Sozialistische Zeitung |
Eigentlich sollte an dieser Stelle eine, natürlich kritische, Lobrede auf Fidel Castro gehalten werden. Seine wunderbar präzise
Bewertung der Regierungsgipfeltreffen der G8-Staaten als ein Treffen von "Sieben Dicken und einem Doofen" hat nicht nur einmal mehr bewiesen, dass
Kürze und Genauigkeit kein Widerspruch sein müssen, sondern auch für die quälende Lektüre Hunderter Flugblätter, Artikel und E-
Mails entschädigt, mit denen weit weniger begabte Autoren aus der "Antiglobalisierungsbewegung" die Ereignisse der letzten Wochen analysieren und
beeinflussen wollten.
Aber der ebenso prächtige Vorschlag des alten Kämpfers, diese Treffen sollten in Zukunft gar
nicht erst, wie von der kanadischen Regierung vorgesehen, ins Hochgebirge flüchten, sondern gleich in einer Raumstation im All abgehalten werden, um sich vor ihren
GegnerInnen zu schützen, hat buchstäblich All-Machtsfantasien ausgelöst.
Und dabei trafen unsere Überlegungen, welche Damen und Herren zu diesem Ausflug ins
Extraterrestrische gleich mitgeschickt werden könnten, auf den zweitschönsten Satz aus diesem Sommer: Ein Spiegel-Artikel fand den Untertitel: "Fast
ohne Gegenwehr lässt sich der Bundestag entmachten." Nanu? Wer ist uns da zuvor gekommen? Wer kapitulierte da schon vor dem großen Streit?
Später folgten noch skurrilere Behauptungen: statt Bundes- oder Reichstag würde es "Schröders Räterepublik" geben und
schon weniger erstaunlich Gregor Gysi höchst selbst wäre angetreten, vor dem Bundesverfassungsgericht die alte Ordnung wieder einzuklagen.
Doch ein genaues Hinsehen lässt wieder Ruhe einkehren: der Spiegel entdeckt mit fast hundert
Jahren Verspätung, die in zahllosen Marxismus-Schulungen verbreitete Erkenntnis, dass die bürgerliche Gewaltenteilung pure Illusion und die
repräsentative Demokratie im Kapitalismus schon lange die Herrschaft von Wirtschaftsbossen, Militärs und Bürokraten bedeutet, die weit weniger
demokratische Legitimierung erfahren als zum Beispiel das zugegebenermaßen bürokratisch erstarrte Herrschaftsmodell in Kuba.
Kanzler Schröder, gerade mal wieder als Terminator der Klassenwidersprüche unterwegs, der
eine Geburtstagsfeier des VW-Personaldirektors dazu nutzt, doch noch das Ausbeutunsverschärfungsmodell "5000 x 5000" beim Volkswagenkonzern ins
Rollen zu bringen, ist fleißig dabei, überflüssige parlamentarische Rituale zu beseitigen. "Kommission Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der
Bundeswehr", "Bündnis für Arbeit", "Zuwanderungskommission", "Kommission zum Übernahmegesetz",
"Nationaler Ethikrat", "Atomkonsens", "Rat für Nachhaltige Entwicklung", "Rat für gegenseitige
Wirtschaftshilfe", "Expertenkommission zur Reform des Unternehmensrechts", "Internationale Expertenkommission Historische Mitte
Berlin" so heißen die neuen Entscheidungsorgane nein, natürlich ist eines davon fälschlicherweise hineingerutscht, Auflösungen
bitte an die Redaktion.
In Wahrheit haben selbst diese Strukturen, die laut Peter Struck noch an die hundert Untergremien haben,
kaum reale Gestaltungsmöglichkeiten, sondern nicken Vorlagen noch kleinerer Runden ab. 80% aller Wirtschaftsentscheidungen fallen zudem auf EU-Ebene und
durch ähnlich oder noch mehr undurchsichtige Strukturen.
Das Parlament ist nur noch ein teures Ritual, das seiner einzigen Aufgabe, den demokratischen Schein zu
wahren, immer weniger nachkommt und nachkommen kann. Da muss dann auch mal der als Amt ähnlich überflüssige Bundespräsident den
Piephahn aufdrehen: "Wir können unsere Antworten nicht delegieren: nicht an die Wissenschaft, nicht an Kommissionen und nicht an Räte."
Besonders peinlich ist es dieser Tage, wo das Parlament über den angeblichen Atomausstieg berät, der bereits vertraglich mit den tatsächlich
Herrschenden ausgehandelt und unterzeichnet wurde. So ist das Parlament, wie es Heiner Geißler korrekt beschreibt: "ein Schwachmatikus-Verein, eine
Ansammlung mittelmäßiger Bürokraten", oder wie in den Worten von Hans-Ulrich Klose (der mit der zur Geissler-Note passenden Idee, dass auf
Demonstrationen nur noch deutschsprachige Transparente zugelassen werden…): "Das Parlament ist auf Funktionieren getrimmt. Unsere Fraktionsführung
erledigt den Job, einen funktionierenden Apparat in Gang zu halten."
Die alte KPD-Linke Ruth Fischer soll ihre Parlamentsreden gerne mit "Hoch verehrte
Schwatzbude" eingeleitet haben. Wir vermissen diese Klarheit heute. Stattdessen will die PDS in Karlsruhe die Leiche bürgerlicher Parlamentarismus
wiedererwecken lassen. Wir schlagen dagegen den Aufbau einer tatsächlichen Rätedemokratie und Entmachtung aller, die dieser entgegenstehen vor. Und
für die Zwischenzeit wünschen wir uns, dass als deutsche Bundestagsdelegation wenigstens die Herren Westerwelle, Bartsch und Merz in die von Castro
empfohlene Raumstation entsandt werden.
Thies Gleiss
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