Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 27.09.2001, Seite 13

Afghanische Frauen fordern:

Die USA sollen unser Volk verschonen

Weder Taliban noch Jihad. Weder Mullah Mohammed Oman, der Chef der Taliban-Milizen, noch Schah Massud, der ermordete Führer der oppositionellen Nordallianz, die sich jetzt anschickt, von den USA als innere Front für den Sturz des Taliban-Regimes aufgerüstet zu werden. Keine Bomben über Afghanistan! Das ist der dringende Appell von Rawa, der Revolutionären Vereinigung der afghanischen Frauen an die US-Regierung und an alle Kräfte im Westen.
Die Männer können ihre Familien nicht ernähren, aber sie führen Krieg — mal für die eine, mal für die andere Seite und immer mit dem Geld von äußeren Mächten, die sie als Spielball ihrer Interessen benutzen. Die Frauen haben keine Rechte, aber sie dürfen von Flüchtlingslager zu Flüchtlingslager ziehen und müssen sehen, wie sie ihre Kinder ernähren und ausbilden. Eine von ihnen, die 28-jährige Sodaba, wurde von der belgischen Tageszeitung Le Soir interviewt (22.9.2001).

Sodaba hat ein Geheimnis. Sie gehört zu den Hunderten von Frauen, die den Taliban zum Trotz im Geheimen eine Frauensolidarität auf afghanischem Boden organisieren.
"Wir sind in ganz Afghanistan präsent, wir passieren regelmäßig die Grenze (zu Pakistan). Das Risiko ist sehr hoch, weil die Pfade vermint sind. Wir arbeiten auf sozialem und auf politischem Gebiet. Wir organisieren Grundschulklassen und geben Alphabetisierungskurse, wir ziehen etwas Vieh groß und treiben etwas Handwerk. Die politische Seite, das sind Kurse, wo wir den Frauen beibringen, welche Rechte sie haben, unsere Literatur in Pashtu verbreiten, um ihre Emanzipation zu fördern. Ein guter Teil der Kurse geht auch für die Tarnung drauf, denn nichts von dem, was wir tun, ist erlaubt. Wir müssen in der Lage sein, auf die Fragen der Taliban zu antworten, Vorwände zu finden, Ausflüchte… Die Kurse tarnen wir regelmäßig als Koranunterricht."

Die Frauen sehen sich weder auf der Seite der Taliban-Regierung, noch auf der Seite der Nordallianz. Sie kämpfen für ihre Kinder und für den Frieden.
"Als die Russen abzogen, gab es 1992 eine große Ernüchterung und es schlossen sich die Kriminellen unter der Führung von Schah Massud zusammen, die sich dem Jihad verschrieben hatten. 1996 übernahmen die Taliban die Macht. Schon zu sowjetischer Zeit hatten wir die USA gewarnt, diese Extremisten nicht zu unterstützen. Aber man hörte nicht auf uns. Heute erfahren sie, was Fundamentalismus und Terrorismus bedeuten. Für uns ist es die Hölle, dabei verlieren wir unsere afghanische Identität. Dann kam Osama Bin Laden und hat unser Land mißbraucht. Wir haben gesagt, der Fundamentalismus ist ein Krebsgeschwür, das alle Verbrechen möglich macht.
Die Attentate von New York haben mit dem afghanischen Volk rein gar nichts zu tun; hier stehen nicht die USA gegen Afghanistan, hier stehen die USA gegen Osama und seine talibanischen Unterstützer. Die USA soll machen, was sie wollen, aber sie sollen das Volk verschonen."

Die Rückkehr des Königs Mohammed Zahir Schah (86 Jahre alt, 1973 exiliert nach dem Putsch von Mohammend Daoud), meint Sodaba, sei für die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung eine akzeptable Lösung: er habe Erfahrung und habe ein wohlwollendes Regime geführt. Sodaba kann sich eine Wiederherstellung der traditionellen afghanischen Welt vorstellen, aber auf verbesserter Grundlage: mit einem Wahlrecht für Frauen und ihrer rechtlichen Gleichstellung mit den Männern.
"Diejenigen, die glauben, wir würden von finsteren antitalibanischen Mächten angestiftet, können sich einfach nicht vorstellen, dass Frauen in der Lage sind, sich selbst zu organisieren, dass sie keine Tiere sind und einen eigenen Willen haben.
Die afghanischen Frauen haben die Lehren aus zwei Jahrzehnten Krieg gezogen, sie haben das Internet und die Menschenrechte für sich entdeckt, und das taten sie nicht, um wieder Spielball in einem großen Buskatschi zu werden (ein traditionelles afghanisches Spiel, in dem Reiter sich um ein Hammelfell schlagen).
Werden die USA jetzt, wo die Taliban und Bin Laden für den kriminellen Anschlag verantwortlich gemacht werden, gegen Afghanistan einen ähnlichen militärischen Angriff führen wie der von 1998 und dabei Tausende unschuldiger Afghanen für die Verbrechen der Taliban und Bin Ladens umbringen? Glauben die USA, dass sie damit und mit den Tausenden von Armen und Flüchtlingen, die sie hervorbringen, die Ursachen des Terrorismus beheben können? Werden sie nicht vielmehr dazu beitragen, daß er sich ausbreitet?"
"Stellt jede Hilfe an die Nordallianz und an die Taliban ein", forderte Sodaba. "Das ist das erste. Das zweite ist: Man muss beide Seiten entwaffnen. Erst dann wird man wieder aufbauen können. Wir hoffen eindringlich, dass das amerikanische Volk unterscheiden kann zwischen dem afghanischen Volk und einer Handvoll fundamentalistischer Terroristen."

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