Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.19 vom 13.09.2001, Seite 14

Solidarität mit Scharping

Kolumne von Thies Gleiss

Nein, nein, nein — Rudolf Scharping darf nicht zurückgetreten werden. Nicht dafür. Nicht für das wenig Leben in all dem Toten, was er und seine Sozialdemokraten ansonsten präsentieren. Als Mao Zedong — wir gedenken seines 25.Todestags mit der von ihm geforderten Haltung, unsere Feinde immer schön strategisch zu verachten, aber taktisch ernst zu nehmen — seinerzeit im Yangtse seine Runden schwamm, galt dies als Zeichen seiner Vitalität wie der der chinesischen Revolution.
Wenn ein deutscher Sozialist in einem synthetisierten Gewässer in einer deutschen Neokolonie mit einem desolaten Spross des deutschen Kleinadels herumplanscht — dann ist dies trotz aller morbiden Kulisse auch ein letztes bisschen Leben. Die Frisör- und Wartezimmervariante des guten alten "Make Love — not War" hat immerhin noch das Zeug zum Fliegenschiss auf der von Schily und Schröder, Merz und Merkel, Fischer und Co. so blitzblank geputzten Scheibe des deutschen Fensters zur neuen Weltordnung.
Als Scharping in seinem Streben, den eigenen deutschen Beitrag zur kriegerischen Neugestaltung der Welt publikumswirksam einzuläuten, die dicksten Gräuelmärchen von "den Serben" erzählte, von Hufeisenplänen, aus dem Leib gerissenen Föten und massenhaften Massakern — da sprach niemand aus seinem Stall, der "Rudi hat ‘ne Macke".
Als er mit starrem Blick und geisterhaften Bewegungen die NATO-Pressekonferenzen mit Gruseleinlagen bereicherte, sah keiner das "dritte Stadium des Autismus". Als er mit vereinten Kabinettskräften dafür sorgte, deutsche Soldaten nach Makedonien zu schicken, die dort angeblich dreitausenddreihundert Waffen einsammeln sollen und dabei 148 Millionen Mark ausgeben dürfen — jedes Gewehr also für schlappe 45.000 Mark — da bemerkte nicht einer von den Sozis, nicht eines der jetzt auf ihn eindreschenden Massenblätter, der Herr Minister hätte den Blick für die Realität verloren.
Und als er in der Sommerhitze dieses Jahres seine Träume von der Militarisierung der Sozial- und Arbeitslosenhilfe zum besten gab und nichts zu essen geben wollte, wer nicht zum Arbeiten antrete, da gab es keine Stellungnahmen, hier laufe ein "Sicherheitsrisiko" herum. Von einer Sozialdemokratie, die sich ausgerechnet einen Kriegsminister zum Vorsitzenden ihrer für sich allein schon merkwürdigen "Grundwertekommission" wählt, wurde offensichtlich nichts anderes erwartet.
"Ein Mann ist nicht immer ein Mann — nur weil er mit einem Gewehr herumläuft", heißt es beim Lieblingsindianer des weißen Mannes, Winnetou. Deshalb Rudi, wenn du, wie du es ausdrückst, "deine Liebe pflegst", dann darf dein Kriegsminister-Image nicht Schaden nehmen. So ist die Moral deiner Leute nun mal. Deine Karriere wird deshalb wohl zu Ende gehen. Vielleicht nützt dir noch der süße Märtyrertod in einem mallorquinischen Hotelzimmer, in den Armen deiner Gräfin — aber bitte im vollen NATO-Kampfoliv…
Die Scharping-Kritiker von heute, und er selbst sowieso, haben keine Macke, sondern sie sind die Macke. Deshalb möge Scharping jederzeit und überall zurücktreten, aber bitte nicht wegen dieser Bett- und Poolgeschichte.
Und das mit der Fliegerei? Ein paar hunderttausend aus dem Fenster geworfen, nur um die Aktentasche des Oppositionsführers durch Europa zu fliegen, in der wahrscheinlich nicht mehr als die Preisliste einer sauerländischen Pizzeria steckte, ist verzeihlich. Lieber mit Bundeswehrfliegern zum Vögeln auf die Insel düsen als zum Töten auf den Balkan. Aber auch hier gilt natürlich: gleiches Recht für alle.

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04


LeserInnenbrief@soz-plus.de
zum Anfang