Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 31.08.2001, Seite 1

Makedonien

Erster EU-Krieg

Die Bundeswehr zieht mit der NATO in den nächsten Kriegseinsatz. Der Weltöffentlichkeit wird der Feldzug als "Friedenseinsatz" zum "Waffeneinsammeln" verkauft. In Wirklichkeit dürfte er aber einer der gefährlichsten Kampfeinsätze der Bundeswehr werden.
Welche Truppen wird die Bundeswehr beim NATO-Einsatz "Essential Harvest" (bedeutende Ernte) einsetzen? Teile der neuen Kampftruppe "Division spezielle Operationen" (DSO), der auch die Elitekampftruppe "Kommando Spezialkräfte" (KSK) angehört, werden im Rahmen des NATO-Einsatzes in Makedonien eingesetzt. 200 der zuerst 400, dann 500 Bundeswehrsoldaten sind von dieser DSO-Truppe, einer Luftlandebrigade, die schwerpunktmäßig aus Lebach im Saarland stammt. Sie ersetzt nach kurzer Zeit zwei Panzergrenadierkompanien mit Schützenpanzern des Typs Marder, die bisher im Kosovo stationiert sind und nach Makedonien abgezogen werden sollen.
Die für den Einsatz vorgesehenen DSO-Soldaten erhalten derzeit eine zusätzliche Spezialausbildung. Hier werden eindeutige Kampfeinheiten der Bundeswehr oder "schwer bewaffnete Bodentruppen", wie es in einer Agenturmeldung heißt, nach Makedonien geschickt. Mit friedlichen Waffeneinsammeln, hat das wenig zu tun…
Das offizielle NATO-Szenario für die Operation "bedeutende Ernte" ist völlig unrealistisch. Das wissen auch die NATO-Offiziellen. Wenn ein UÇKler mit zwei Waffen käme und er eine wieder mitnehmen wolle, würde die ihm nicht mit Zwang abgenommen. Schließlich gehe es um eine freiwillige Waffenabgabe. Die Waffenabgabe sei vor allem ein "symbolischer Akt", so NATO-Vertreter in Skopje. Eine wirkliche Entwaffnung sei nicht vorgesehen.
Die UÇK gab gegenüber den NATO-Verantwortlichen an, sie wolle 3300 Waffen abgeben. Die makedonische Regierung spricht inzwischen von bis zu 80000 Waffen. Wie kommt es zu solchen Unterschieden, und wie verfährt die NATO damit? Die NATO übernahm die Zahlen der UÇK: Nach den Worten des dänischen NATO-Kommandeurs hätte sich die UÇK bereit erklärt, ca. 2950 Sturmgewehre, 210 Maschinengewehre, 130 Mörser und Anti-Panzer-Waffen abzugeben. Dazu kämen 6 Luftabwehr-Systeme und je 2 Panzer und gepanzerte Fahrzeuge. Außerdem sollten 600 Minen und Handgranaten sowie Granatwerfer-Munition und Munition für kleinere Waffen freiwillig abgegeben werden. Bis Freitag, den 31.August soll ein Drittel dieser Waffen an den schwer bewachten NATO-Sammelpunkten im Norden und Nordwesten Makedoniens entgegengenommen worden sein.
Das britische Militärmagazin Jane‘s Defence Weekly, das normalerweise über militärische Insiderinformationen verfügt, spricht von folgender UÇK-Bewaffnung: 8000 Gewehre, 250 schwere Maschinengewehre, bis zu 200 Mörser und 50 Raketen, die von der Schulter aus abgefeuert werden können.
Auch der Korrespondent der Nachrichtenagentur AP schreibt es klipp und klar: "Die UÇK wird nach allgemeiner Überzeugung nur den geringsten Teil ihrer Waffen an den Sammelstellen der NATO-Soldaten abgeben." Alle wissen, die Einsatzoptionen sind Unsinn, trotzdem wird die NATO-Aktion durchgeführt.
Jetzt wird also "eingesammelt, was man selbst geliefert hat". "An Waffen und Munition herrscht kein Mangel in Mazedonien. Die Krisenregion quillt über von Waffen, Munition und militärischer Ausrüstung aller Art, die ganz offiziell als Hilfen aus NATO-Staaten und anderen Staaten in diese Region geflossen sind", so ein Militärmagazin. "Auch NATO-Länder haben Mazedonien als Müllhalde für ihre alten Rüstungsgüter missbraucht", so die Mainzer Allgemeine Zeitung. Rechnet man die Kosten des MFOR-Einsatzes auf die einzelne abzugebende Waffe um, kommt man auf exorbitante Summen pro Waffe.
Die Zusammensetzung der NATO-Truppe der Operation "Essential Harvest" sagt vieles aus: Großbritannien stellt das größte Kontingent mit 1200 Soldaten, Frankreich hat 1100 Soldaten abgestellt. Aus Italien kommen 600 Soldaten, aus dem benachbarten Griechenland 400, aus den Niederlande und Kanada je 200 Soldaten, die Türkei und Spanien stellen jeweils 150, die Tschechische Republik 125, Belgien 100, Norwegen 12 und Polen 6 Soldaten. Ungarn stellt zudem 50 zivile Heeresfachleute, die Erfahrungen bei Waffenvernichtung haben.
Die USA stellt keine Truppen für den Interventionseinsatz zur Verfügung. Das ist sehr bezeichnend: Die USA haben ja auch die UÇK im Wesentlichen hochgerüstet, ca. 70% der UÇK-Bewaffnung stammen aus den USA.
Aus der Zusammensetzung der Truppe bei der Makedonien-Mission lässt sich noch mehr lesen: "Mazedonien ist der Testfall für die gemeinsame europäischen Außen- und Sicherheitspolitik", schreibt die Frankfurter Rundschau. "Die EU hat das Konzept einer politischen Lösung verfolgt und in schwierigen Verhandlungen durchgesetzt. Geht das schief, könnte das auch eine Krise in Brüssel auslösen. Und auch der Unterauftrag an die NATO ist in seiner Weise ein Testfall. Die Truppe nämlich ähnelt in Zuschnitt, Auftrag und Kommandostruktur auffallend jener EU-Eingreiftruppe, die ab 2003 der europäischen Außenpolitik einen militärischen Arm beigeben soll."
In der makedonischen Regierung wird vermutet, dass die Makedonier "die Leidtragenden des anhaltenden Konflikts zwischen den USA und der EU um eine eigenständige Sicherheits- und Außenpolitik" seien. So unrealistisch ist dieses Szenario nicht.
Kurz vor Redaktionsschluss ist nach Agenturangaben der erste britische Soldat beim NATO-Einsatz durch Steinwürfe aufgebrachter Makedonier ums Leben gekommen. NATO-Generalsekretär George Robertson bezeichnete den Tod des 22-jährigen Soldaten als "absurd" angesichts der Tatsache, dass die NATO-Truppen in Makedonien seien, um den Menschen und Regierung bei einer friedlichen und dauerhaften Lösung der Krise zu helfen.

Tobias Pflüger

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