Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.17 vom 17.08.2001, Seite 14

Stimmen

zu Genua

"Es ist kein Zufall, daß die Bullen ausgerechnet in Göteborg Leute schwer verletzt und in Genua getötet haben. Die Herrschenden haben die Botschaft sehr wohl verstanden: Die Antiglobalisierungsbewegung, so heterogen sie sein mag, ist mehr und mehr gewachsen und hat an Einfluss und Gehör gewonnen. Der Mord an Carlo ist auch Ergabnis der Wochen zuvor beschriebenen Bürgerkriegsszenarien. Wenn Kanzler Schröder sagt, gegen Gewalttäter müssten ‚alle erdenklichen Mittel‘ eingesetzt werden, sind damit halt auch Schusswaffen gemeint. Gleichzeitig gilt aber auch, dass diese schlichte Formel ‚Mehr Militanz gleich mehr Aufmerksamkeit‘ nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann. Wir werden sehr genau überdenken müssen, wann welches Mittel das richtige ist — und wann nicht. Diese Debatte gilt es zu führen. Auch ohne Tabus in die andere Richtung: Weniger Gewalt ist oft mehr Politik."
Vorwort einer Sonderausgabe der Berliner Autonomenzeitung Interim, 26.Juli

"Die unübersehbare Masse von Menschen, die gegen ihre Regierungen demonstrieren und eine Politik für die Armen der Welt forderten war überwältigend. Es gab viele herzliche Begegnungen mit friedlichen DemonstrantInnen; Menschen aus der Schuldenszene, von Attac und andere … Die Absage von Drop the debt [Britische Nachfolgeorganisation der Entschuldungskampagne Jubilee 2000], an der Demo teilzunehmen, war nachvollziehbar. Die Organisation von Genua Social Forum war chaotisch, um nicht zu sagen grob fahrlässig! … Wir hatten Gelegenheit, die Demonstration, gewaltbereite Gruppen und den unverantwortlichen Polizeieinsatz an verschiedensten Stellen zu beobachten. Angesichts der zunehmenden Gewalt auf beiden Seiten fühlten viele sich hilflos und ohnmächtig und bitter enttäuscht. An der Grenze des Erträglichen, nervenaufreibend und bedrohlich war das stundenlange Knattern der Hubschrauber 20 m über unseren Köpfen. … Ich werde ähnliches nicht wiederholen. Mit der heiteren Atmosphäre der Gegengipfel von Birmingham und Köln war Genua nicht vergleichbar."
Fazit eines Berichts der deutschen Erlassjahrkampagne

"Genua war ein Erfolg für die GegnerInnen des G8-Gipfels. Durch die seit vielen Jahren größte internationale Mobilisierung ist es gelungen, die Repräsentanten der G8-Staaten in die Defensive zu drängen und unter heftigen Legitimationsdruck für ihre pompösen Schaugipfel zu setzen. Entsprechend fallen jetzt die Versuche, die Protestbewegung durch Spaltung zu schwächen, besonders massiv aus … der schwarze Block ist keine politische Gruppe und hat auch keine Anführer. Die Kugel, mit der Carlo Giuliani gezielt getötet wurde, galt uns allen … Wir, die Leute vom Grenzcamp, sind keine homogene Gruppe, sondern Menschen mit unterschiedlichen politischen und sozialen Hintergründen. Doch für viele von uns ist klar, dass die sog. Globalisierung ein Ausdruck des sich verschärfenden Kapitalismus ist, der nicht verbessert oder nationalstaatlich gezähmt werden kann, sondern abgeschafft werden muss … Konsens ist bei uns außerdem, dass wir in unserem Kampf gegen das herrschende System unsere Mittel selbst bestimmen. Das kann vom Plakatekleben über die Teilnahme an einer Demo bis hin zu militanten Aktionen gegen Abschiebeknäste, Konzerne, Bullen oder Faschisten gehen. Wir legen aber Wert darauf, dass die Aktionen zielgerichtet und politisch vermittelbar sind und keine Unbeteiligten dabei zu Schaden kommen. Wenn das in der Praxis bisweilen nicht gelingt, muss das unbedingt diskutiert werden. Aber wir wehren uns entschieden gegen alle Spaltungsversuche und fordern hiermit alle auf, die in Genua protestiert haben bzw. gern dort gewesen wären, dies ebenfalls zu tun."
Offener Brief des vierten antirassistischen Grenzcamps in Frankfurt an die "Antiglobalisierungsbewegung", August 2001

"Die PDS distanziert sich eindeutig von der Gewaltbereitschaft einiger Protestler. Aber das könne kein Freibrief sein für eine unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt durch die Polizei, die zum Tode eines jungen Mannes führte".
Petra Pau, stellvertretende PDS-Vorsitzende in einem Brief an den italienischen Botschafter

"Wenn in dieser Situation einerseits der Bundesaußenminister keine Unterstützung für die Inhaftierten signalisiert, und gleichzeitig Bundesinnenminister Otto Schily mit seiner Forderung nach einer europäischen Anti-Krawall-Polizei weiter Öl ins Feuer gießt, dann kann das nur als indirekte Zustimmung zu den ‚italienischen Methoden‘ gewertet werden. ATTAC erwartet von der Bundesregierung eine klare Parteinahme für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Freizügigkeit."
Felix Kolb, Sprecher des ATTAC-Netzwerks in Deutschland

