung aus der DDR zu beenden, dass sie der damaligen weltpolitischen Lage entsprach und dem
Kräfteverhältnis zwischen den Supermächten all das ist richtig, wenngleich nicht neu. Auch ist richtig beschrieben, dass die SED den Mauerbau
alljährlich als Sieg feierte, obwohl er eine strategische Niederlage war.
Was den rückwärtsgewandten Propheten aber entgeht ist der Erfolg, den die SED bei der
Einschließung Westberlins dennoch errungen hatte: ohne direkten Rückgriff auf die sowjetischen Streitkräfte konnte die Staatsmacht der DDR ihren
Willen gegen große Teile der eigenen Bevölkerung durchsetzen. Der 13.August war nicht nur eine Niederlage der SED, sondern ebenso Beweis ihrer
Handlungsfähigkeit.
Es ist daher abstrus zu behaupten, "dass der Staatssozialismus in der DDR am Ende war, als die
Mauer gebaut wurde" im Gegenteil befand er sich gerade am Beginn einer eigenständigen Entwicklung. Die historischen Fakten passen nicht recht zur
heutigen Bewertung.
Interessanter als die Behauptungen über die Historie sind die Maßstäbe, die in der
Erklärung vorausgesetzt werden. Es sind die "Werte von Freiheit, Gleichheit und Solidarität" die alten Ideale der französischen
Revolution, wobei auf die selbstverständliche Abweichung der bürgerlichen Wirklichkeit vom Ideal kein Wort verschwendet wird. Der gewaltsamen
Verteidigung des Staatssozialismus der DDR wird aufgrund ihrer Abweichung von diesem Ideal jede Berechtigung abgesprochen.
Der Parteivorstand der PDS spricht "zum übermenschlichen Egoismus eines Staatswesens wie
zu einer privaten Person mit privaten Tugenden" (Uwe Johnson, "Über eine Haltung des Protestierens", Kursbuch 9, Juni 1967; damals ging es um
Vietnam). Die Erklärung der PDS zielt nicht auf eine Kritik gesellschaftlicher Zustände, sondern auf die Befestigung des eigenen moralischen Ansehens in der
Öffentlichkeit. Mit dem so gewonnenen Ansehen will man Wählerstimmen und parlamentarische Macht erwerben. Mal sehen, ob sich dann etwas ändern
lässt.
Widerspruch aus der Partei ließ nicht lange auf sich warten. Die Kommunistische Plattform
erklärte sich. Sie verweist auf die real existierenden Feinde der DDR. Sie bedauert alle Toten an der Mauer. Sie behauptet, deren Errichtung sei "von tiefer
Tragik gezeichnet". Die DDR habe sie gebraucht, aber doch nicht recht mit ihr leben können.
Warum der erste Arbeiter- und Bauernstaat aber eine Mauer brauchte, darüber bleibt die
Erklärung der KPF merkwürdig unklar. Es sei in der DDR doch zum aushalten gewesen, mehr als im Westen mit seinen alten Nazis. Man beruft sich auf das
(noch) gültige Parteiprogramm, worin die Legitimität des Versuches einer Alternative zur Rettung des Kapitalismus in den Westzonen festgeschrieben ist.
Programm? Legitimität? Versuch? Alternative?
Die Realität sah anders aus und findet sogar kurz Erwähnung: "Die meisten, welche die
DDR verließen, hofften nicht ohne Grund auf ein materiell besseres Leben im Westen." Genau, möchte man sagen, die Mehrzahl der DDR-Bewohner hat
nicht viel gemerkt von der Volksmacht. Viele haben sich daher an die Freiheit der kleinen Leute gehalten: sich den Beschäftiger zu suchen, der besser zahlt. Davon
mag die KPF aber nicht reden.
Stattdessen präsentiert sie sogleich ein Mischmasch von Entschuldigungen, eine Aufzählung
höherer Mächte, die alle ungerechter Weise die Wirtschaft der DDR bedrückten: von den Reparationen bis zu den zerstörerischen Wechselkursen.
Dass aber die Reparationen an die Sowjetunion auch das sozialistische Lager stärkten (oder etwa nicht?), dass Wechselkurse und -umsätze vor allem
ökonomische Gründe haben, dass also keine höheren Mächte am Werke sind, sondern benennbare gesellschaftliche Kräfte davon
findet sich in diesen Bemerkungen nichts.
