Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 27.09.2001, Seite 3

Krieg im Zeitalter der Globalisierung

Wir möchten, dass die internationale Gemeinschaft den Afghanen die Chance gibt, ihre Probleme allein zu lösen. Wenn man uns in Ruhe lässt, können wir das Land selber befrieden." Ein Sprecher des 86-jährigen Exilkönigs, der als Chef einer afghanischen Übergangsregierung gehandelt wird, spricht aus, was in Afghanistan nach 22 Jahren Krieg und Bürgerkrieg jeder denkt. Die britische Tageszeitung The Guardian zitiert einen Studenten aus Kabul: "Die Amerikaner können uns unterstützen und wir werden die Taliban selber los. Aber ein Wechsel unserer Regierung ist unsere Sache, nicht die der Amerikaner … Alles, was die Amerikaner tun müssen, ist die Grenze zu Pakistan schließen. Nicht die Taliban sind das Problem, es sind die pakistanischen Truppen."
Es sieht nicht danach aus, als würde die US-Regierung diesem Wunsch entsprechen wollen.
• In seiner Rede an die Nation vom 20.9. hat George Bush den Kreis der Mörder ausgeweitet, von Bin Ladens Organisation al Qaeda auf die Regierung der Taliban in Afghanistan. "Durch die Unterstützung und die Förderung von Mord wird das Taliban-Regime selbst zum Mörder … Die Taliban werden die Terroristen ausliefern oder ihr Schicksal teilen." In der ersten Phase des Kriegs gehört die Bombardierung der bekannten Ausbildungslager Bin Ladens ebenso zum Kriegsziel wie der Sturz der afghanischen Regierung.
Aber es gibt keinerlei Schutz davor, dass dies die einzige Regierung sein wird, die die USA beseitigen wollen. Der Sturz Saddam Husseins steht zwar auf der Prioritätenliste nicht ganz oben (Außenminister Colin Powell soll alle Hände voll zu tun gehabt haben zu verhindern, dass in diesem Stadium des Krieges weitergehende Ziele definiert werden als solche auf afghanischem Territorium), aber es gibt genügend Kräfte im Weißen Haus, die fordern, die Gelegenheit sei jetzt gekommen, auch hier reinen Tisch zu machen.
• Zudem bereiten die USA den Einsatz von Bodentruppen vor. Zu den sechs Forderungen, die Bush ultimativ erhoben und als "nicht verhandelbar oder diskutierbar" bezeichnet hat, gehört auch die: "Ungehinderter Zugang der USA zu den Ausbildungslagern der Terroristen." Dem Guardian zufolge bereiten sich Eliteeinheiten darauf vor, nachts mit Fallschirmen zu landen und Nester Bin Ladens auszuheben. Sie werden derzeit auf zwei Flugzeugträger im Persischen Golf verbracht, von wo aus sie über Stützpunkte in Pakistan in afghanisches Territorium eindringen sollen. Vorab wird die Flugabwehr der Taliban ausgeschaltet und die ca. 20 Flughäfen sowie die bekannten Ausbildungslager der Terroristen bombardiert.
Zu den Eliteeinheiten gehört auch das Kommando Spezialkräfte (KSK) aus Deutschland, eine Einheit von 400 Soldaten, die in Vierergruppen operiert. Ein Vorauskommando ist bereits unterwegs, angeblich um die deutsche Botschaft in Pakistan zu schützen (Scharping), bzw. um die Geiseln in Kabul zu befreien (Welt am Sonntag). Es sind aber auch französische und vor allem britische Truppen dabei.
Der Kommandeur des KSK, Brigadegeneral Günzel, ist von Scharping gerüffelt worden, weil er in einem Interview mit Spiegel-Online vor einer deutschen Beteiligung am Einsatz gewarnt hat. Bin Laden zur Strecke zu bringen sei "zum gegenwärtigen Zeitpunkt so gut wie unmöglich", dies würde ein Blutbad geben. "Keine Spezialeinheit der westlichen Welt könnte einem solchen Einsatz zustimmen. Das ist unter den Spezialkräften Amerikas, Israels, Frankreichs und Großbritanniens weitgehend übereinstimmende Auffassung." Washington und London bereiten ihre Öffentlichkeit bereits auf einen hohen Blutzoll vor; der britische Nordirlandminister John Reid sprach im Sender BBC davon: "Wir müssen darauf vorbereitet sein und es akzeptieren."
• Vorsorglich wird die Weltöffentlichkeit mit dem Gedanken vertraut gemacht, es könnten diesmal taktische Atomwaffen, biologische und chemische Waffen eingesetzt werden — vorsorglich natürlich, um den Terroristen zuvorzukommen, die solche Waffen in Gestalt der pakistanischen Regierung besitzen. Pakistan hat sich beeilt, sich unbedingt auf die Seite Washingtons zu schlagen. Aber das ist keine Garantie dafür, dass es den USA in einem späteren Stadium des Krieges nicht doch einfallen könnte, auch diese Regierung zu beseitigen — und damit auch die "islamische Atombombe".

