Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.21 vom 11.10.2001, Seite 5

PDS-Parteitag

Ohne SPD läuft nichts

Nur selten überholen die Ereignisse politische Vorschläge in einer derart rasanten Geschwindigkeit wie am ersten Oktoberwochenende auf dem PDS-Parteitag in Dresden. Nur wenige Stunden nachdem Gregor Gysi, Spitzenkandidat der PDS im Berliner Wahlkampf, seine Vorstellung zur Ergreifung der Täter des 11.September den 450 Parteitagsdelegierten unterbreitet hatte, schlugen die ersten US-amerikanischen und britischen Marschflugkörper in afghanischen Städten ein. Gysi hatte von einer "polizeilichen Aktion" gesprochen, die von einem militärischen "Kommandounternehmen" durchgeführt werden sollte. Unter der Bedingung, dass "dabei keine Unbeteiligten und keine Unschuldigen irgendwie gefährdet oder in Mitleidenschaft gezogen" werden. Das Publikum im Dresdner Kulturpalast applaudierte. Doch dieser fromme Wunsch ist seit den frühen Abendstunden des 7.Oktober obsolet geworden.
Überhaupt schienen die Erfahrungen der NATO-Angriffe auf Jugoslawien weitgehend vergessen. Nur Hans Modrow, der Ehrenvorsitzende der PDS, erwähnte als einziger Redner der PDS auf dem Podium die sogenannten "Kollateralschäden" — zivile Opfer der "chirugischen Eingriffe" durch Bombenangriffe des Militärbündnisses im Jugoslawienkrieg. Modrow unterstrich damit die Unmöglichkeit einer "gezielten militärischen Aktion", für die sich Gysi schon vor dem Parteitag öffentlich ausgesprochen hatte.
Obwohl andere führende Parteimitglieder und Mandatsträger den Vorschlag Gysis in den vergangenen Wochen zu relativieren versuchten, löste er heftige Debatten aus und führte zu mehreren Drohungen, die Partei zu verlassen sowie mindestens einem Parteiaustritt. Die seit ihrer Gründung für die Partei zentrale Frage von Krieg und Frieden erhielt seit dem 11.September eine neue Aktualität und verschärfte den Streit um die Gewichtung der unterschiedlichen Entwürfe für ein neues Parteiprogramm. Noch am Freitag Abend vor Beginn des Parteitags befürchteten viele Mitglieder, das Wochenende könnte zur Zerreißprobe für die Partei werden.

Keine Zerreißprobe

Doch der Vorstand war gewappnet. Er hatte kurzfristig einen "Dresdner Friedensappell" verfasst, der den Terrorangriff in den USA scharf verurteilte, sich gegen Militärschläge und Krieg aussprach und vordergründig einige Kritikpunkte am Programmentwurf des Parteivorstandes korrigierte. Vom "Umbau" der NATO, sprich Reform des Militärbündnisses, ist im Appell nicht mehr die Rede. Aber auch nicht von seiner Auflösung. Stattdessen setzt das Papier auf den UN-Sicherheitsrat. Obwohl zu dessen Auftrag auch die Verabschiedung von UN-Kampfeinsätze gehören, fand der Appell die Zustimmung der Parteitagsmehrheit. Auf dem Münsteraner Parteitag im April 2000 war der Vorstand mit seinem Anliegen für UN-Kampfeinsätze noch gescheitert. Damals votierte die Mehrheit der Delegierten auch gegen friedenserzwingende Kampfeinsätze unter UN-Mandat — mit oder ohne Bundeswehrbeteiligung.
Ein Ergänzungsantrag von neun Delegierten, darunter der Bundestagsabgeordnete Winfried Wolf und Uwe-Jens Heuer vom Marxistischen Forum, forderte die "bedrohlichen Kriegsvorbereitungen" von USA und NATO in den "Mittelpunkt der Aufmerksamkeit" zu stellen, weniger die Zustände zu beschreiben und dafür mehr "Aktionsperspektive" aufzuzeigen. Der Antrag wurde von der Kommission nicht zur Abstimmung zugelassen, weil zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als zwei Drittel der Delegierten den Appell unterschrieben hätten und dieser damit zum "Beschluss erhoben" sei. "So etwas wäre in keinem Parlament zulässig", kritisierte Uwe-Jens Heuer.
Diese Gangart gegenüber den Parteilinken, die mit einem eigenen Programmentwurf gegen den des Parteivorstandes angetreten waren, sich in den letzten Wochen aber für eine zukünftige Gleichbehandlung aller Entwürfe ausgesprochen hatten, zog sich wie ein roter Faden durch den Parteitag. Bis auf den Ehrenvorsitzenden gab es keinen der Parteivorderen, die nicht die Parteilinken attackierten. Die Parteivorsitzende Gabi Zimmer behauptete sogar, wenn sich Mitglieder einer "sozialistischen Partei selbst zur Parteilinken erklärten", würden sie "große Teile dieser Partei zur ‚Rechten‘ abstempeln". Es dürfe keine linke Fraktionierung in einer linken Partei geben.
"Ich finde es unerhört, dass so in linker Arroganz die notwendige gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rechtspopulismus verharmlost" wird, unterstellte Zimmer, die den Hamburger Landesarbeitsausschuss und Winfried Wolf namentlich angriff. Mit dem von ihr vorgelegten Programmentwurf des Parteivorstandes würde keinesfalls ein "Rechtsruck" vollzogen. Roland Claus, der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, will der PDS den Nachruf ersparen, dass die Partei "rein in der Lehre, aber überflüssig in der Gesellschaft" gewesen sei, sagte er an die Adresse der Parteilinken.

