Sozialistische Zeitung |
Der Kampf um gleiche Rechte für Frauen und Männer ist alt. Immer wieder waren es Frauen, die sie für sich
einforderten, während (die meisten) Männer mit der gespaltenen Gesellschaft offensichtlich gut lebten. Ohne die Akteurinnen der "alten" und der
"neuen" Frauenbewegung die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die Auseinandersetzungen um Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit
immer wieder geführt worden sind, wären Frauen nicht da, wo sie jetzt sind.
Frauen haben um die Teilhabe an der qualifizierten und existenzsichernd bezahlten Erwerbsarbeit lange
gerungen. Sie haben de jure die Gleichberechtigung erlangt. Die ist durch Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes festgelegt. Das haben wir vor allem dem mutigen Kampf der
Sozialdemokratin Elisabeth Selbert und ihrer Genossin Frieda Nadig, zu verdanken, die gegen die Empörung der Abgeordneten aus allen Fraktionen beharrlich
blieben. Seit 1949 heißt es eindeutig: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Und seit 1994 (nach der Wiedervereinigung) heißt es
zusätzlich: "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung
bestehender Nachteile hin."
Der Kampf für die Umsetzung des Rechts auf Gleichberechtigung dauert bis heute an. Elisabeth
Selbert bezeichnete es 1980 in einem Interview als "permanenten Verfassungsbruch", dass die Realität anders aussieht, als die Gesetzeslage und dass
Frauen selbst bei gleicher Qualifikation immer noch weniger Lohn bekommen. Viele Frauen sind auch heute noch auf den unteren Ebenen der betrieblichen Hierarchien zu
finden und für (viele) Männer scheint es immer noch selbstverständlich, dass Frauen ihnen dienen und sie bedienen. Macht- und einflussreiche Posten
werden nach wie vor durch Männer besetzt. Frauen stehen immer noch weniger Sitze in den Parlamenten zur Verfügung. Viele Frauen sind in
geringfügigen, ungeschützten Jobs oder in Teilzeitarbeit mit niedrigen Löhnen und unzureichenden sozialen Leistungen zu finden. Mindestens zwei
Drittel der unbezahlten "ehrenamtlichen" Arbeiten im Sozial- und Gesundheitsbereich werden von Frauen ausgeführt. Nicht selten machen Frauen, auch
wenn sie berufstätig sind, (fast) die gesamte Hausarbeit, (viele) Männer helfen bestenfalls mit. Zählebige Männerbünde und
"gläserne Decken" sowie offene und geheime Ausschlussverfahren sorgen dafür, dass Frauen an bestimmte Positionen gebunden und von
einflußreichen und angesehenen Posten fernhalten werden. Die traditionelle Gleichstellungspolitik hat ganz offensichtlich das Ziel der Ebenbürtigkeit zwischen
den Geschlechtern nicht annähernd erreicht. Und dies obwohl Frauen sich Zugang zu Universitäten, Parlamenten und zu (fast) allen Berufen erkämpft
haben und obwohl die Zahl der qualifizierten Frauen ständig steigt.
Das neue Zauberwort heißt Gender Mainstreaming. Es bezeichnet ein wichtiges Instrument, das mit dem Ziel eingesetzt werden soll, Frauen und Männer an
allen gesellschaftlichen Bereichen gleichermaßen zu beteiligen also eine radikale Gleichstellungspolitik. Übersetzt hieße es: "Einbeziehung
der Gleichstellung von Mann und Frau in alle Politikbereiche". Für die Bundesrepublik bedeutet Gender Mainstreaming nichts anderes als der notwendige
Verweis auf Art.3 Abs.2 des Grundgesetzes und dessen längst fällige Umsetzung.
Der Begriff wurde 1992 zusammen mit der in Rio de Janeiro verabschiedeten Agenda 21 und auf der
Weltfrauenkonferenz der UNO 1995 in Peking geprägt. In die Entwicklungspolitik hat das Schlagwort schon vor mehr als zehn Jahren Eingang gefunden. In diesem
Bereich stehen Gendertraining und Genderanalysen auf der Tagesordnung.
Die Europäische Union hat mit dem Amsterdamer Vertrag von 1996 Frauenpolitik als
Querschnittsaufgabe etabliert und mit der Bezeichnung "Gender Mainstreaming" ein Instrument auf den Weg gebracht, das die Gleichstellungsperspektive in
allen Politikfeldern und bei allen nationalen Aktionsplänen (NAP) berücksichtigen soll.
