Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 27.09.2001, Seite 6

PDS im Strudel

Vor dem Parteitag in Dresden

Als Reaktion auf den Wandel der Lage nach den Terrorakten vom 11.September 2001 in den USA hat der PDS-Vorstand beschlossen, das Konzept des für Anfang Oktober nach Dresden einberufenen Parteitags umzustoßen.
Welcher Art die Korrektur sein wird, ist abzuwarten. Dass die PDS deeskalierend wirken will, ist angesichts der Drohung Bushs mit länger währendem "Vergeltungskrieg" und der von BRD-Regierung und rechter Opposition bekundeten Nibelungentreue richtig. Inzwischen hat jedoch Gregor Gysi zwar einen Krieg verurteilt, begrenzte Militäraktionen zur Ergreifung "Schuldiger" in anderen Ländern aber für statthaft erklärt, was die Parteivorstandsmehrheit nachträglich billigte.
Das Bild der PDS weist unterschiedliche Farben auf. Durch den Rückgang der Mitgliederzahl auf 84000 hat sich ihre Substanz weiter verringert. Zugleich errang sie äußere Erfolge und stellt im Osten erstmals Landräte. In Berlin, wo sie nach dem Wahltag am 21.10. unbedingt mitregieren will, steht möglicherweise ein größerer Sieg bevor. Spitzenkandidat Gysi kommt im Westteil gut an. Kehrseite der Medaille ist die vom CDU-SPD-Senat hinterlassene enorme Schuldenlast. Die PDS sagt "sozial gerechte" Entsorgung zu, spricht aber auch von "harten Einschnitten" zu Lasten der Massen, während die Schuldigen an der Misere ungeschoren bleiben.
Um den Etablierten in der BRD akzeptabel zu erscheinen, rückten Spitzenvertreter der Partei von demokratisch- sozialistischen Positionen ab. Typisch waren Details der Erklärung Gabi Zimmers und Petra Paus zur Vereinigung SPD/KPD vor 55 Jahren (SoZ 10/01), aber auch solche der Vorstandsdeklaration zum Mauerbau. Der stellvertretende Vorsitzende der Partei, Diether Dehm, wurde von anderen Führungskräften gerügt, weil er am Fernziel festhält, Großbanken und Konzerne zu vergesellschaften. Unterdes rechtfertigte Gysi die bisher von ihm verurteilte Liquidierung der DDR-Eliten durch die westdeutschen Sieger und die Bundestagsfraktion billigte Eckpunkte für eine Zuwanderungspolitik, die das Aufenthaltsrecht für Einwanderer an Bedingungen knüpft.
Noch umfassender ist die Anpassung an "Sachzwänge" im "Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus — Entwurf", das Parteichefin Zimmer am 27.4. vorlegte. Von Dieter Klein sowie André und Michael Brie unter Umgehung der zuständigen Gremien erarbeitet, strebt es einen libertären Sozialismus an, bei dem unter kapitalistischer Herrschaft erlangte "Freiheitsgüter" eine Hauptrolle spielen. Unternehmertum und Gewinninteresse seien "wichtige Bedingungen von Innovation und Effizienz".
Zwecks "Lösung" der Eigentumsfrage werfen die Verfasser die im gültigen Programm von 1993 mit festgeschriebene Version einer Umwandlung in Gemeineigentum über Bord und verlautbaren, entscheidend sei vielmehr die "Verfügung über wirtschaftliche Machtressourcen". Sie werten das Schröder-Blair-Konzept der "Neuen Mitte" als kleineres Übel gegenüber hartem Neoliberalismus, während es in Wahrheit nur eine Ergänzung ist. Ihr Bekenntnis zum Gewaltmonopol des UNO-Sicherheitsrats schließt die Möglichkeit einer Zustimmung der PDS zu von diesem beschlossenen Militäreinsätzen ein, die der Münsteraner Parteitag im Jahr 2000 gleich allen anderen Einsätzen in fremden Ländern abgelehnt hat.
