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Wie können Alternativen zum derzeitigen Weltwirtschaftssystem entwickelt werden? Das I.Internationale Treffen der sozialen Bewegungen, das Mitte
August in Mexiko-Stadt unter dem oben genannten Motto stattfand und sich als Teil des Weltsozialforums von Porto Alegre versteht (siehe SoZ 18/01), hat in einem überschaubaren Kreis
Subjekte zusammengebracht, die Träger einer Alternative sein können.
Die Bauernschaft ist derzeit weltweit die bedeutendste Trägerin der Proteste gegen die globale Herrschaft der Konzerne.
In Mexico sprach der Vorsitzende der brasilianische Landlosenbewegung (MST), João Pedro Stedile, von einem Generalangriff der Konzerne auf Kleinbauern und Landarbeiter und schilderte
die sich daraus ergebende weltweite Krise der Agrarproduktion.
Sie stürzt derzeit vor allem in Mittelamerika Hunderttausende in eine Existenzkrise und löst Hungersnöte
(Nikaragua) und Landflucht (Mexiko) aus. Die Offensive der Konzerne und des Finanzkapitals schlage sich für die Agrarbevölkerung in vier großen Veränderungen
nieder:
Krise der Landwirtschaft
Die drei Produktionsbereiche Pharma, Pestizide und Biotechnologie sind heute in der Hand von sieben
multinationalen Konzernen vereinigt. Das verleiht ihnen eine historisch einmalige Kontrolle über Ernährung und Gesundheit der Weltbevölkerung.
Sie
versuchen, sich die Bauern abhängig zu machen, indem sie ihnen die Kontrolle über das Wasser, das Saatgut und die Biodiversität entziehen. Sie orientieren ihre Produktion
ausschließlich an den Erfordernissen der Börse, nicht an der Existenz der bäuerlichen Produzenten und nicht am Gebot einer ausreichenden und gesunden Ernährung
für Land und Stadt.
Die Multis dominieren heute die Banken, nicht umgekehrt, wie vor hundert Jahren.
Der Staat (in den Ländern des Südens) zieht
sich aus der Landwirtschaft zurück und verzichtet auf eine Preispolitik und Gesetze, die die Kleinbauern stützen.
Diese vier Mechanismen wirken auf alle Bauern, gleich in welchem Teil der Welt sie leben. Deswegen konnte 1993 Via
Campesina gegründet werden, die erste Bauerninternationale in der Geschichte, die Kleinbauern und Landlose aus allen fünf Erdteilen organisiert. Das Verhältnis zwischen
Stadt und Land verändert sich fundamental: Für viele Bauern ist der Kampf gegen den Grundherrn und für Land izwar immer noch ein zentrales Anliegen, aber nicht mehr das
einzige. Hinzu kommt der Kampf gegen die Multis.
Der Bauer will nicht darauf reduziert sein, Rohstoffe für die Nahrungsmittelindustrie herzustellen; er will selber
Lebensmittel produzieren und die örtliche Bevölkerung versorgen können. Lebensmittelsouveränität ist ein wichtiges Synonym für Unabhängigkeit
geworden aber auch für die Sicherstellung der Ernährung und für die Gesundheit der Stadtbevölkerung.
Der Bauer will mit der Wahrung seiner
Existenz und Unabhängigkeit auch seine Kultur bewahren das gilt für den Indio in den Anden nicht weniger als für den französischen Schafzüchter und
den pommerschen Landwirt.
Und er will, dass die Kontrolle über die Nahrungsmittelwirtschaft nicht in privater Hand, sondern in der Hand des Gemeinwesens liegt, für
das er produziert (darunter versteht er im allgemeinen den Staat, auf den er einen gewissen, wenn auch beschränkten Einfluss ausüben kann).
Der Bauer sucht den Ausweg in der Internationalisierung des Kampfes und im Bündnis mit der Stadtbevölkerung
(Arbeiter, Studenten, Ausgegrenzte). Doch was heißt das konkret?
Alternative Weltwirtschaftsordnung
Ein Vertreter aus Indien wies daraufhin, dass die Proteste aus der Landbevölkerung gegen bestimmte
Entwicklungsprojekte (Staudämme), gegen die Privatisierung der natürlichen Ressourcen und für eine angepasste und umweltschonende Technologie erstens nicht von allen
Landwirten unterstützt werden (einige profitieren auch von der Zusammenarbeit mit der Weltbank), zweitens auch von rechten Parteien genutzt werden, um einen Kampf im
"nationalen Interesse" und um "identitäre Fragen" zu führen. Lebensmittelsouveränität und die Kontrolle der Kleinproduzenten über die
Nutzung der natürlichen Ressourcen (worunter auch Bodenschätze fallen) sind Forderungen, die sich auch im Sinne der Autarkie und des nationalen oder regionalen Egoismus
auslegen lassen.
Die auf dem Treffen in Mexiko Anwesenden wie auch die Beteiligten am Weltsozialforum von Porto Alegre suchen aber die internationale und
solidarische Kooperation. Das bedeutet, dass es neben dem Recht auf Selbstbestimmung auch die Pflicht zum internationalen Austausch auch von Nahrungsmitteln gibt.
