Sozialistische Zeitung |
Wunderwelt der kapitalistischen Globalisierung: Auch in Russland können die Menschen jetzt die gleichen Möbel kaufen wie
in Schweden, Deutschland, den USA und vielen anderen Ländern. Ikea machts möglich. Es entsteht die weltweite Einheitswohnung.
Der Macher des Möbelfilms realisierte auch einen Kurzfilm, in dem man mit Hilfe eines Ikea-
Schranks durch die ganze Welt reisen kann. Man steigt in seinen eigenen Schrank und kommt in einem anderen Land bei einer Familie an, die das gleiche Modell besitzt. So
gelangt eine Familie aus München nach USA, Russland, Frankreich, Japan, Deutschland in eine aus Containern bestehende Flüchtlingsunterkunft
und schließich nach Schweden. Dass Möbeleinheitskultur nicht völkerverbindend ist, kann man an der Flüchtlingsunterkunft in der BRD
sehen: Trotz gleicher Möbel bleibt die Ausgrenzung bestehen.
Im Dokumentarfilm Mit Ikea nach Moskau werden einem nun zwei solche Globalisierungshelden
vorgestellt. Manuela aus Ost- und Ulf aus West-Berlin. Auf ihre Herkunft als "Ossi" legt Manuela großen Wert. Deswegen sei sie hier erwähnt.
Beide sind Angestellte besagter schwedischer Möbelhändler und der Film gibt Gelegenheit, sie und ihren 14-jährigen Sohn ein Jahr bei der Vorbereitung
der Eröffnung der ersten Moskauer Ikea-Filiale zu begleiten.
Die beiden sind die idealen Angestellten im Sinne ihrer Chefs. Sie leben nur für die Firma. Sie
lassen alle Bindungen sausen und gehen für die Firma nach Moskau, sie reden auch in ihrer Freizeit fast nur über die Arbeit, der KollegInnenkreis ist
gleichzeitig Freundeskreis und Großfamilie. Als der Ikea-Boss nach Moskau kommt, um die Vorbereitungen für die Filialeröffnung in Augenschein zu
nehmen, ist Ulf sehr enttäuscht, nicht an einer Besprechung mit ihm teilnehmen zu dürfen. Man sieht, dass es ihm wirklich nahe geht, nicht mit dem Oberboss
reden zu dürfen, auch wenn er um Fassung ringt. Voller Inbrunst singen Angestellte und Chefs das Lied "We are Ikea", das den ganzen Film begleitet. Die
Firma als große Familie, von Klassenkampf keine Spur. Lediglich der Chef liest in seiner Moskauer möblierten Wohnung die Werke Lenins und Stalins, die da
zufällig noch herumstehen, um die langen Abende abzukürzen.
Ein anderer Mitarbeiter erzählt voller Überzeugung, dass Ikea groß geworden ist, weil
früher alle Mitarbeiter, die auf Dienstreise waren, in einem Zimmer und in einem Bett Kopf an Fuß geschlafen haben: "Das Kopf-an-Fuß-
Gefühl hat uns groß gemacht."
Zur Erinnerung: Ich rede hier nicht von einem satirischen Spielfilm, sondern von einem Dokumentarfilm.
Um dem Publikum einen Vorgeschmack auf die Ikea-spezifische Art von Corporate Identity zu geben, wurden bei einer Open-Air-Vorführung in Bonn am Eingang
Ikea-Mützen an die ZuschauerInnen verteilt. Beim Film amüsierte sich das Publikum köstlich. Ulf und Manuela waren die Witzfiguren schlechthin: Wie
kann man sich nur so ernsthaft mit seiner Firma identifizieren… Würde uns ja nie passieren… Zwei "dumme Prolls" als Lachnummer fürs
Bildungsbürgertum. Wirklich köstlich!
Als Lehrstück über Corporate Identity und andere Blüten des postrealsozialistischen
Kapitalismus ist der Film sicher interessant. Dass zu diesem Zweck aber zwei Menschen per Dokumentarfilm an eine Art Pranger gestellt werden, ist zwar in Zeiten von
"Big Brother" nicht unbedingt verwunderlich aber trotzdem abstoßend. Dem Rezensenten, der sonst bei Filmen für fast jeden Gag zu haben ist,
blieb das Lachen im Halse stecken.
Andreas Bodden
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04