Die KPF interessiert anderes. Wie schon in der Programmdebatte beklagen ihre Vertreter die drohende
Zerstörung der Partei. Der Vorstand ziele auf die parlamentarische Salonfähigkeit, dafür würden große Teile der Basis ignoriert, Austritte
"mindestens" billigend in Kauf genommen.
Mit der Aussicht auf eine Zerstörung der Partei mag die KPF ihre eigene Funktion als Retter der
Parteiseele überhöhen, realistisch ist diese Gefahr nicht. Es ist nämlich egal, "wie große Teile der Basis über die Erklärung
denken", wenn diese großen Teile der Basis sich nur um lokale Angelegenheiten kümmern und ansonsten brav ihrer Führung folgen. Staatsdiener
im Ruhestand, die diese Basis mehrheitlich bestimmen, haben großes Verständnis für die Verwaltung des Status quo. Punktueller Unmut
beeinträchtigte bisher an keiner Stelle die Handlungsfähigkeit der Parteigremien, schon gar nicht die Handlungsfreiheit der parlamentarischen
Mandatsträger.
Die aber bilden das organisatorische Rückgrat der Partei, hauptamtliche Politiker mit
vielfältigen Verbindungen und der Möglichkeit zur öffentlichen Darstellung ihrer Positionen. Und der um diesen Kader gruppierte Kreis der Aktiven
repräsentiert sicher nicht die Verlierer der Einheit, sondern besteht im Gegenteil aus überdurchschnittlich gebildeten und verdienenden Personen, denen bisher
allerdings oft eine öffentliche Anerkennung ihrer Problemlösungskompetenzen versagt blieb.
Unter den abhängig Beschäftigten haben die demokratischen Sozialisten keine Basis,
außerhalb der staatlichen Verwaltungen und des Bildungswesens sind sie kaum anzutreffen. Die wachsende Akzeptanz der PDS in Teilen der gewerkschaftlichen
Apparate kann daran wenig ändern. Offensichtlich wird dies auch nicht als Mangel empfunden.
Denn eine Herausforderung durch organisierten Widerspruch gegen ihre heutigen sozialliberalen Konzepte
muss die PDS selbst dort, wo sie "politische Verantwortung" trägt, nicht fürchten. Die DDR ist gescheitert, die Verlierer von Anschluss und
Marktwirtschaft ohnmächtig, in Ost und West.
Das vermeintlich primitive, trade-unionistische Bewusstsein, das Generationen von Marxisten
naserümpfend für ein naturgesetzliches Produkt des Kapitalismus hielten, ist tatsächlich ein Ergebnis komplizierter, kultureller und politischer
Bildungsprozesse. Deren Voraussetzungen fehlen heute: politische und soziale Organisationen, in denen die Erfahrungen ermüdender Konkurrenz und
alltäglichen Klassenkampfes verarbeitet werden könnten.
Dagegen präsentiert sich die gewendete, von ihren Spitzen befreite Politbürokratie als der
clevere Anwalt der sozial Schwachen, und zählt dabei die überforderten und unterkapitalisierten Unternehmer des Osten gleich mit. Das Bild ist vertraut: von
der Elbe bis zum Pazifik tritt es in nationalen Farben auf. Darin steckt eine gravierende Niederlage der marxistischen Linken: nie war die Identifikation von
"Sozialismus" mit den Zuständen unter politbürokratischer Herrschaft stärker als heute. Deshalb ist die "Ostalgie" so harmlos:
mit den partiellen schönen Erinnerungen verbindet sich unweigerlich der Gedanke, dass "es" halt leider "nicht geht".
Deshalb hat die Debatte um den 13.August 1961 auch so einen merkwürdig privaten, moralischen
Charakter: sie ist ohne Belang für die Inhalte der praktischen Politik. Auf den Landesparteitagen in Mecklenburg-Vorpommern wie in Berlin fuhr die
Parteiführung mehr als satte Mehrheiten für ihren Regierungskurs ein. Nicht um die politische Ausrichtung der PDS, sondern um die persönliche
Qualifikation ihres führenden Personals wird in der Auseinandersetzung um die DDR und den 13.August gestritten.
Sebastian Gerhardt
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