Der "globale Krieg"


Kein aseptischer, sauberer, sondern ein schmutziger Krieg also. Einer, der nicht nur mit Soldaten, sondern ebensogut mit Terroreinheiten geführt wird, die im "militärischen Auftrag" handeln. Wenige Tage nach dem Anschlag hob die Bush-Regierung ein von den Vorgängerregierungen vor 25 Jahren verhängtes Verbot von Mordanschlägen der CIA im Ausland auf: Verdeckter Mord an Ausländern, auch an ausländischen Staatsoberhäuptern, ist ihm jetzt wieder erlaubt. Der Geheimdienst stellt nicht mehr nur die notwendigen Informationen zusammen, er ist Kampftruppe vor Ort; er braucht Verdächtige nicht vor Gericht zu bringen, sondern kann sie gleich selbst aburteilen. Eine zweite Verfügung soll ihm darüberhinaus die Rekrutierung und den Einsatz von Agenten erlauben, die selber Kriminelle sind und Menschenrechte verletzt haben. Bislang darf die CIA solche Leute offiziell nicht einstellen.
Der Unterschied zwischen Polizei, Geheimdiensten und Militär, zwischen Terrorbekämpfung und Krieg, zwischen Inlands- und Auslandseinsatz verschwindet. Der Krieg ist "global", er wird an allen Fronten und mit allen Mitteln geführt. Der Feind beliebig definierbar; heute ist es al Qaeda, aber die Zeitungen berichten schon, die rechte Hand Bin Ladens, Ayman al Zawahiri, der als "Public Enemy Nr.2" bezeichnet wird, sei Anführer der Ägyptischen Islamischen Jihad (EIJ), der zahlreiche Attentate zur Last gelegt werden, vom Mord an Anwar el Sadat 1981 über das Massaker an den Touristen in Luxor 1997 bis zu den Anschlägen auf US-Botschaften in Afrika 1998. Bislang dient diese Spur nur dazu zu beweisen, dass Bin Laden doch der Urheber der Anschläge in den USA ist. Ob aber auch diese ägyptische Organisation "in ihren Löchern ausgeräuchert wird", wie George Bush sich am Wochenende nach dem Anschlag auf das World Trade Center vernehmen ließ, ob der Heilige Krieg der christlichen Fundamentalisten im Weißen Haus also auch gegen Ägypten geführt wird, das ist natürlich eine Frage der politischen Zweckmäßigkeit — schließlich gehört Ägypten zu den "Verbündeten". Daran ermisst sich die politische Willkür dieses Krieges. Bin Ladens Organisation soll in 60 Ländern operieren; jedes, einschließlich der USA selbst, hat sich schuldig gemacht, die Terroristen "beherbergt" zu haben. Angeblich zählt die Organisation 3000 Mitglieder, aber wer soll das überprüfen bei einer Organisationsstruktur, die ausdrücklich auf erklärte Mitgliedschaft verzichtet? Die sich aus Freiwilligen rekrutiert, die jederzeit dutzendfach nachwachsen können? Und die in den Armenvierteln der muslimischen Welt einen echten Massenanhang mobilisieren kann — umso mehr, als hier die Opfer des globalen Krieges fallen werden? Sind das die Gegner der westlichen Welt, der selbst ernannten "Zivilisation"?
Es scheint so zu sein. Der uns in Aussicht gestellte "anhaltende Krieg" wird, je länger er dauert, umso undeutlichere Feindbilder haben, umso undifferenzierter die Unschuldigen treffen, die jetzt schon zu den Armen, Flüchtlingen, Verzweifelten und Ausgegrenzten zählen. Seiner Dynamik und seinem Charakter nach ist dies ein Krieg der reichen Welt gegen die arme Welt.