In einigen EU-Ländern wird Gender Mainstreaming schon lange praktiziert. Die skandinavischen
Länder sind offensichtlich Vorreiter. Schweden z.B. fördert Gender Mainstreaming seit 1994 in allen Bereichen. Jede Regierungsmaßnahme wird auf ihre
geschlechtsspezifische Wirkung hin überprüft. In den Niederlanden wurde seit 1994 das Gender Impact Assessment (GIA) für ministerielle Vorhaben
entwickelt. Der Aktionsplan für 19992001 enthält pro Ministerium mindestens drei Projekte, auf die das GIA anzuwenden ist. In Norwegen wird seit
1996 daran gearbeitet, Gender Mainstreaming bei Projekten der Ministerien umzusetzen. Darüber hinaus wurde ein Ausschuß von StaatssekretärInnen
zur Förderung und Kontrolle des Mainstreaming gebildet. In Finnland existiert seit 1998 ein Aktionsprogramm der Regierung, das u.a. eine Erprobung des Gender-
Mainstreaming in den Ministerien vorsieht.
Mit dem Rückenwind der EU hat die Gleichstellungspolitik auch in der Bundesrepublik neuen
Auftrieb erhalten. In der EU-kofinanzierten Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik (Europäischer Strukturfond ESF) ist die Berücksichtigung von GM
explizit für alle zu fördernden Projekte und Maßnahmen verbindlich vorgeschrieben. Die Hoffnung von Frauen, dass nunmehr gleichstellungspolitische
Anliegen in der Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik zielgerichteter und systematischer vorangebracht werden können, hat sich jedoch leider nicht erfüllt. Auf einer
Tagung in NRW klagten die in den Regionalstellen "Frau und Beruf" Tätigen darüber, dass sie trotz allem oft die einzigen Akteure sind, die
gleichstellungspolitische Anliegen in die Diskussion einbringen. An der Mittelvergabepraxis hat sich bislang nur wenig geändert. Das soll künftig anders
werden.
Die Bundesregierung hat in ihrem Kabinettbeschluss vom 23.6.1999 zum bundesweiten Programm
"Frau und Beruf" das Gender Mainstreaming als durchgängiges Leitprinzip benannt und die Förderung dieses Ansatzes in der Regierungsarbeit
beschlossen. Bei Gesetzen, Programmen und Projekten soll künftig gefragt werden, wie sie sich auf Frauen und Männer auswirken und ob sie zur
Chancengleichheit beitragen. Im Nationalen beschäftigungspolitischen Aktionsplan 2000 ist GM ebenfalls festgeschrieben.
Die Reaktionen von Männern variieren von der Frage, was am Gender Mainstreaming neu sei, über Äußerungen, das Konzept sei zu vage, bis hin
zum Lächerlichmachen des Ansatzes. Solche Reaktionen werden auch im Zusammenhang mit dem "Bündnis für Arbeit" berichtet. Daher ist
es notwendig, immer wieder zu betonen, dass GM Frauen und Männer angeht. Gender Mainstreaming sieht die Gleichstellungspolitik als Querschnittsaufgabe, der
sich Männer und Frauen gleichermaßen zu stellen haben.
Geschlechterfragen müssen zum integralen Bestandteil des Denkens, Entscheidens und Handelns
aller Beteiligten werden, nicht nur der für Frauenbelange zuständigen Stellen. Dass dies nur gelingt, wenn genügend Frauen an den Entscheidungen
mitwirken, versteht sich von selbst. Es gilt, in allen Bereichen männliche Strukturen aufzubrechen. Deshalb will das Konzept auch ausdrücklich Männer
als Akteure beim Aufbau einer geschlechtergerechten Gesellschaft beteiligen und verpflichten. Die Genderfrage darf nicht (wieder) zu einer reinen Frauenfrage werden. Eine
spezielle Förderung, die Frauen befähigt, in verantwortliche Positionen zu gelangen und sie kompetent auszufüllen, ist damit keineswegs
überflüssig, sondern Teil des Mainstreaming-Ansatzes. Frauenpolitik verlangt von nun an von Männern und Frauen jedoch eine gleiche Verantwortung.
Das wird nur funktionieren, wenn die Organisationsspitzen Gender Mainstreaming zu ihrer Aufgabe machen, und alle Beschäftigten umfassend informiert und geschult
werden.
