Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.19 vom 13.09.2001, Seite 8

GATS

Die letzte Grenze der Globalisierung

Ein globales Abkommen, über das gegenwärtig verhandelt wird, wird es Unternehmen erlauben, die öffentlichen Dienstleistungen in aller Welt zu übernehmen — ob die Menschen das wollen oder nicht. Falls es zur Ausführung kommt, wird es den Untergang des öffentlichen Sektors bedeuten. Maude Barlowe erklärt, warum es verhindert werden muss.
Wäre man Bolivianer, wüsste man, warum die Welt sich wegen GATS Sorgen machen müsste. Versetzen wir uns zurück ins Frühjahr 2000, in die südamerikanische Stadt Cochabamba. Unter dem Druck der Weltbank hatte die bolivianische Regierung gerade ihr öffentliches Stadtwassersystem an ein US-Wasserunternehmen verkauft. Dies alles lief im Rahmen des Weltbankprogramms, die bolivianische Wirtschaft zu "modernisieren" — mit anderen Worten, sie gegenüber Unternehmen mit Sitz im Westen zu öffnen. Es war alles, so wurde den Bolivianern versichert, im Namen ökonomischer Effizienz.
Die Menschen von Cochabamba fanden schnell heraus, worauf diese Effizienz hinauslief. Schon Wochen, nachdem die Unternehmensflagge auf dem bislang öffentlichen Versorgungsbetrieb gehisst wurde, wurden die Wasserpreise drastisch erhöht. Viele der ländlichen Familien von Cochabamba mussten bis zu einem Drittel ihres Einkommens für ihr Wasser bezahlen — mehr als sie für Nahrungsmittel ausgaben. Die Belastungen waren lähmend, und es gab keine Alternative — sogar Regenwasser als Trinkwasser zu sammeln, wurde für illegal erklärt.
Beschwerden blieben bei dem Wasserunternehmen ohne Wirkung, das nunmehr eher auf Profit als auf die öffentliche Deckung eines Grundbedarfs ausgerichtet war. Also gingen die Cochabambaner auf die Straße. Im April nahmen zuerst Hunderte, dann Tausende an Demonstrationen gegen die Privatisierung dieses elementarsten Lebensmittels teil. Vier Tage Streik brachten die Stadt zum Stillstand. Die Regierung gab nach und versprach, den Wasserpreis zu senken. Dann überlegten sie es sich anders. Die Proteste begannen wieder und wurden dieses Mal größer. Tränengas wurde eingesetzt, und es wurde der Kriegszustand erklärt. Cochabamba versank im Chaos. Noch immer weigerte sich die Regierung, wie auch das Unternehmen, nachzugeben. Anführer der Proteste wurden in der Nacht zusammengetrieben. Andersdenkende Medienorgane wurden stillgelegt.
Die Profite eines ausländischen Unternehmens hatten Vorrang vor den Alltagsbedürfnissen der bolivianischen Bevölkerung. Aber die Menschen dort gaben nicht auf. Die Proteste nahmen sogar noch zu. Schließlich, nachdem das Militär einem 17-jährigen Jungen, weil er protestierte, ins Gesicht geschossen hatte, wurde sogar der Regierung klar, dass das Spiel aus war. Zwei Tage später unterzeichnete sie ein Abkommen, dass die städtische Wasserversorgung wieder öffentlicher Kontrolle übergeben sollte.
Leider ein Sieg, der wohl auf Dauer kaum etwas bewirken wird. Und nächstes Mal werden die Menschen, egal wie groß der Protest sein wird, bloß ihre Zeit verschwenden.
Nur wenige Monate zuvor wurde in der nordamerikanischen Stadt Seattle das November-1999-Treffen der Welthandelsorganisation (WTO) lahmgelegt — ebenfalls durch Massenproteste. Ein Ereignis, das die Kräfte der Unternehmerglobalisierung anscheinend auf ihrem Weg gestoppt hatte — zumindest für den Augenblick.
Doch schon Monate, nachdem sich der Rauch und das Pfefferspray verzogen hatten und die Protestierer, die Regierungsoffiziellen und die Reporter nach Hause gefahren waren, wurde unauffällig in Genf eine ganze Runde internationaler Gespräche in Gang gesetzt. Sie fanden unter der Schirmherrschaft eines wenig bekannten Abkommens statt namens General Agreement on Trade in Services (GATS — Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen).
Diese Verhandlungen werden im Stillen geführt. Ihre Absicht ist schlicht und einfach, die öffentlichen Dienstleistungen der ganzen Welt für Unternehmensübernahmen aufzubrechen, ja schon allein das Konzept öffentlicher Dienstleitungen nicht nur aussichtslos, sondern wahrscheinlich illegal zu machen.
Genau darum geht es bei GATS. Wenn es letzten April schon in Kraft gewesen wäre, wäre es für die bolivianische Regierung ganz einfach illegal gewesen, die Wassergesellschaft von Cochabamba wieder zu verstaatlichen.
Eine gute Nachricht für Unternehmensprofite. Eine schlechte Nachricht für die Menschen. GATS ist dabei, über die ganze Welt hin für die Privatisierung der öffentlichen Dienstleitungen den Weg frei zu machen. Nichts wird ausgenommen sein — Erziehung, Gesundheitswesen, Sozialeinrichtungen, Postdienst, Museen und Büchereien, öffentlicher Verkehr, alles wird den Unternehmensinteressen erschlossen werden.
Jeden und jeglichen Dienst, der gegenwärtig jeweils von staatlicher Seite im Namen öffentlichen Interesses zur Verfügung gestellt wird, wird man privaten Unternehmen zugänglich machen und unter Profitgesichtspunkten betreiben. GATS könnte ganz einfach die letzte Grenze der Globalisierung sein: das Ende der Grundidee gemeinnütziger öffentlicher Dienste.
GATS wird in über 130 Ländern in Kraft treten, leise, und ohne viel Aufhebens, und dies in weniger als zwei Jahren. Falls nichts getan wird!