US-Hegemonie


Trotz weltweitem Bündnis und NATO-Beistandspakt: diesen Krieg führt die US-Regierung und sie lässt keinen Zweifel daran, dass sie allein darüber entscheidet. Das mühsame Geschäft, jeden einzelnen Kriegsakt mit Verbündeten absprechen zu müssen wie in Jugoslawien, will sie sich nicht wieder antun. Der UN-Sicherheitsrat hat seine Bereitschaft ausgedrückt, "die notwendigen Schritte für eine Antwort auf die terroristischen Angriffe vom 11.September 2001 zu ergreifen und alle Formen des Terrorismus im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen zu bekämpfen". Doch das ist etwas anderes als ein Mandat.
Bündnis und Beistandspakt versetzen die USA allerdings zum erstenmal in die Lage, einen weltweiten Krieg gegen einen unfassbaren Feind aus einer Position der absoluten Hegemonie zu führen — und dies in einer wirtschaftlichen Situation, in der sie alles andere als unangefochten dastehen. Die Verwerfungen, die diese Schieflage mit sich bringt, sind heute unübersehbar. Das einzige, was sicher scheint, ist, dass sich in diesem Krieg die angeblich "zivilisierte" Welt nicht nur gegen "den Terrorismus" misst, sondern auch gegeneinander.
Das Bündnis, das die US-Regierung schmieden konnte, steht auf brüchigem Grund. Es beruht u.a. darauf, dass viele Regierungen sich vom islamischen Fundamentalismus bedroht sehen und die Gelegenheit, einen innenpolitischen Gegner loszuwerden, gern wahrnehmen. Jede verfolgt dabei ihre eigenen Interessen, und die stehen oft genug gegeneinander. Wenn der Preis für die Bündnistreue höher wird als der Preis des Umgangs mit dem Fundamentalismus, wird das Bündnis bröckeln. Das gilt auch für die EU. Man muss sich darauf einstellen, dass eine mögliche wachsende Kritik an der Kriegführung der USA den Ruf nach einer Verselbständigung und Aufrüstung der Militärmacht EU anschwellen lässt — bei Konservativen nicht weniger als bei sog. Linken. Peter Scholl-Latour bietet einen Vorgeschmack davon, wenn er seine scharfsinnige Kritik an den USA in die Forderung nach einer europäischen Atombombe und einer europäischen Terrorismus- Truppe münden lässt — das ist dasselbe was die USA jetzt tun, nur unter eigener Verantwortung.

Auswege


Die Bewegung gegen die Konzernherrschaft, die so erfolgreich begonnen hat, die Interessen und Forderungen der Armen, Landlosen, Kleinproduzenten und abhängig Beschäftigten weltweit zu vernetzen, steht jetzt vor einer großen Herausforderung. Zum einen muss sie versuchen, Bündnispartner auch in der arabischen Welt zu gewinnen. Es muss ihr gelingen, den Opfern der Globalisierung einen anderen Ausweg zu zeigen als den islamisch-nationalistischen. Parallel zum WTO-Gipfel in Qatar war bislang in Beirut ein arabischer Gegengipfel geplant — der erste seiner Art. Er wäre eine Chance.
Zum anderen muss sie die oben beschriebene Falle vermeiden, sich mit falschen Freunden zusammenzutun. Die US-Regierung ist ebensowenig unsere Verbündete im Kampf gegen "reaktionäre feudale Kräfte" wie die EU oder die große Mehrheit der bestehenden Regierungen heute als Verbündete im Kampf gegen den "globalen Krieg" der Regierung Bush bezeichnet werden können. Mehr denn je muss sie ihre Unabhängigkeit gegenüber Staaten und Institutionen bewahren.
Zum dritten muss eine Brücke zwischen der Friedensbewegung und der Bewegung gegen die Konzernherrschaft gebaut werden. Wo der Krieg gegen die Armen mit militärischen Mitteln ausgefochten wird, dürfen die politisch-militärische und die wirtschaftlich-soziale Dimension nicht mehr voneinander getrennt werden.

Angela Klein

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