Das reicht jedoch auch nicht aus, denn eine Gleichstellung der Frauen im Berufsleben ist ohne
stärkeres Engagement der Männer im familiären Bereich kaum zu haben. Männer müssen die Chance bekommen, Haus-, Sorge- und
Pflegearbeiten im "privaten" Bereich zu übernehmen. Und so zeigt sich (wieder einmal) wie politisch das "Private" ist und wie notwendig der
Blick auf die Arbeit als Ganzes ist.
Ohne Veränderung der Arbeitsorganisation in den Bereichen, in denen gesellschaftlich notwendige Arbeit geleistet wird, also der Haus- und Sorgearbeit und der
Erwerbsarbeit, und ohne Maßnahmen zur Entpatriarchalisierung der Erwerbsarbeit, die dazu führen, dass Frauen und Männer den gleichen Zugang zu
Ausbildungsgängen, die gleichen Chancen zur Übernahme einer qualifizierten, die eigene Existenz sichernden, sinnvollen Berufsarbeit und den gleichen Zugang
zur beruflichen und politischen Weiterbildung sowie zur Übernahme politischer und öffentlicher Ämter haben, wird es in der Zukunft nicht mehr gehen.
Ohne die Quote wären heute nicht so viele Frauen in politischen, gewerkschaftlichen, staatlichen und öffentlich-rechtlichen Gremien. In einigen
Bundesländern gilt die Regelung, dass Bewerberinnen mit gleicher Qualifikation bei Einstellung und Beförderung im Öffentlichen Dienst so lange zu
bevorzugen sind, bis in den jeweiligen Bereichen ein Frauenanteil von 50% erreicht ist. Seitdem bewerben sich viel mehr Frauen auf Positionen. Die private Wirtschaft
wehrt sich gegen solche Regelungen, obgleich einige Firmen durchaus davon überzeugt sind, dass ein höherer Frauenanteil in der Belegschaft ihnen
Wettbewerbsvorteile beim Kunden verschaffen kann. Ein effektives Gleichstellungsgesetz mit verbindlichen Regelungen für die Privatwirtschaft hat die
Bundesregierung obwohl im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen 1998 angekündigt nicht verabschiedet.
Die Zweifel, die Frauen immer wieder äußern, ob und wie viel Neues Gender Mainstreaming
für ihre Gleichstellung bringen kann, sind durchaus berechtigt. Im Ohr haben sie die Warnungen europäischer Frauenpolitikerinnen vor einer Aushöhlung
der Frauenförderung unter dem Dach des Mainstreaming. NGO-Frauen warnen vor einem "Streamlining", also einem stromlinienförmigen An- und
Einpassen von Frauenanliegen. Wirkungsvoll wird GM erst dann, wenn der Diskurs nach gleicher Beteiligung mit der Frage verbunden wird, wie sich Wirtschaft und Politik
ändern sollen und welche Formen des Arbeitens und Zusammenenlebens wir anstreben.
Konsequentes GM hieße, dass bspw. die vielzitierte Vereinbarkeit von Kindern und
Berufstätigkeit kein Frauenproblem mehr sein darf, ebenso wenig wie die Vereinbarkeit von Angehörigenpflege und Berufstätigkeit. Das hätte
Konsequenzen für die Arbeitsgestaltung, Arbeitsorganisation und die Arbeitszeiten in der Erwerbsarbeit, in den Familien und in anderen Formen des
Zusammenlebens. Letzten Endes müssen die Strukturen, die heute beide Arbeitsbereiche determinieren, grundsätzlich in Frage gestellt werden. Das Modell
"Haupternährer und Zuverdienerin", an dem die meisten Politikbereiche noch immer orientiert sind, taugt jedenfalls nicht für Gender
Mainstreaming.
Die Probleme, die sich aus dem geschlechtlichen Verteilungskampf um existenzsichernde Arbeit ergeben, werden durch GM ebenso wenig gelöst wie die immer noch
bestehenden Ost-West-Differenzen und die Ausgrenzung von Erwerbslosen, Niedriglohnbeziehenden, Sozialhilfebeziehenden u.a. Gender Mainstreaming ändert
nichts an den betrieblichen Hierarchien und nichts an den bestehenden Entscheidungs- und Machtstrukturen. Sie wären lediglich nicht mehr geschlechtsspezifisch
besetzt.