Ungleichheiten, die die Natur geschaffen hat, müssen durch solidarisches Teilen ausgeglichen werden, will der
Lappländer nicht aufs Robbenfleisch und der Äthiopier auf dürre Hirsekörner reduziert sein, während der Mitteleuropäer Obst, Gemüse und Fleisch
im Überfluss produziert.
Wie unterscheidet sich ein internationaler Austausch, der auf dem Grundsatz der Kooperation und Solidarität beruht, vom
Diktat eines exportorientierten Wirtschaftens, das der Logik des Finanzkapitals folgt? Das ist ein Knackpunkte bei der Entwicklung einer alternativen Weltwirtschaftsordnung. Dasselbe gilt
für die Verteilung natürlicher Ressourcen wie Wasser, Holz, Bodenschätze.
Ein anderer Knackpunkt ist die Definition dessen, nach welchen Kriterien ein
solidarischer Tausch vor sich gehen soll. Der "freie Markt" diktiert das Gesetz der Produktivität: je weniger lebendige Arbeit in einem Produkt enthalten ist, desto billiger ist
es. Dieses Gesetz bevorzugt immer die stärker industrialisierten Länder, drückt aber auch immer die am wenigstens naturnah produzierten Lebensmittel auf den Markt. Eine
Alternative dazu formuliert zwangsläufig politische Kriterien, die zwischen den Betroffenen Stadt und Land weltweit ausgehandelt werden müssen. Mit dem
Weltsozialforum gibt es erstmals einen Raum, in dem solche Fragen zwischen den betroffenen Akteuren verhandelt werden können.
Unmittelbar gegen die internationalen
Finanzinstitutionen richten sich die Forderungen nach Schuldenstreichung und bevorzugten Kredite für Kleinproduzenten ohne knebelnde Auflagen. Positiv ausgedrückt bedeutet
dies, dass es sehr wohl eines finanziellen Ressourcentransfers von Nord nach Süd bedarf. Darauf laufen auch die Forderungen nach Reparationen für die Folgen der Sklaverei hinaus.
Das bedeutet aber auch: Es bedarf einer internationalen finanziellen Regulierungsbehörde, die vom Grundsatz des Ausgleichs wirtschaftlicher Ungleichheiten und der Beförderung
einer eigenständigen (auch industriellen) Entwicklung der verschiedenen Regionen der Welt.
Dazu bedarf es keiner WTO, deren Abschaffung im Gegenteil eine Voraussetzung für positive Alternativen wäre.
Aber schon bei der Rolle der Weltbank wird es kompliziert, und wenn man auch keine Institutionen will, die von Konzernen und dem internationalen Finanzkapital kontrolliert werden, so wird
man doch nicht umhin kommen, auch in diesem Bereich Alternativen zu entwickeln.
Der Punkt Entwicklungshilfe wurde angesprochen. In Ländern des Nordens (Spanien
z.B.) engagieren sich vor allem Jugendliche dafür, dass die Regierungen wenigstens den Anteil von 0,7% locker macht, der weltweit gefordert wird. In den Ländern des
Südens fließen sie dann aber häufig in Taschen, die damit alles andere als Projekte im Interesse der Arbeiter und Kleinproduzenten finanzieren. Im Rahmen des
Weltsozialforums trifft man jetzt erstmals auf Partner im Süden, die formulieren können, wohin das Geld gehen und was damit gemacht werden soll.
Bündnis mit der Stadt
Aus der Stadt haben die Arbeitslosen und die Frauen relativ leicht ihren Weg in die Bewegung gegen die Konzernherrschaft gefunden; sie artikulieren Forderungen, die vor allem
soziale Rechte und eine unabhängige Existenzsicherung einklagen so der Weltfrauenmarsch, der lateinamerikanische Grito de los Excluidos, die Europäischen
Märsche gegen Erwerbslosigkeit und Ausgrenzung.
Die Arbeiterbewegung hingegen tut sich schwer, obwohl weltweit über 160 Millionen Menschen in Gewerkschaften
organisiert sind. Das hat damit zu tun, dass sie nach dem Zweiten Weltkrieg vielerorts in einen klassenübergreifenden sozialen Konsens eingebunden war, der auf der Basis
nationalstaatlicher Souveränität funktionierte.
Dieser Typ von Sozialpartnerschaft ist heute schwer unter Beschuss, und es gibt Entwicklungen in der Arbeiterbewegung, die
darauf reagieren (vgl. die Entstehung von Gewerkschaften "neuen Typs" in Europa und den sog. Schwellenländern, oder die innergewerkschaftliche Entwicklung in den USA).
Die Ansätze sind noch schwach, und die dennoch massive Präsenz von Gewerkschaftern auf Demonstrationen
gegen die internationalen Gipfel ist von Widersprüchen gekennzeichnet: Gewerkschaften haben Angst vor dem weltweiten Lohn- und Sozialdumping der Konzerne und antworten darauf
häufig mit der Abschottung des nationalen Arbeitsmarkts gegen die "Schmutzkonkurrenz", weil es eine wirkliche Internationalisierung der Arbeiterbewegung bisher nicht gibt.
