Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.19 vom 13.09.2001, Seite 6

Reform des SGB III

Abschaffung der Arbeitslosen

Mit der sog. Faulheitsdebatte wollte Bundeskanzler Schröder wohl eine Lawine lostreten. Allem Anschein nach ist ihm dies auch gelungen. In den Sommermonaten haben sich Exponenten aller Parteien (mit Ausnahme der PDS, die allerdings in ostdeutschen Ländern teilweise anders diskutiert als im Bund) und natürlich auch die Unternehmerverbände einen makabren Wettlauf geliefert, wer den Erwerbslosen am besten an den Kragen kann.
Von Scharping über Laumann, Merz und Schommer zieht sich die illustre Riege der Vorschläge: Scharping, der gerade sein Recht auf privates Glück verteidigt, will Jugendlichen unter 25 die Sozialhilfe streichen, wenn sie eine angebotene Arbeit oder Ausbildung ablehnen. Riester weiß jetzt schon: "Im Jahr 2006 wird es die Arbeitslosenhilfe nicht mehr geben."
Die CDU fordert zur "Aktivierung" der "faulen" LeistungsbezieherInnen ein neues Hilfegesetz mit Arbeitspflicht und ggf. Sachleistungen für "Drückeberger". Das Ifo-Institut in München fordert die Abschaffung der Sozialhilfe in ihrer jetzigen Form.
Kein Zweifel: Die Debatte um die Abschaffung des bisherigen Systems der sozialen Sicherung hat eine erhebliche Beschleunigung erfahren. Die SPD-Grüne-Bundesregierung ist schon in ihrer ersten Legislaturperiode über die Regierungen Kohl hinausgegangen und hat eine Reihe von Maßnahmen und Gesetzen eingeleitet, die den Systemwandel in der Arbeitslosenversicherung einleiten sollen. Anders als ihre Vorgängerin setzt sie den Hebel nicht vornehmlich an quantitativen Kürzungen wie die der Arbeitslosenhilfe um jährlich 3% an. SPD/Grüne arbeiten vor allem am qualitativen Umbau.

MoZart

Dazu wurden zum einen flächendeckend Modellprojekte ersonnen, die die Zusammenlegung von Arbeitsämtern und Sozialämtern zum Zweck haben. Die Projekte laufen in knapp 20 Städten und Gemeinden und werden unter dem schönen Namen MoZart zusammengefasst. Ergebnisse sollen noch vor der Bundestagswahl vorliegen, die Schlussfolgerungen zu ziehen wäre dann die Aufgabe der neuen Regierung.
Die Zusammenlegung der Ämter zielt natürlich auf die Zusammenlegung der Leistungen. Dabei gibt es zwischen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe einen wichtigen Unterschied (nicht nur in der Höhe der Leistung): Die Zumutbarkeit einer neuen Arbeit wird bei der Arbeitslosenhilfe nach dem Arbeitsförderungsgesetz definiert — das kennt Tarif- und Qualifikationsschutz. Bei der Sozialhilfe gibt es einen solchen Schutz nicht, da gilt das Bundessozialhilfegesetz. Werden Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt, so die Befürchtungen, die sich nun auch auf konkrete Politikervorschläge stützen können, wird die Arbeitslosenhilfe einfach gestrichen; wer sein Arbeitslosengeld verbraucht hat, rutscht direkt in die Sozialhilfe.
Der Bund wäre die Kosten für die Arbeitslosenhilfe los, das waren im Jahr 2000 22,5 Mrd. DM. Er hätte auf demselben Weg die Langzeitarbeitslosen entsorgt, die jetzt in die Sozialhilfe abrutschen.
Weil die Kommunen aber gar nicht das Geld haben, auch noch für jetzt Arbeitslosenhilfebeziehende aufzukommen, gehen die Überlegungen dahin, Arbeitslose, die Sozialhilfe beziehen, mit einer Arbeitspflicht zu belegen.

