Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 31.08.2001, Seite 11

Zu allem bereite Söldner

Welche Ordnungskräfte agierten wie in Genua?

Kaum lag der interne Untersuchungsbericht aus seinem Haus vor, reagierte der Innenminister prompt: der stellvertretende Polizeichef aus Rom, der Polizeipräsident von Genua und der Chef der Antiterroreinheiten wurden ihrer Ämter enthoben. Dem Vernehmen nach geschah dies auf Druck von Berlusconi, der einen irreparablen Imageschaden vor allem gegenüber dem Ausland fürchtete.
Die Reaktion war ein wütender Protest aus den Reihen der Polizei, die vor allem die Amtsenthebung des stellvertretenden Polizeichefs übelnimmt, und ein interner Kampf um die Schuldzuweisung, der bis heute anhält. In diesem Kampf erweist sich, dass die Polizeikräfte alles andere als politisch einheitlich sind, es gibt mindestens vier, wenn nicht mehr, gewerkschaftliche Organisationen in der Polizei, und ihre Orientierung geht von Mitte-Links bis rechtsaußen. Es steht zu hoffen, dass dieser Zustand die Aufdeckung der Wahrheit über das, was in Genua gelaufen ist, erleichtert. Jedenfalls finden sich immer weitere aussagewillige kritische Polizisten, die auspacken.
Die Tageszeitung von Rifondazione Comunista, Liberazione, hat einige dieser Stimmen zu Wort kommen lassen. Sie beklagen immer wieder, dass die Polizei zum Sündenbock gestempelt wird, die größere Verantwortung aber auf den Carabinieri und den Sondereinheiten laste, die direkt dem Kommando des Innenministers unterstehen. Hier einige Auszüge, die verschiedene Entwicklungen beleuchten:

Die Militarisierung der Polizei

"Während der Vorbereitungen zum Gipfel brachen in einigen Teilen der Polizei wieder Neigungen zur Dreistigkeit aus, die sich vom Wahlsieg der Rechten ermutigt fühlten. Es entstand ein vergiftetes und gefährliches, gleichwohl unsicheres Klima, als die Zeitungen zum Alarm gegen die Anti-Globalisierungs- Protestler aufriefen und davon redeten, die Pläne für den Sturm auf die ,rote Zone‘ würden auch die Geiselnahme von Polizisten vorsehen. In den Tagen zirkulierte in den Kasernen ein Dokument, das die Unterschrift der Gewerkschaftsgruppe Siulp (Teil der bürgerlichen Gewerkschaft UIL) der VIII.Abteilung trug. Es schien, als müsse man es nicht besonders ernst nehmen, und es war auch verwunderlich, dass es die Unterschrift der Siulp trug, eine Gewerkschaft, die sich große Verdienste im Kampf um eine Polizeireform und die gewerkschaftliche Organisierung von Polizisten erworben hat, auch wenn sie heute eine konservative Führung hat. Der Text trug die Überschrift: ,Kraft und Ehre.‘ Darunter stand: ,Die Gladiatoren.‘ Der Text enthielt Sätze von einer autoritären Sprache, die von der Denkweise der Mehrheit der heutigen Polizisten meilenweit entfernt ist.
Zum Beispiel den: ,Wir können sicherstellen, dass auch wir in Genua unseren Beitrag leisten, nicht weil wir an die Stelle der Hüter der öffentlichen Ordnung treten wollen, sondern weil wir den Diensthabenden beistehen wollen, die den Auftrag haben, auf dem Feld der Straße der neuen Barbarei entgegenzutreten.‘ ,In Ehren werden wir unser Versprechen einlösen, der Nation treu zu dienen; mit der Macht der Entschlossenheit und des Rechts werden wir den Auftrag zu Ende führen, den auszuführen wir ausgezeichnet wurden.‘ In der Schule Diaz hat sich meines Wissens gerade eine Gruppe von Männern hervorgetan, die dieser Abteilung der ,Gladiatoren‘ angehörten. Das waren alles Rambos, die der Polizeipräsident vier Monate zuvor eigenhändig und sorgfältig aus verschiedenen Einheiten ausgewählt hat. Eine zu allem bereite Söldnerbrigade. Die Wahl lässt sich nur mit der politischen Indoktrinierung erklären, die zentrale operativen Einheiten der Staatspolizei erfahren haben."
Soweit ein Polizist, der bei der CGIL, der größten italienischen Gewerkschaft, organisiert ist. Der verantwortliche Gewerkschaftssekretär der Siulp hat erklärt, der Text sei eine Antwort auf ein Dokument der autonomen und rechts bis extrem rechts orientierten Polizeigewerkschaft Sap gewesen, die vom Innenminister den Einsatz von Wasserwerfern und anderen Geräten gefordert hat.
Aus anderer Quelle wurde bekannt, dass die VII.Abteilung des Mobilen Einsatzkommandos politischen Eigungstests unterzogen wurde, die dazu dienten, die Polizisten mit der "richtigen politischen Haltung" herauszufiltern.