Was ist GATS?

Das GATS ist eine von über 20 Handelsvereinbarungen, die von der WTO verwaltet und in Kraft gesetzt werden. Das GATS wurde 1994 eingerichtet, am Ende der "Uruguay-Runde" des GATT (General Agreement on Tariffs and Trade), die zur Schaffung der WTO geführt hat. GATS war eines der Handelsabkommen, die zur Einbeziehung übernommen wurden, als die WTO 1995 gebildet wurde. Verhandlungen sollten fünf jahre später beginnen, mit dem Ziel, "progressiv das Niveau der Liberalisierung [des Handels]" anzuheben.
Diese Gespräche wurden wie geplant im Februar 2000 auf dem Weg gebracht. Der Plan sieht vor, ein Abschlussabkommen bis Dezember 2002 zu erreichen.
Der Auftrag von GATS ist die "Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen". In klaren Worten bedeutet dies den Abbau staatlicher Barrieren gegen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Sein Ziel besteht darin, es unmöglich zu machen, dass Regierungen ohne die Beteiligung privater Unternehmen öffentliche Dienste auf gemeinnütziger Basis betreiben. GATS wird es der WTO erlauben, durch eine ganze Reihe rechtlich bindender Zwänge den staatlichen Handlungsspielraum in Bezug auf öffentliche Dienstleistungen einzuschränken. Jede Regierung, die den Regelungen der WTO zuwiderhandelt, wird Sanktionen zu erwarten haben.
Was passiert also, wenn GATS eingeführt wird? Charlene Barshevsky, die US-amerikanische Handelsbeauftragte, stellte der mächtigen US-Lobby-Gruppierung, der Koalition der Dienstleistungsindustrien, die Frage, was sie in den GATS-Vereinbarungen enthalten sehen möchten. Die Europäische Kommission machte mit ihrer Industriekoalition, dem europäischen Dienstleistungsforum, dasselbe. Einvernehmlich wiesen die Unternehmen die folgenden Prioritätsbereiche für die Handelsliberalisierung aus: Gesundheitswesen; Krankenhauswesen; häusliche Pflege; Zahnbehandlung; Kinderbetreuung; Altenbetreuung; Schulwesen; Museen; Büchereien; Rechtspflege; Sozialberatung; Architektur; Energiewesen; Wasserversorgung; Umweltschutzdienste; Immobilienwesen; Versicherungen; Tourismus; Postdienste; Verkehr; Verlagswesen; Funk und Fernsehen und vieles andere.
All das bedeutet, dass die 137 Mitgliedsländer der WTO dabei sind, Ja dazu zu sagen, dass sie ihre gesamten öffentlichen Dienste mit allem Drum und Dran Freihandelsgesetzen gegenüber öffnen — denselben Gesetzen, die es der WTO erlaubt haben, in Dutzenden von Ländern Gesundheit, Nahrungssicherheit und Umweltgesetze zu Fall zu bringen. Den Unternehmenswölfen wird Einlass in den letzten verbleibenden Pferch gewährt. Und sind sie einmal drin, ist es zu spät, um sie jemals wieder herauszukriegen.

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