Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 31.08.2001, Seite 15

Faithless: Outrospective

Es ist manchmal Überraschend, welche CD am Ende des Sommers noch immer im Player landet. Nicht Manu Chao, Radiohead …, nein es sind die ausgemachten Pop-Musikanten von Faithless, die es in diesem Jahr mit Outrospective geschafft haben, zu meiner Lieblingsommerproduktion zu werden.
Produzent Rollo zusammen mit Produzentin und DJane Sister Bliss nannten 1995 ein Studioprojekt Faithless. Zusammen engagierten sie den Rapper Maxi Jazz, den Keyboarder Jamie Catto und den Gitarristen Dave Randall. "Insomnia" hieß ihr erster Hit und "I can‘t get no sleep", murmelten unzählige, wenn sie am Morgen übernächtigt aus der Disco kamen. "God is a DJ" war dann der Hit des Jahres 1998, der stimmungsmäßig die Botschaft von "Fight for your right to Party" aufnahm und zeitgemäß umsetzte. Mittlerweile haben Catto und Randall die Band verlassen. Rollo, Sister Bliss und Maxi Jazz können allerdings auf verschiedenste Musikerinnen und Musiker der Londoner Szene, in der sie weiterhin fest verankert sind, zurückgreifen.
Ihr Rezept heißt weiterhin: eigenen Charakter durch Stilmix erreichen. "Rollo, Maxi und ich mögen alles von Joni Mitchell über schwärzesten Dub bis hin zu Housemusic." Das ist für Sister Bliss die Ursache für diese Mischung.
Gestartet haben sie die Aufnahmen für diese Produktion in dem Studio, in dem auch die beiden vorhergegangenen CDs aufgenommen wurden. Dann wurde das Studio abgerissen und das neue war noch nicht fertig. Eine Zeit in der sie die die Musik in Ruhe noch einmal überarbeiten konnten. Insgesamt sieben Monate haben sie so an diesem Album gearbeitet. Die Zeit hat sich gelohnt.
Dem samtigen Syntisound von "Donny X" folgt mit "Not Enuff Love" ein Lied in dem musikalisch Jonni Mitchel auf Anne Clark trifft. Die erste Single Auskopplung, "We come 1", wird sicherlich wie andere Hits der Band lange auf den Tanzflächen zu hören sein.
Neuentdeckung von Rollo und Bliss: die Sängerin Zoe Johnsten. Bei "Crazy English Summer", das an Mike Oldfield erinnert, genau wie bei "Evergreen", gibt ihre glasklare Stimme den Soundtüfteleien einen Zuckerguss, der nicht klebrig wird. Rollos Schwester Dido ist auch wieder mit von der Party und steuert zu "One step too far" ihre Stimme bei.
Dass Erfolg auch in der Popmusik mit Brüchen im Privaten verbunden sind, ist bekannt, sympathisch ist die ehrliche Art, wie Sister Bliss damit umgeht: "Anfangs hatten wir alle Beziehungen, die dadurch zu Bruch gingen, manche haben Kinder, waren lange Zeit von ihnen getrennt. Der globale Erfolg hat uns alle einen großen Preis zahlen lassen, auch wenn wir im Nachhinein nur wenig anders machen würden. Jetzt sind wir alle in Therapie und kommen langsam damit zurecht."
Dabei sind sie immer noch in den esoterischen Tiefen der 90er Clubmusik verhangen und verstehen ihre Musik als empowerment, um zu sich selbst zu finden. "Und wenn wir alle eins sind, dann müssen die Politiker uns folgen", so Maxi Jazz. Dabei ist ihre Musik Kunst genug, um genau die psychologischen Tiefen einer Generation zu ergründen, für die eben God ein DJ ist. Sie ist allerdings ebenso Pop, indem sie diese psychologischen Untiefen dort lässt, wo sie sind. Anders betrachtet ist Tanz sicherlich eine Stufe der Sublimierung die ganz nahe ist an der Umsetzung von nichtgenitaler Sexualität in Kultur. Die Musik von Faithless setzt genau dort an, und so bekommt das Empowerment und die Selbstfindung, die Rollo, Maxi Jazz und Sister Bliss produzieren eine Bedeutung jenseits dieser Esoterik und des einfachen "den Alltag vergessen". Da ist es keine Frage mehr von Musikgeschmack. Sondern, ob diese Musik auf der Höhe der geschichtlich-kulturellen Entwicklung für genau diese Sublimierung sorgt? Dass Outrospective meine meistgespielte CD in diesem Sommer ist, die weder Ohrwurmmäßig daherkommt noch bis jetzt langweilig wird, ist, jedenfalls für mich, ein Indiz, dass sie sich genau auf dieser Höhe befindet.

Tommy Schroedter

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