Sozialistische Zeitung |
Krankheit zu besiegen war das Versprechen der Gentechnologie, das die 1984 eingesetzte Enquetekommission des Deutschen Bundestages
über "Chancen und Risiken der Gentechnik" besonders beeindruckte. Die Ergebnisse dieser Kommission schufen der Technologie in der BRD breite
Akzeptanz und massive politische Unterstützung. Man lese genau: Nicht nur einzelne Krankheiten sollten geheilt werden können, sondern man versprach,
nunmehr zur Ursache von Krankheit überhaupt vordringen und sie beseitigen zu können. Diese Ursache seien, so wurde behauptet, gestörte Gene. Sie
würden durch richtig funktionierende ersetzt und niemand müsse mehr an Krankheiten sterben. Als die Erfolge ausblieben, legte die Industrie 1992 nach: Mit
Unterstützung einiger Prominenter (u.a. Bischof Lehmann, der sich jetzt so arg über den Zugriff auf Embryonen durch eben diese Technologie beschwert)
erklärte sie in einer Anzeigenserie: "Nur mit Gentechnik haben wir im Kampf gegen Krebs, Aids und Herzinfarkt eine Chance". Die Idee nannte sich
somatische Gentherapie und hat bis heute zwar einige Tote aber keinerlei Heilungsverfahren hervorgebracht.
Das ist eines der Beispiele, an denen das Menschenbild erkennbar wird, das mit der Gentechnologie engstens verbunden ist: Menschen werden als die Summe ihrer Gene
verstanden. Auch da muss man wieder ganz genau hinsehen und -hören. Im Fachdiskurs hat man sich längst von den schematischen Sichtweisen verabschiedet,
die "Gene" als feste Abschnitte auf der DNA definieren. Nur noch in bunten Computeranimationen fürs mehr oder weniger bewusst für dumm
verkaufte Publikum wird eine Darstellung gewählt, in der man dort Sequenzen herausschneidet, durch neue ersetzt und alles im Griff hat.
Längst ist klar, dass "Gen" bestenfalls ein Konzept ist, ein Satz von Vermutungen
darüber, wie bestimmte Erbinformationen funktionieren könnten "könnten", wissen tut das keiner. Ein "bestimmtes"
Gen kodiert keineswegs immer für das gleiche Eiweiß und mal kodieren auch für das gleiche Eiweiß verschiedene "Gene"; Gene sind
weder ortsfest (es gibt "springende Gene", die mal hier und mal da sein können) noch gegen andere abgrenzbar (es gibt "eingelagerte Gene",
die völlig von einem einzigen anderen Gen umschlossen sind, und "überlappende", die sich mit einem oder mehreren anderen
überschneiden). Das Konzept "Gen" umfasst nur 25% der DNA, vom Rest wird behauptet, er sei für nichts da, nur evolutionärer
Müll, "junk DNA". Man hat eine Vorstellung davon, dass Gene, eventuell sogar das ganze "Genom" bei der Vererbung und den
täglichen Körperprozessen interagieren, aber keinerlei Ahnung, wie dies geschieht. Gar mancheR GenetikerIn nimmt für sich in Anspruch, eine
"ganzheitliche" Sicht auf den Menschen zu haben.
Aber auch das ist eine Sicht auf ein System. Das System besteht aus Teilen, auch wenn deren Abgrenzung
und Funktion unbegriffen ist, aus Material, auf das zugegriffen, das ersetzt, verändert, benutzt werden kann. Das System hat zu funktionieren, tut es das nicht, wird es
repariert, misslingt dies, wird es ausgemustert und durch ein besseres ersetzt. Es sind keine Zufälle und auch keine Auswüchse profitgieriger Hirne, wenn
Forscher Ersatzorgane in Mensch-Schweine-Chimären oder Reparaturgewebe aus embryonalen Stammzellen oder gar ganze Ersatzteillager als geklonte Embryonen
züchten wollen. Das liegt in der Logik der Technologie und ihres Menschenbilds; so wie es in der Logik der Transplantationsmedizin liegt, sog.
"Ganzköpertransplantationen" vorzunehmen, d.h. von einem "gesunden" Kopf wird ein "kranker" Körper am Hals
abgetrennt und durch einen "gesunden" ersetzt. In den USA gibt es konkrete Vorbereitungen dafür; auch deutsche Forscher wie der Bonner Professor
Detlef Linke halten das ethisch für unproblematisch.
Keine Politik, kein gesellschaftlicher Konsens kann, wenn der Weg erst einmal beschritten ist, hier noch
sinnvolle, allgemein begründbare und für alle (zumindest fast alle) nachvollziehbare Grenzen setzen. Der nächste Schritt ist immer klein, unterscheidet
sich in der Qualität kaum vom vorhergehenden. Die Geschichte der Technologie ist eine unendliche Reihe von kleinen Grenzüberschreitungen Setzen
neuer Grenzen weit in der Ferne und Überschreiten eben dieser, sobald der technische Fortschritt dort angekommen ist.
Gentechnologie ist Tabubruch als Methode. Das hängt nicht vom aktuellen kapitalistischen Gebrauch der Technologie ab (obwohl die Möglichkeit, damit
reichlich Geld zu verdienen, sicherlich ein starker Anreiz ist), sondern davon, dass die Technologie als solche Körper, Körperstücke und
Flüssigkeiten in Material verwandelt. Damit ist die Grenze der Technologie diejenige der technischen Möglichkeiten des Materials.
Wieder bedarf es eines sehr genauen Blicks auf die Konsequenzen dieser Aussage. Es scheint keine
besondere Bedeutung zu haben, dass Köperflüssigkeiten wie Blut aus ohnehin genommenen Proben oder Körperteile von Leichen zu wissenschaftlichen
Zwecken benutzt wurden. Und lange hatte es das auch nicht. Aber als die Technologie bestimmte Möglichkeiten eröffnete, änderte sich das.
