Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 27.09.2001, Seite 14

Marlboro-Kommunisten in Ekstase

Die Welt des globalisierten Kapitalismus sieht entgeistert auf die monströsen Geschöpfe ihrer eigenen Produktionsweise und will nicht wahr haben, dass, wenn alles privatisiert werden soll, dies auch für den Krieg gelten wird. Wurden die Türme des World Trade Center in Manhattan seit ihrer Erstellung als Symbol gefeiert, dass Kapital und ihm unterworfene Technik alles machbar machen, so ist ihr gewaltsames Ende genau der Beweis dafür.
Das barbarische Massaker von New York hat im Gegensatz zur unermüdlich verkündeten Botschaft diese Welt nicht verändert, sondern im Gegenteil in ihrer Brutalität bestätigt. Dem Rachefeldzug gegen Schuldige mangelt es deshalb vor allem am Adressaten, müsste sich, nimmt man die Worte der US-Regierung für bare Münze, mehr gegen Hamburg-Harburg als gegen Afghanistan wenden. Wenn jetzt viele Linke gegen einen neuen Krieg mobil machen, dann tappt solch Orientierung leider in genau diese Falle: es gibt keinen äußeren Feind, dem Oben den Krieg erklären und diesen wiederum Unten in eine Revolution verwandeln könnte. Ein besonders brachiales Wohlergehen in dieser Falle leistet sich die mittlerweile schon unterirdisch argumentierende Gruppe um die Zeitschrift Bahamas.
Deren Hauptfeind ist bekanntlich "deutsch", wobei hart am Rande des Wahnsinns gilt: "Aber ‚deutsch‘ ist erstens keine fixe ‚Eigenschaft‘ eines bestimmten Kollektivs, sondern bezeichnet eine gesellschaftliche Konstellation, die zweitens auch nicht auf einen bestimmten Landstrich in Mitteleuropa beschränkt ist: die Mutation einer Gesellschaft zur Selbstmordsekte, die, angefeuert von ihren Einpeitschern, vor dem eigenen ins Auge gefassten oder zumindest geahnten Untergang zunächst den anderen die Hölle auf Erden bereitet und deren Mitglieder gerade aus der Vergeblichkeit ihrer Unternehmungen die sinistre Energie ihres Handelns beziehen."
Das wurde vor dem 11.September geschrieben. Folgerichtig wurde danach festgestellt, dass Deutschland der Urheber und Nutznießer des Terroranschlags ist. Deutschland, "die Taliban", "die Palästinenser" und "der Islam" betrieben gemeinsam die antizionistische Mobilmachung und würden jetzt alles tun, "den Amerikanern" die berechtigte Gegenwehr zu erschweren. "Dem Koran kommt eine ähnliche Rolle zu wie seinerzeit Hitlers Machwerk Mein Kampf." Die deutsche Linke wie die Regierungsvertreter "winseln jetzt um Frieden, weil sie das mörderische Treiben in ihrem Innersten als zutiefst gerecht empfinden". Und "Fischer will Anschläge vergelten, die doch erst durch die Spekulation darauf zustande kamen, dass die EU von einer Schwächung der USA profitieren könnte, als Makler in Nah-Ost." "Denn ein bisschen mitmachen muss dass offizielle Deutschland beim ‚Kampf gegen den Terrorismus‘ schon, haben die Attentäter doch die Anmaßung begangen, selbst in die Hand genommen zu haben, was doch eigentlich Aufgabe deutscher oder europäischer Vermittlungstätigkeit zu sein hätte." "Der Islam ist Heidegger für Analphabeten … Dass er weiter möglichst ungehindert zum Zuge kommen kann, das ist der Grund des unbedingten Friedenswillens, auf dass das deutsche Wesen sich in Gestalt des moslemischen Selbstmordattentäters doch noch an der Welt rächen könne."
Deshalb muss "die USA" jetzt zurückschlagen, "dass im Windschatten der Militärschläge der … Druck von Israel wenigstens temporär wieder weicht und Israel in die Lage versetzt, sich seinerseits ohne unerbetene Einmischung von außen der akuten Bedrohung angemessen zu erwehren". "US-amerikansche Militärschläge gegen islamische Zentren hätte jeder bis auf weiteres zu begrüßen…" "Sollte wirklich Afghanistan das erste Ziel eines US-Gegenschlages sein, wäre zu fordern, dass dieser so konsequent wie möglich erfolgt … und nicht auf Afghanistan beschränkt bleibt."
Denn: "Andererseits könnte die militärische Bezwingung des Islamismus den Blick von islamischer Elendsverklärung, Selbstkasteiung und Mordlust fort auf die von der kapitalistischen Vergesellschaftung hervorgebrachten materiellen Potenziale lenken und den Wunsch nach kommunistischer Aneignung aufkeimen lassen."
Nun reicht es aber. Mit NATO-Bomben und Bush-Kriegern zum Kommunismus, that‘s it. Es handelt sich hier nur um die "Erste Erklärung" der Redaktion Bahamas zum Terroranschlag. Bitte, bitte: erspart uns jede weitere. Stattdessen ein Vorschlag: setzt euch gemütlich auf euer Sofa und qualmt eine amerikanische Zigarette nach der anderen. Das stärkt den US-Befreierimperialismus und vergrößert via Tabaksteuer den deutschen Beitrag am antiislamischen Feldzug. Ist doch toll ihr Marlboro-Kommunisten, oder?

Thies Gleiss

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