Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.19 vom 13.09.2001, Seite 15

Künstliche Intelligenz

A.I. — Künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence), USA 2001, Regie: Steven Spielberg., mit Haley Joel Osment, Jude Law, Frances O‘Connor, William Hurt u.a. (Kinostart: 13.September)

Gibt es menschliche Maschinen? Können Maschinen menschlicher sein als Menschen? Diesem Dauerbrenner des Science-Fiction-Films widmet sich Steven Spielberg in seinem neuesten Werk.
Der Film führt in eine nicht allzu ferne Zukunft. Die Polkappen sind auf Grund des Treibhauseffekts geschmolzen. Weite Teile des ehemaligen Festlands sind im Meer versunken. Städte wie Amsterdam, Venedig und New York existieren nicht mehr. Der überlebende Teil der Menschheit hat sich mit den Verhältnissen arrangiert. Es herrscht eine rigide Bevölkerungspolitik. Schwangerschaften müssen — in den Industriestaaten, wie es heißt — genehmigt werden. Pro Ehepaar ist höchstens ein Kind erlaubt. Unangenehme Arbeiten werden von hochentwickelten Robotern erledigt, die als "Mechas" bezeichnet werden. Die Menschen heißen in dieser Welt "Orgas". Die Roboter, die äußerlich fast wie Menschen aussehen, werden für verschiedene Arbeiten bis hin zur Prostitution jeweils speziell entwickelt. Der einzige und wesentliche Unterschied zwischen "Orgas" und "Mechas" ist, dass letztere keine Gefühle haben. Dem will Professor Hobby (William Hurt) von der Firma Cybertronics abhelfen. Er entwickelt David (Haley Joel Osment), den ersten Roboter, der wie ein Kind aussieht und auf "Liebe" zu seinen "Eltern" programmiert ist. Als "Eltern" erhält David den Firmenangestellten Henry Swinton (Sam Robards) und seine Frau Monica (Frances O‘Connor), deren echtes Kind unheilbar krank ist und deswegen bis zur Erfindung eines Heilmittels tiefgefroren wurde.
Die "Mutter" lehnt ihr neues "Kind", das eine nervige künstliche "Liebe" an den Tag legt, zunächst ab. Dann aber spricht sie ihm die Worte in der bestimmten Reihenfolge vor, durch die das Mutterliebe-Programm unwiderrufbar aktiviert wird. Es entsteht eine emotionale Beziehung zwischen "Mutter" und "Kind". Als Davids "Bruder" dann doch noch geheilt wird und zurückkehrt, soll das Robokind David nach einigen dramatischen Verwicklungen zerstört werden. Die "Mutter" will ihr "Kind" retten und bringt es in einen Wald, wo entlaufene "Mechas" leben.
Während bis hierhin ziemlich viel amerikanischer Familienkitsch zu sehen war, wirken die Szenen im Wald zum Teil surrealistisch. Die recht ramponierten Wald-"Mechas" suchen sich auf Roboterschrottplätzen Ersatzteile für sich selbst zusammen. Plötzlich geht der "Mond" auf, der aber in Wirklichkeit der Ballon des "Mecha"-Jägers Lord Johnson-Johnson (Brendan Gleeson) ist. Der macht Jagd auf herrenlose Roboter, die dann in einer Arena vor einer fanatisierten Menge sadistisch zerstückelt werden.
Unwillkürlich muss man bei dem Schauspiel an römische Zirkusspiele und an Pogrome denken. Die "Mechas" als die sympathischen Opfer des aufgeputschten "menschlichen" Mobs. Lord Johnson-Johnson proklamiert die rituelle Zerstörung der "Mechas" jedoch als Wiedergewinnung der Menschenwürde, die den wahren Menschen durch ihre künstlichen Kopien genommen würde. David und sein neu gewonnener Freund, der Robo-Gigolo Joe (Jude Law) entkommen dem Spektakel mit Müh und Not. Sie machen sich gemeinsam mit dem "Supertoy" Teddy, einem sprechenden Stoffbären — gewissermaßen ein "Steiff-Mecha" —, auf die Suche nach der "Blauen Fee", die aus David einen "echten Jungen" machen soll, so wie sie es mit der Marionette Pinocchio in der Geschichte von Carlo Collodi machte, die David von seiner "Mutter" vorgelesen bekam. In der bizarren Szenerie des versunkenen Manhattan, wo nur noch die Spitzen der Wolkenkratzer aus dem Wasser ragen, finden sie Professor Hobby, der dort in den oberen Stockwerken eines Wolkenkratzers die Massenproduktion von "Davids" und seinem weiblichen Gegenstück "Arlene" vorbereitet. Diese Szene, wo der sich bisher einzigartig dünkende David seine Kopien betrachtet, ist eine der gelungensten und gleichzeitig bedrückendsten im ganzen Film.
Auf dem Meeresgrund, in den Ruinen des Vergnügungsparks Coney Island, findet David die Figur der "Blauen Fee", die ihm seinen Wunsch natürlich nicht erfüllen kann, obwohl er sie 2000 Jahre (!) lang — bis das Meer bis auf den Grund gefroren ist — darum bittet. Es folgt noch ein Epilog, in dem freundliche Außerirdische Davids Wunsch für einen einzigen Tag erfüllen, indem sie seine "Mutter" aus einer Haarlocke — ähnlich den Dinosauriern in Jurassic Park — klonen. Dadurch wirkt der Epilog unfreiwillig komisch.
Den Stoff, dem die Kurzgeschichte "Supertoys last all summer" von Brian W. Aldiss zugrunde liegt, wollte ursprünglich Stanley Kubrick verfilmen. Die Realisierung des Films war gewissermaßen das Vermächtnis des Schöpfers des genialen Meisterwerks 2001 — Odyssee im Weltraum an seinen Freund Spielberg. Während Kubrick als Meister der perfekten, manchmal eisig wirkenden Bilder gilt, der immer von Krisen- und Extremsituationen erzählt, die die gewohnte menschliche Existenz in Frage stellen, gilt Spielberg als Meister des modernen Märchens.
Die Mischung der unterschiedlichen Stile macht den Reiz des Films aus. Viele Bilder sind sehr "kubrickanisch" und entsprechend eindrucksvoll. Die Tricktechnik ist perfekt, wie wir es von Spielberg aus Jurassic Park und anderen Filmen kennen und wie es auch Kubrick in seinem Film 2001 vorgemacht hat, der ohne die Hilfe der Computertechnik einige der beeindruckendsten Trickaufnahmen der Filmgeschichte enthält.
Immer wieder überschreitet der Film aber auch die Grenze zum gefühlsseligen Kitsch und die Handlung wird teilweise von einer pausenlosen bombastischen Musik zu sehr dominiert. Es ist dennoch ein sehr eindrucksvoller, technisch perfekter und alles in allem sehenswerter Film entstanden, in dem auch die SchauspielerInnen ihr Talent zur Geltung bringen können. Aber trotzdem: Kubrick hätte es besser gemacht.

Andreas Bodden

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