Michael Brie hat den Entwurf als ein Papier gefeiert, das mehr bei Marx liegt denn "alle deutschen sozialdemokratischen und kommunistischen Parteiprogramme seit 1848" — ergo auch das Erfurter und Rosa Luxemburgs KPD-Programm. Den Entwerfern wurde bürgerlicher Beifall einerseits, Kritik von links andererseits zuteil. Am 6./7.5. unterbreiteten Monika Balzer, Ekkehard Lieberam, Dorothée Menzner und Winfried Wolf als linke Alternative das "Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), Entwurf II", in dem auf marxistischer Grundlage radikaldemokratische Vorstellungen entwickelt werden.
Anders als Brie-Klein-Brie verwerfen sie in Auseinandersetzung mit dem Rassismus auch die staatliche Abschiebepraxis und bezeichnen den nach 1990 in der Ex-DDR erprobten Raubkapitalismus als "größten nichtmilitärischen Bereicherungsfeldzug in der deutschen Geschichte". Sie verlangen Anstrengungen, um das soziale Netz zu verteidigen und auszubauen. Tolerierung anderer oder Koalitionen mit ihnen dürfe es nur geben, wenn entsprechende Bedingungen erfüllt werden.
PDS-Pressesprecher Harnisch sagte die Veröffentlichung auch dieses Entwurfs zu. Der Parteirat forderte Gleichberechtigung für beide Programmvorlagen. Vertreterinnen und Vertreter der Parteimitte und linksstehende westdeutsche Wissenschaftler drangen darauf, den Parteitag auf keinen der Entwürfe festzulegen. Hingegen lehnte es die Vorstandsmehrheit ab, wie den ersten auch den zweiten Entwurf auf Parteikosten im Neuen Deutschland abdrucken zu lassen. Sie verfügte, "Arbeitsgrundlage zur Annahme eines überarbeiteten Parteiprogramms der PDS" sei das Brie-Klein-Brie-Papier.
Während CDU/CSU- und FDP-Politiker die Partei weiter nach dem Muster des kalten Krieges attackierten, wurde ihr von seiten führender SPD-Instanzen Lob zuteil. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommerns, Harald Ringstorff, indes düpierte sie. Er stimmte im Bundesrat für die vom Koalitionspartner PDS zurückgewiesene "Rentenreform", die den Unternehmern alle Beiträge zur Rentenversicherung Beschäftigter erlässt und Letztere zu privater Altersvorsorge zwingt. Gysi ging zutreffend davon aus, dass dieser Schritt mit Schröder abgestimmt war: "Der Kanzler wollte uns damit wohl unsere reale Bedeutung aufzeigen."
Um das Schweriner Bündnis mit der SPD fortzusetzen, begnügte sich der betrogene Juniorpartner PDS mit dem "Geständnis" einer allgemein bekannten Tatsache durch Ringstorff, nämlich dass er "gegen den Koalitionsvertrag verstoßen" habe. Erhard Eppler, 1987 SPD-Chefunterhändler über das Ideologiestreit-Papier mit der SED, gab im Hinblick auf die PDS die Parole aus, langfristig "den Laden zu übernehmen"; mindestens die Funktionäre seien schon sozialdemokratisch.
Die PDS will drittstärkste Partei in Deutschland werden. Dies durch immer mehr Zugeständnisse ans Establishment zu erreichen, dürfte unmöglich sein. Auch wissen führende Genossinnen und Genossen keine Antwort darauf, wie die Schröder-Fischer-Koalition von rechten auf Mitte-links-Positionen gebracht werden soll.
Grundbedingung dafür, dass die PDS ihrerseits Druck auf das Regierungslager ausübt, ist die Abwehr der zahlreichen Angriffe "von oben" auf innerparteiliche demokratische Verfahrensweisen und auf die politisch-programmatische Grundlinie. Gemeinsam mit sozialistisch, demokratisch und pazifistisch gesinnten Funktionären und Mandatsträgern ist die Parteibasis die Kraft, die diese Abwehr bewirken kann. Verkommt hingegen die PDS zur regierungstreuen "Beliebigkeitspartei", wird die Linke unter erschwerten Bedingungen den Aufbau einer neuen, entschieden antikapitalistischen Partei wagen müssen.

Manfred Behrend

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