Arbeit statt Sozialhilfe

Somit bleibt auch die Sozialhilfe nicht mehr, was sie einmal war. Bisher gilt in der Arbeitslosen- wie in der Sozialhilfe der Grundsatz: Der Bedürftige erhält Leistungen, um davon ausgehend Erwerbsmöglichkeiten zu suchen und wieder vom Leistungsbezug unabhängig zu werden. Die neuen Vorschläge gehen dahin, künftig auch die Auszahlung von Sozialhilfe an den Nachweis der eigeninitiativ betriebenen Arbeitssuche zu binden. Arbeits- und Sozialamt in Köln haben noch vor Inkrafttreten eines Gesetzes Verfahren entwickelt, den Anspruch zu verweigern; de facto hebeln sie damit bestehendes Recht aus. Sie werden bundesweit jedoch als Modell gehandelt.

JobAqtiv

Es gibt sogar Überlegungen, die Sozialhilfe zweizuteilen: Eine "Sozialhilfe A" wäre etwas besser ausgestattet und käme Nichterwerbsfähigen zugute (dem klassischen Wohlfahrtsklientel Alte, chronisch Kranke, Behinderte). Die "Sozialhilfe B" für Erwerbsfähige wäre mit Verweis auf deren "Faulheit" auf ein neues Minimum gekürzt, das erheblich unter dem Existenzminimum liegen dürfte.
Gleichzeitig hat die Bundesregierung ein JobAqtiv-Gesetz auf den Weg gebracht, das bis November den Bundestag passiert haben soll. Es schreibt individuelle Eingliederungsverträge der Arbeitssuchenden mit dem Arbeitsamt bzw. Sozialamt vor. Hier wird die konkrete Form der Ausübung des Zwangs getestet: Der Eingliederungsvertrag verpflichtet den Arbeitssuchenden, die Angebote des Arbeitsamts anzunehmen; widrigenfalls und wenn er nicht sehr, sehr gute Gründe vorweisen kann, wird ihm die Stütze gesperrt; nach 24 Wochen Sperre wird sie ihm ganz gestrichen. Die Maßnahme richtet sich vor allem gegen Langzeitarbeitslose, die aus dem Leistungsbezug herausgedrängt werden sollen.
Weiter sieht das Gesetz die "Arbeitsvermittlung an sog. Dritte" vor. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Ämter am liebsten noch in der Beratung die Arbeitssuchenden an eine Leiharbeitsfirma vermitteln, die ihre Beschäftigten in der Regel um ein Drittel geringer bezahlt als der normale Tarif — und zwar unabhängig davon, ob sie einen Tarifvertrag mit der Gewerkschaft abgeschlossen hat oder nicht.
Die Abdrängung in die Leiharbeit ist neben der Abschaffung der Sozialhilfe in der bestehenden Form für deutsche Verhältnisse der Königsweg, um den Niedriglohnsektor zu schaffen, den die Unternehmer seit mindestens zehn Jahren fordern. Damit würde die Bundesregierung dann auch die EU-Vorgabe erfüllen, dass "die unteren Löhne und Gehälter um 30% gesenkt werden müssen".
Die Arbeitslosenzeitschrift quer zieht das Fazit: "War die SPD-Grüne Bundesregierung seit ihrem Machtantritt ständig bestrebt, Arbeitslosigkeit aus dem Themenkanon der Bundespolitik zu verdrängen (die Aufmerksamkeit wurde auf die Zunahme von Arbeitsplätzen und auf den "Aufschwung" gelenkt, statt auf Erwerbslosigkeit und Armut), ist das Überstellen Langzeitarbeitsloser an die Sozialhilfe das ideale Einfallstor, die Bedeutung von Arbeitslosigkeit auch als Gegenstand der Bundespolitik gegen Null zu fahren." Und weiter: "Erwerbslose wie auch letztlich Arbeitnehmer müssen sich daran gewöhnen, letztlich ohne parlamentarisch bedeutsamen Bündnispartner dazustehen... Uns Erwerbslosen wird also nur Selbstorganisation helfen — und das Eingehen von Bündnissen mit engagierten und organisierten abhängig Beschäftigten."

Angela Klein

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