Die Verselbstständigung der Carabinieri



Ein 30-jähriger Polizist, der anonym bleiben will, erzählt: "Es gab Koordinationsprobleme mit den Carabinieri, weil diese sich nur wenige Tage vor dem Beginn des Gipfels bereit erklärt haben, ein gemeinsames Einsatzkommando zu bilden. Das Vorhaben eines gemeinsamen Einsatzkommandos ist zehn Monate hindurch von hohen Offizieren der Carabinieri blockiert worden und erst im letzten Moment hat der Innenminister einen entsprechenden Befehl erlassen. Aber man kann nicht sagen, dass die Koordination wirklich funktioniert hat." Die Ironie der Geschichte will, dass die Carabinieri gerade unter der Mitte-Links-Regierung der Armee als vierte Säule angegliedert wurden; man wollte sie damit aufwerten.
"Man wusste, dass die Tute Nere (der Schwarze Block) die rote Zone nicht angegriffen hätten, weil es nicht ihrer Taktik entsprach, die direkte Konfrontation mit der Polizei zu suchen. Die Tute nere wollen nur TV-Scheinwerfer auf zerbrochenen Fensterscheiben oder auf umgestürzten und brennenden Autos — das war überall so, wo sie agiert haben. Sie suchen sich leichte Ziele, und das mit maximaler Geschicklichkeit. Die Art, wie sie in Genua vorgegangen sind, zeigt, dass sie etwas Wesentliches verstanden haben: Um schnell vor Ort und auch wieder weg sein zu können, mussten sie sich auf breiten Straßen bewegen und durften sich nicht in engen Gassen verlieren. Mir ist gesagt worden, dass ein solcher Plan schon einmal nach den Ereignissen vom Juli 1960 von faschistischen Putschisten ausgearbeitet worden war, um Genua zu verwüsten. [Im Jahr 1960 gab es in Genua eine militärische Konfrontation zwischen den Ordnungskräften, die damals von einer Regierung befehligt wurden, die von der faschistischen MSI toleriert wurde, und streikenden und demonstrierenden Arbeitern. Auch bei dieser Gelegenheit wurde ein Arbeiter getötet; die Regierung Tambroni musste daraufhin zurücktreten.]
Wir hatten Befehl, in geschlossener Formation vorzugehen und uns nicht zu zerstreuen, um die Tute Nere zu verfolgen... Die Aufgabe der Ortung, Verfolgung und Festnahme der Tute Nere, die nicht mehr als ein paar hundert waren, war Einheiten in Zivil übertragen worden, die viel mobiler waren als die Uniformierten, aber wie wir gesehen haben, haben diese Einheiten recht wenig unternommen. Hinzu kommt, dass die Aufklärungsarbeit der Polizei, der Carabinieri und der Geheimdienste über die Nester der Tute Nere vor dem Gipfel ein völliger Flop war.
Mir ist gesagt worden, die Provinzbehörden hätten dem Präfekten am 11.Juli angezeigt, dass im Vorort Quarto zwei Unterkünfter, die dem Netzwerk No Global zugesprochen waren, von den Tute Nere besetzt wurden, die die rechtmäßig Anwesenden gewaltam vertrieben. Nichts wurde unternommen, sie aufzuhalten. Wie soll man sich das erklären? Mein Eindruck ist, dass die operativen Befehle zu sehr von politischen Ordern bestimmt waren."
In der Einsatzzentrale der Carabinieri hielten sich am Freitag nachmittag vier Parlamentsabgeordnete der Alleanza Nazionale auf. Mit welchem Auftrag? Nach der Ermordung Giulianis wurde den Carabinieri der Auftrag entzogen, die Demonstration vom Samstag zu begleiten. Nun trat die Polizei verstärkt in Aktion. Sie agierte nicht viel anders. Ein Polizist wird mit einer Aussage über die Samstagsdemo zitiert: "Zweimal haben unsere Abteilungen größere Gruppen des sog. Schwarzen Blocks isoliert, einmal tausend, in der Nähe der Piazza Kennedy, einmal vierhundert. Sie haben Verstärkung angefordert, aber in beiden Fällen berichten die Kollegen, habe das Innenministerium sie angewiesen, nicht anzugreifen. Die Abteilungen hätten sich beidesmal unverrichteter Dinge zurückziehen müssen und die Umzingelten hätten sich wieder in die Demonstration einreihen können. Erst danach hätten sie Befehl zum frontalen Angriff erhalten. Die Radioaufzeichnungen der Polizei würden das beweisen."