Die Abschottung der nationalen Arbeitsmärkte, während für Kapital, Waren und Dienstleistungen alle
Grenzen offen stehen, begünstigt aber die "Schmutzkonkurrenz" und die Politik des Teile und Herrsche. Umgekehrt müsste gelten: Auch der Arbeitsmarkt muss global
sein, aber weltweit geschützt durch tariflich und gesetzlich fixierte soziale Rechte, die den nationalen und regionalen Bedingungen angepasst sind. Mit einer solchen Diskussion stehen wir
allerdings noch ganz am Anfang.
Ein anderer Punkt hingegen verspricht, die Arbeiterbewegung massiv in das Bündnis gegen die Konzernherrschaft zu
drängen: die Privatisierung der öffentlichen Dienste. Sie stößt in Europa auf zunehmenden Widerspruch. Im Mutterland des Neoliberalismus, in England, breitet sich
erneut der Ruf nach einer Re-Nationalisierung z.B. der öffentlichen Verkehrsmittel aus, und selbst hierzulande gibt es zaghafte Anzeichen für eine Umkehr im Denken.
Diese Entwicklung bietet die Chance, über andere als die in West und Ost erlebten bürokratischen Formen einer
Verstaatlichung nachzudenken das wäre ein wichtiger Hebel, um die falsche Alternative: Diktatur der Konzerne oder Diktatur des Parteiapparats zu überwinden.
Die massive Beteiligung einer neuen Generation von Jugendlichen an den Protesten (die "neue APO") ist eher ein
Phänomen des Nordens als des Südens. Der Antrieb hierzu kommt vielfach aus einer allgemeinen Ablehnung "des Systems", das als egoistische und kommerzialisierte
Welt erfahren wird.
Ihre Debatten konzentrieren sich häufiger auf die Radikalisierung der Aktionsformen als auf Inhalte. Dennoch gibt es
auch bemerkenswerte Beispiele sozialen Engagements, wie die Anti-Sweatshop-Kampagne und die Kampagne für ein Existenz sicherndes Einkommen an US-amerikanischen
Universitäten. Die erste fragt nach den Bedingungen, unter denen meist in asiatischen Ländern die T-Shirts der Eliteuniversitäten hergestellt werden; die zweite nach den
Arbeits- und Einkommensverhältnissen der Putzfrauen auf dem Campus. Mit Streiks, Sit-ins und anderen direkten Aktionen haben die Studierenden schon beachtliche Erfolge erzielt.
Eine andere Form des sozialen Engagements ist die Bewusstwerdung über die eigenen prekären
Verhältnisse: Studierende wehren sich gegen miese Jobs bei McDonalds, Pizza Hut oder in Callcentern, zu denen sie gleichwohl gezwungen sind, um studieren zu können.
Hier entstehen neue Formen von Arbeitskämpfen, die auch andere Formen gewerkschaftlicher Organisierung brauchen.
Schließlich reagieren Schüler und Studierende auf die Privatisierung des Bildungssystems. Der vom 10. bis
14.Dezember geplante EU-weite Studierendenstreik ist ein Ausdruck dafür und auf seinem Gebiet auch eine Premiere.
Die Mobilisierung gegen die supranationalen Institutionen ist die Klammer für all diese Bewegungen. Der Hauptgegner
ist die WTO sie wurde in Mexiko als das schwächste Kettenglied ausgemacht, das am angreifbarsten und am stärksten von inneren Widersprüchen zerrissen ist
aber auch ihre kontinentalen Abbilder wie das panamerikanische Freihandelsabkommen (FTAA), weiterhin IWF und Weltbank, zunehmend auch die EU.
Der Blickwinkel auf diese Institutionen und auf die G8 ist sehr unterschiedlich, je nachdem ob der Protest aus einem
imperialistischen Land kommt, oder aus einem vom Imperialismus beherrschten und zunehmend einem Rekolonialisierungsprozess unterworfenen Land. Daraus ergeben sich unterschiedliche
Forderungen, die unter einen Hut gebracht werden müssen.
Aber auch in dieser Hinsicht hat sich seit 1989 Grundlegendes geändert: "Wir glauben nicht mehr, dass die Antwort
auf den Imperialismus nur aus Lateinamerika kommt, sie kommt aus dem gemeinsamen Kampf von Nord und Süd. Deshalb haben wir die Aleanza Social Continental gegründet, um
einen gemeinsamen Rahmen für den Kampf gegen den gemeinsamen Feind zu haben."
Hector de la Cueva, mexikanischer Sprecher der Allianz, spricht aus, was das Paradigma des neuen Internationalismus ist: nicht
mehr die Suche nach dem "eigenen Entwicklungsweg" gestützt durch Akte der Solidarität, sondern die gemeinsame Suche nach einer anderen "neuen
Weltordnung".
Angela Klein (angela.klein@soz-plus.de)
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