Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.17 vom 17.08.2001, Seite 15

Mit Ikea nach Moskau

BRD 2001, von Michael Chauvistré. Start: 30.8.2001 (in Programmkinos z.T. schon angelaufen).

Wunderwelt der kapitalistischen Globalisierung: Auch in Russland können die Menschen jetzt die gleichen Möbel kaufen wie in Schweden, Deutschland, den USA und vielen anderen Ländern. Ikea macht‘s möglich. Es entsteht die weltweite Einheitswohnung.
Der Macher des Möbelfilms realisierte auch einen Kurzfilm, in dem man mit Hilfe eines Ikea- Schranks durch die ganze Welt reisen kann. Man steigt in seinen eigenen Schrank und kommt in einem anderen Land bei einer Familie an, die das gleiche Modell besitzt. So gelangt eine Familie aus München nach USA, Russland, Frankreich, Japan, Deutschland — in eine aus Containern bestehende Flüchtlingsunterkunft — und schließich nach Schweden. Dass Möbeleinheitskultur nicht völkerverbindend ist, kann man an der Flüchtlingsunterkunft in der BRD sehen: Trotz gleicher Möbel bleibt die Ausgrenzung bestehen.
Im Dokumentarfilm Mit Ikea nach Moskau werden einem nun zwei solche Globalisierungshelden vorgestellt. Manuela aus Ost- und Ulf aus West-Berlin. Auf ihre Herkunft als "Ossi" legt Manuela großen Wert. Deswegen sei sie hier erwähnt. Beide sind Angestellte besagter schwedischer Möbelhändler und der Film gibt Gelegenheit, sie und ihren 14-jährigen Sohn ein Jahr bei der Vorbereitung der Eröffnung der ersten Moskauer Ikea-Filiale zu begleiten.
Die beiden sind die idealen Angestellten im Sinne ihrer Chefs. Sie leben nur für die Firma. Sie lassen alle Bindungen sausen und gehen für die Firma nach Moskau, sie reden auch in ihrer Freizeit fast nur über die Arbeit, der KollegInnenkreis ist gleichzeitig Freundeskreis und Großfamilie. Als der Ikea-Boss nach Moskau kommt, um die Vorbereitungen für die Filialeröffnung in Augenschein zu nehmen, ist Ulf sehr enttäuscht, nicht an einer Besprechung mit ihm teilnehmen zu dürfen. Man sieht, dass es ihm wirklich nahe geht, nicht mit dem Oberboss reden zu dürfen, auch wenn er um Fassung ringt. Voller Inbrunst singen Angestellte und Chefs das Lied "We are Ikea", das den ganzen Film begleitet. Die Firma als große Familie, von Klassenkampf keine Spur. Lediglich der Chef liest in seiner Moskauer möblierten Wohnung die Werke Lenins und Stalins, die da zufällig noch herumstehen, um die langen Abende abzukürzen.
Ein anderer Mitarbeiter erzählt voller Überzeugung, dass Ikea groß geworden ist, weil früher alle Mitarbeiter, die auf Dienstreise waren, in einem Zimmer und in einem Bett Kopf an Fuß geschlafen haben: "Das Kopf-an-Fuß- Gefühl hat uns groß gemacht."
Zur Erinnerung: Ich rede hier nicht von einem satirischen Spielfilm, sondern von einem Dokumentarfilm. Um dem Publikum einen Vorgeschmack auf die Ikea-spezifische Art von Corporate Identity zu geben, wurden bei einer Open-Air-Vorführung in Bonn am Eingang Ikea-Mützen an die ZuschauerInnen verteilt. Beim Film amüsierte sich das Publikum köstlich. Ulf und Manuela waren die Witzfiguren schlechthin: Wie kann man sich nur so ernsthaft mit seiner Firma identifizieren… Würde uns ja nie passieren… Zwei "dumme Prolls" als Lachnummer für‘s Bildungsbürgertum. Wirklich köstlich!
Als Lehrstück über Corporate Identity und andere Blüten des postrealsozialistischen Kapitalismus ist der Film sicher interessant. Dass zu diesem Zweck aber zwei Menschen per Dokumentarfilm an eine Art Pranger gestellt werden, ist zwar in Zeiten von "Big Brother" nicht unbedingt verwunderlich aber trotzdem abstoßend. Dem Rezensenten, der sonst bei Filmen für fast jeden Gag zu haben ist, blieb das Lachen im Halse stecken.

Andreas Bodden

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