"Die Regierungschefs der G8-Staaten bedauerten den Tod des Demonstranten Carlo Giuliani und verurteilten jegliche Gewalt. Zugleich signalisierten die Staatschefs eine Offenheit für den Dialog mit der Zivilgesellschaft und dankten der Erlassjahrkampagne dafür, dass sie die Frage der Entschuldung auf ihre Tagesordnung gesetzt hätten. Um eine Neuverschuldung zu vermeiden, wird in der Erklärung der G7 … angeregt, dass die Weltbank küftig mehr Zuschüsse statt Kredite vergeben sollte, wenn es um die Finanzierung von Projekten in den Bereichen Bildung und Gesundheit gehe. Offensichtlich hat die Erlassjahrbewegung zu solchen neuen Einsichten beigetragen."
Michael Hanfstängel, Afrikareferent des Nordelbischen Missionszentrums, in: EPD 14/2001

"Ich weiß auch nicht, ob es wirklich als Erfolg zu werten ist, wenn sich die Herrschenden jetzt in die Rocky Mountains zurückziehen und dort einen G8-Gipfel am Kaminfeuer abhalten. Das macht die für uns wichtigen Bilder von Protest und riesig großen Zäunen, hinter denen sich diese Leute verschanzen müssen, unmöglich. Doch diese Bilder sind für uns sehr wichtig, weil sie das Phänomen der Delegitimierung der Herrschenden symbolisieren und in die Wohnzimmerstuben bringen."
Thomas Fritz, ATTAC-Berlin, 6.August

"Die Dinge, die auf dem G8-Gipfel diskutiert und beschlossen werden, die richten sich gegen uns, sie haben etwas mit Sozialabbau zu tun. Das rüberzubringen, diese Betroffenheit herzustellen und aus der Betroffenheit letztendlich auch den Kampf zu organisieren, da sind wir gefordert."
Lothar Nätebusch, Vorsitzender der IG BAU Berlin-Brandenburg, 6.August

"Die Vehemenz, mit der Politiker der PDS und der Grünen, voran der darin besonders geübte Bundestagsabgeordnete Ströbele, sowie andere Interessierte das Vorgehen der italienischen Polizei während des Weltwirtschaftstreffens anprangern, kommt nicht von ungefähr. Sie gehört zu den Reparaturarbeiten, mit denen der Unfehlbarkeitsanspruch der Globalisierungsgegner und ihrer Glaubwürdigkeit, die während der Genueser Krawalltage doch gelitten haben, wiederhergestellt werden sollen. Da wird Italien flugs zum finsteren Polizeistaat erklärt, in dem Methoden zur Anwendung kämen, wie sie aus dem Chile der Folterer bekannt seien. Was soviel heißen soll wie: Wo derlei angewendet wird, war und ist Widerstand selbstverständlich legitim einschließlich seiner Primitivform, des Polithooliganismus. Opferlegenden werden gestrickt … Die Unterstellung, die Gewalt sei regelrecht herbeigesehnt worden, um den friedlichen Protest in Verruf zu bringen, ist bizarr. Das gilt auch dann noch, wenn es stimmen sollte, wie behauptet wird, dass die Polizei bei einer nächtlichen Razzia in einer Schule unnötig hart vorgegangen sei und ausschließlich ‚friedliche‘ Demonstranten diese Härte zu spüren bekommen hätten. Brutalität, vor allem wenn sie unprovoziert war, braucht man nicht zu bemänteln, wie wäre auch das Gegenteil von Professionalität. Aber in Genua sah sich die Polizei dauernden Angriffen ausgesetzt. Der Abgeordnete Ströbele mag das anders sehen, aber sie war es nicht, die ein Protestwochenende im Zeichen brennender Autos, von Brandbomben und Plünderungen veranstaltet hat."
Kommentar der FAZ, 27.Juli

"Wir reden hier nicht über Terrorismus, sondern über Gewalt im Kontext sozialer und politischer Proteste. Und für die gilt zweierlei. Erstens: In der Regel richtet sie sich nicht gegen unbeteiligte Menschen, und die eingesetzten Gewaltmittel werden im Vorfeld intensiv und kontrovers diskutiert. (Eine Ausnahme bilden rechte Bewegungen.) Zweitens: Die Gewalt bricht selten plötzlich aus, sondern hat meist einen jahrelangen Vorlauf. In dieser Zeit haben die Politik und Teile der Gesellschaft, die die Deutungsmacht innehaben, offenkundige Probleme erfolgreich verdrängt. Wenn der britische Premierminister Tony Blair überrascht feststellt, er wisse gar nicht, was an der Globalisierung schlecht sei und wogegen die Menschen demonstrieren, kann das eigentlich nur eines bedeuten: Die Kämpfe gehen weiter."
Eberhard Seidel, Taz, 23.Juli

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