Wieso denn dann nicht "Leiche" neu definieren, wie es das Hirntodkonzept für
Sterbende tut, um den Zugriff zu sichern oder wie es viele Wissenschaftler für komatöse, nicht sterbende Menschen fordern? Wieso dann nicht in die
Autonomie und körperliche Integrität Nichteinwilligungsfähiger eingreifen, um ihnen ohne Zustimmung und Information Blut zu Forschungszwecken
abzunehmen, deren Ergebnisse ihnen nie nützen werden?
So praktiziert über Jahre seitens des Humangenetischen Instituts der Universität
Würzburg im Behindertenstift St.Josef in Eisingen. Warum dann nicht Frauen mit finanziellen Anreizen, die für Arme oft wie Zwänge wirken, dazu
bewegen, sich der körperlich und psychisch problematischen Prozedur der Eizellspende zu unterziehen? Wenn wir lebende Körper "optimieren",
warum dann nicht ungeborene? Warum dann nicht Selektieren in der Petrischale, Qualitäts- und später vielleicht Merkmalskontrolle als erste Hürde auf
dem Weg ins Leben?
Ist in so einer Welt Peter Singers Argument nicht nachvollziehbar, dass es vernünftige, für
Dritte nachvollziehbare ethische Gründe nicht mehr gibt, warum bestimmte, schwerstbehinderte Babys leben sollten? Ihre Geburt wäre, wäre ihre
mangelnde "Qualität" aufgefallen, doch ohnehin verhindert worden. Da ist nicht ein inhumaner, kalter Philosoph wegen seiner Tierliebe einfach
durchgeknallt, da hat jemand lediglich die Technologie und die ihr eigene Rationalität konsequent zu Ende gedacht. Körperliche Integrität, individuelle
Selbstbestimmung, Schutz der Schwachen, gesellschaftliche Demokratie haben darin so wenig Platz wie ein von Dritten nicht zum Zweck gemachtes Leben.
Utilitaristische Philosophie und technische Machbarkeitsvorstellungen sind legitime Zwillinge: Die
Technologie betrachtet ihr Material und wieder einmal was damit möglich scheint. Es waren die Heilsversprechen, die die somatische Gentherapie
ermöglichten; dass nichts daraus wurde, holt die Technologie nicht wieder zurück. Es sind Heilungshoffnungen, die heute zum Zugriff auf embryonale
Stammzellen animieren. Ob je eine einzige Anwendung daraus entstände, weiß niemand.
Dagegen ist die utilitaristische Philosophie konkret und ihre Wirkungen spielen in der Gegenwart: Die
Embryonen würden ja ohnehin weggeworfen, also könnten sie auch benützt werden, sagt Ethik-Rambo Clement. Die Wachkoma-Patienten würden
vermutlich sowieso sterben, begründeten Ärzte und Ethiker 1997 ihren Vorschlag, diese Menschengruppe verhungern und verdursten zu lassen. Weil das ein zu
schlechtes Kosten-Nutzen-Verhältnis ist, werden alten Menschen in Großbritannien bestimmte Behandlungen wie z.B. Dialyse nur noch gegen Privatzahlung
gewährt. Das scheint zwar nicht alles unmittelbar mit Gentechnologie zu tun zu haben, ist aber logische Folge eines Welt- und Menschenverständnisses,
für das der Zugriff auf Ressourcen, genetische Ressourcen eben, zentral ist.
Und dem sich eben deshalb alles, was sich nicht wehrt, unter der Hand auch zur Ressource wird. Dabei ist
die Möglichkeit der Patentierung solcher "Ressourcen" wie menschliche Gene, indigenes Wissen, lokale Pflanzensorten in der Tat die kapitalistische
Umsetzungspraxis des technisch induzierten Blicks. Die Verwandlung lebendiger Pflanzen, Tiere, Menschen in Ressourcen aber, also etwas unmittelbar und
ausschließlich auf die Interessen Dritter hin Definiertes, ist direkter Ausfluss der Technologie. Wer als Problem definiert, dass eine einzelne Pflanzensorte einen
bestimmten Ertrag geben muss, für den ist ein Anbausystem, das seinen Nutzern Nahrungssicherheit jenseits von Höchsterträgen garantiert, keine
Lösung. Die Elemente dieses Systems sind aber interessant, um ihre einzelnen Eigenschaften in eigene, technische Lösungen einzubauen. Wer als Problem
definiert, Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu heilen, für den ist eine andere Ernährung keine Lösung, wohl aber sind die Gene widerstandsfähiger
Menschengruppen oder wenig belastender Nahrungsmittel Ressourcen.
Auch Wildpflanzen, ja ganze Ökosysteme sind lediglich Ressourcen. Was real heute schon durch
Gentechnologie mit ihnen geschieht, ist alles reparabel: Kreuzen gentechnisch hergestellte Eigenschaften aus, findet man technische Lösungen. Geht Vielfalt verloren,
stellt man im Labor neue her. Entstehen resistente Schädlinge, schafft man Gegenmittel. Dass solche Entwicklungen sich als nicht rückholbar erweisen
könnten und einige das auch sein werden ist unübersehbar. Sie müssen also vor ihrem Eintreten verhindert werden. Das geht nur durch
den Ausstieg aus der gesamten Technologie. So wie das einzige sichere Atomkraftwerk dasjenige ist, das nicht gebaut wird, ist die einzige in ihrer Wirkung eingrenzbare
gentechnologische Anwendung diejenige, die nie stattfindet.
Werner Rätz
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04