Die Sondereinheiten

"Es war völlig klar, dass hier zum erstenmal eine Operation der öffentlichen Ordnung unter militarisierten Bedingungen durchgeführt wurde, die mit dem Generalstab der Verteidigung abgesprochen war. Es herrschte eine schlechte Luft. In den Tagen des 19., 20. und 21., als sie uns entlang der Demonstration aufstellten, habe ich mit fast allen Kollegen meiner Abteilung die Vorkehrung getroffen, die Pistolen mit Klebeband und großen Gummibändern zu umwickeln. Damit niemand, auch in einer angespannten Situation, in der man die Nerven verlieren kann, sie instinktiv herausziehen könne. Das zeigt, wie angespannt wir waren, weil wir noch nie in die Lage gekommen waren, die öffentliche Ordnung zusammen mit so vielen Sondereinheiten und Spezialkräften sichern zu müssen, die diese Aufgabe noch nie durchgeführt hatten."
Eine dieser Spezialeinheiten war die Gefängnispolizei (GOM). Der Sekretär der CGIL, die eine Gewerkschaftsgruppe bei der Gefängnispolizei hat, Fabrizio Rossetti, fordert die sofortige Auflösung der Gom. "Es war immer schon schwer, die Operationen der Gom auf einen klaren und kontrollierbaren Verantwortlichen zurückzuführen; das kann in vielen Fällen ein Verhalten und Vorgehen erklären, das mit dem Berufsstand nicht zu vereinbaren ist..."
Weiterhin ungeklärt ist, was die Gom, deren Aufgabe die Intervention bei Gefängnisrevolten ist, bei einer Demonstration zu suchen hatte, wo es um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung geht. Darauf müsste der Justizminister Castelli eine Antwort geben, der am Sonntagmorgen das Gefängnis Bolzaneto besucht hat. Seine Ankunft wurde angekündigt. Nachher hat der Minister gesagt, er habe nichts gesehen, was nicht in Ordnung gewesen wäre.
Bislang behaupten die Männer der Gom allerdings, sie hätten mit den Schlägen und der Folter nichts zu tun, ihre Aufgabe habe sich darauf beschränkt, die Verhafteten in die Turnhalle der Kaserne zu bringen.

Eine neue Militarisierung

Die Gewerkschaftsgruppe der CGIL ist besorgt um die Entwicklung, die die Polizei nehmen wird. "Das Reformgesetz von 1981 hat uns demilitarisiert, aber seit einiger Zeit spüren wir, dass die Ausbildungsmethoden und Trainingsprogramme de facto auf eine neue Militarisierung abzielen, die sich hinter dem Schlagwort der Effizienzsteigerung und dem Korpsgeist versteckt."
"In Genua haben keine regulären Einheiten der Polizei an den Operationen teilgenommen. Die Fernsehaufnahmen erwecken diesen Eindruck, aber wir wurden erst gerufen, als schon alles vorbei war, und um die Sondereinheiten zu decken, die den "Blitz" [wie der Überfall auf die Schule Diaz in der italienischen Presse genannt wird] durchgeführt hatten. Es waren Einheiten, die direkte Order aus Rom erhielten. Bei ihnen waren nur noch Hauptleute der Kripo, die in den Tagen des Gipfels wie der ganze sonstige Apparat auch, ihre Befehle nicht vom Polizeipräsidenten von Genua, sondern vom Innenminister bekamen."
Es sind vor allem die "demokratischen" Strömungen in der Polizei, die massiv gegen die Absetzung des stellvertretenden Polizeichefs wie auch des Polieipräsidenten von Genua protestieren, die sie beide als Männer der alten Mitte-Links-Koalition auf der Seite der Fortschrittlichen wähnen.
Tatsächlich ist das Köpfe-Rollen, das der Innenminister auf Druck von Berlusconi in Gang gebracht hat, eine höchst zweischneidige Angelegenheit. Denn alle diese Chefs wurden von der Vorgängerregierung eingesetzt, und die neue Regierung nutzt die öffentliche Empörung gern, um sie abzusetzen und mit strammen Vertretern der neuen rechten Linie zu besetzen.
Der Polizeichef, De Gennaro, wurde bisher noch ausgespart, aber es ist ein offenes Geheimnis, dass es auch ihm an den Kragen gehen soll. So kann sich der Innenminister ins Licht setzen, er verfolge nicht die Kleinen und lasse die Großen laufen, sondern ziehe gerade sie zur Rechenschaft.
Damit versucht er vor allem, seine eigene Haut zu retten, nachdem in den Tagen nach Genua im Parlament und in der Presse lautstark sein Rücktritt gefordert worden war. Ins Bild passt, dass derselbe Innenminister mit allen Mitteln versucht, die Carabinieri und die Sondereinheiten der Polizei, die ihm direkt unterstehen, aus dem Kreuzfeuer der Kritik herauszuhalten. Denn dafür müsste er direkt geradestehen — zusammen mit dem Justizminister.
Die Hauptforderung des Genoa Social Forum lautet deshalb nach wie vor: Rücktritt des Innenministers und Auflösung der Sondereinheiten der Polizei. Das Weißbuch, das bis Ende September zusammengestellt wird, wird diese Forderung noch präzisieren.
Unterdessen macht die rechtsradikale Polizeigewerkschaft Sap mobil: Sie will, ausgerüstet mit eigenem Filmmaterial, eine Tour durch die italienischen Städte machen, um festzustellen, "wie die Stimmung unter den Italienern ist".
Die Welt stehe auf dem Kopf: Während die brave Polizei als Hort des Terrorismus dargestellt werde, würden die wahren Terroristen frei rumlaufen. Weil niemand ihre politischen Interessen wahrnehme, müssten sie jetzt selber Politik machen.

Angela Klein

Alle Zitate aus Liberazione, vom 26., 27. und 28.Juli.


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