Die Globalisierungsprozesse führen u.a. zu einer Vervielfältigung der Differenzen und zu
neuen Hierarchien auch zwischen Frauen. Dabei bestimmt die Zugehörigkeit zur Nationalität, Ethnie und Klasse entscheidend die soziale Position wie auch das
Selbstbild der Subjekte. "Geschlecht" löst sich freilich als Klassifikationssystem nicht auf. Dennoch wird in Folge der sozioökonomischen
Umstrukturierungen die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in verstärktem Maße sozial und rassistisch überlagert, was zu neuen Machtstrukturen
führt.
Letztlich wird Gender Mainstreaming ohne eine Neuverteilung und Neubewertung und Neugestaltung von
(jetzt) bezahlt geleisteter und (jetzt) unbezahlt geleisteter gesellschaftlich notwendiger und nützlicher Arbeit nicht gelingen. Der unbezahlte Bereich der Arbeit wird
von den meisten Konzepten des GM bis jetzt nicht erfasst. Es ist aber wichtig zu berücksichtigen, unter welchen Bedingungen Frauen und Männer arbeiten und
auch, was beide Geschlechter neben ihrer Erwerbstätigkeit zusätzlich leisten. Zu den notwendigen strukturellen Voraussetzungen für GM gehört
deshalb eine radikale Arbeitszeitverkürzung im Bereich der Vollzeiterwerbsarbeit, verbunden mit einem Abbau von Überstunden. Sie muss einher gehen mit
einer Neuverteilung der unbezahlten Arbeiten auf beide Geschlechter. Schließlich geht es um die Möglichkeit der Teilhabe von Frauen und Männern am
ganzen Leben.
Es ist eine Binsenweisheit, und doch sind wir von der Verwirklichung weit entfernt: Damit Männer
und Frauen eine gesellschaftlich organisierte, existenzsichernd bezahlte Arbeit ausführen können, und damit Kinder soziale Kompetenzen und liebevollen
Umgang miteinander einüben können, gehört es auch zum Mainstreaming, dass Kinderkrippen, Kindergärten, Ganztagsschulen, Kinderhorte,
Einrichtungen für Jugendfreizeiten u. a. soziale Infrastrukturen ausreichend und pädagogisch sinnvoll bereitgestellt werden. Es geht auch um eine
Entideologisierung der häuslichen Versorgung. Zu fordern sind menschenwürdige Einrichtungen für die Sorge und Pflege von alten Menschen und
anderen, die sich nicht (mehr) selbst helfen können, nach ihren Wünschen und Vorstellungen. Es muss über Alternativen nachgedacht werden, wie Teile
der Hausarbeit anders gestalten können, damit die Emanzipationsbemühungen von besser verdienenden Frauen nicht auf Kosten von Frauen gehen
meist kommen sie aus anderen Ländern , die als Putzhilfen oder Dienstboten in ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Die
geschlechtshierarchische Arbeitsteilung wird durch solche "Modelle" nicht aufgehoben, sondern es entstehen zusätzlich neue Unterschichtungen
unter Frauen.
Gender Mainstreaming ist ein notwendiges und nützliches Instrument um die längst fällige Ungleichbehandlung zwischen den Geschlechtern abzubauen.
Ausreichen wird es nicht.
Wir und damit meine ich alle diejenigen, die mit der bestehenden Arbeits(ver)teilung nicht
zufrieden sind können es nicht einfach bei der Forderung nach den gleichen Möglichkeiten im Mainstream zu schwimmen, belassen. Denn das
hieße, Frauen (und Männer) wollen nicht mehr und nichts anderes. Auch Frauen entwickeln Geschick darin, selbst oben zu schwimmen und andere
unterzutauchen, ohne Rücksicht auf Verluste.
Es braucht Frauen und Männer die mit den herrschenden Verhältnissen nicht einverstanden
sind, die Macht nicht mit Unterdrückung verbinden. Unsere Überlegungen dürfen also nicht dabei enden, dass Frauen die Hälfte vom schimmligen
Kuchen wollen oder die Hälfte der Fensterplätze auf der im Mainstream untergehenden Titanic. Wir werden einen anderen Kuchen backen müssen.
Gegen-Macht im Mahlwerk der neoliberalen Globalisierung wird ebenso notwendig wie Mit-Macht.
Gisela Notz
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
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