Exempel statuiert

Doch vor allem an der schwächsten Gruppe der Parteilinken, der Hamburger Linken Liste der PDS, die in der Partei ohnehin isoliert ist, sollte ein Exempel statuiert werden. Die Hamburger hatten anlässlich des 11.September ein Flugblatt mit dem Titel veröffentlicht: "Nur Frieden schafft Frieden — Sowas kommt von sowas", in dem sie vor allem die Verbrechen der US-amerikanischen Politik aufzählen. Gysi bezeichnete das als "schändliche Häme", "Schadenfreude" und "menschenverachtend". "Ich denke, durch das Grundgesetz ist es schon gedeckt, so etwas zu sagen. Aber das mag vom Grundgesetz her erlaubt sein, nur einem PDS-Mitglied ist es nicht erlaubt, so etwas menschenverachtendes zu sagen", so seine Vorwürfe an die Hamburger.
Der Terroranschlag in den USA und Kritik an der Politik der USA gehörten nicht zusammen, erklärte Gysi. Obwohl er wie viele andere Redner auch Kriege und die neoliberale Globalisierung für weltweites Elend verantwortlich macht und Gabi Zimmer meint, nur mit weltweiter Armutsbekämpfung dem Terrorismus den "Lebensnerv" ziehen zu können, attestiert er ausgerechnet den Hamburgern eine Verwechslung von Ursache und Wirkung.
Weil nach Angaben von Geschäftsführer Dietmar Bartsch ein Ausschluss noch nicht möglich sei, fanden sich fünf PDS-Mitglieder aus Westdeutschland, die in einem Initiativantrag an den Parteitag den Hamburgern eine "klammheimliche Freude" über die Terroranschläge unterstellen und solche Positionen aus der PDS verbannen wollen. Uwe-Jens Heuer forderte eine Debatte zu diesem Punkt, denn in seinen Augen sei dies "der Schritt vor dem Parteiausschluss". Er selbst habe 1958 ein Parteiverfahren in der DDR gehabt und sei vom Universitätsstudium ausgeschlossen worden. Doch der stellvertretende Parteivorsitzende Peter Porsch würgte die Begründung des Debattenantrags ab. Damit war die Diskussion auf eine Begründungs-, Gegen- und Unterstützungsrede beschränkt.
Die Gegenrede zu diesem Antrag hielt ausgerechnet eine der "Genossinnen" aus Hamburg, die mit dem Initiativantrag unterstützt werden sollten und "die Position des jetzigen Landesarbeitsausschusses nicht teilen", so der Initiativantrag. Sie kritisierte das Vorgehen der Antragsteller und warnte vor dem Argument der "klammheimlichen Freude". Damit sei in den 70er Jahren Hatz auf vermeintliche Anhänger der Roten Armee Fraktion gemacht worden. Trotz der Bedenken unterstützte die Mehrheit der Delegierten den Initiativantrag gegen die Hamburger. Olaf Walther, Mitglied der Hamburger Linken Liste, sagte anschließend in einem Interview, dass von "klammheimlicher Freude" über die Terroranschläge keine Rede sein könne. Sie würden auch die Opfer bedauern, lehnten aber eine "kritische Solidarität" mit der US-Regierung ab, wie sie Teile der PDS-Bundestagsfraktion fordern.
Noch besser als der Initiativantrag gegen Hamburg schnitt der Leitantrag des Parteitages ab, der ausschließlich den reformorientierten Programmentwurf des Parteivorstandes als Grundlage für die künftige Diskussion vorsieht. Weniger als 10% der Delegierten stimmten dagegen.

Regieren, regieren

Auch im Bereich der inneren Sicherheit schlägt die PDS neue Töne an. Man müsse das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung ernst nehmen. Wieder war es Gysi, der sich besonders weit aus dem Fenster lehnte. Ein dezentrales Polizeikonzept müsse her, mehr Präsenz von Beamten auf öffentlichen Plätzen sei einer Kameraüberwachung vorzuziehen. "Die [Kameras] kommen nicht runter, wenn du überfallen wirst."
In Berlin, wo die PDS nach der Wahl am 22.Oktober mitregieren will, hat die Partei schon ein neues Polizeikonzept vorgelegt. "Angesichts der Terror-Bedrohung braucht die Stadt eine handlungsfähige Behörde", so die PDS-Landtagsabgeordnete Marion Seelig. Die PDS sieht einen Finanzierungsbedarf von zusätzlich 69 Millionen Mark für die Polizei in Berlin. Sie soll nach Aussagen Gysis auch in Nahverkehrsmitteln, Zügen und Bahnhöfen vermehrt eingesetzt werden. Dass die Beamten dort in letzter Zeit verstärkt für rassistische Kontrollen durchführen, ließ Gysi in seiner Rede unerwähnt.
Auch auf Bundesebene strebt die PDS über kurz oder lang eine Regierungsbeteiligung an. "Wir müssen deutlich machen, dass für die SPD der Neuen Mitte politisch auch die Möglichkeit der Kompromisssuche nach links bestünde", heißt es im Leitantrag. Zwar beteuerte Bartsch in Dresden wie viele andere auch, dass eine "Regierungsbeteiligung der PDS auf Bundesebene 2002 nicht auf der Tagesordnung steht". "Wir dürfen aber nicht den Blick für die Realitäten in diesem Land verlieren. Gegen oder ohne die SPD werden auch punktuelle positive Veränderungen hierzulande nicht möglich sein", so der Bundesgeschäftsführer in seiner Rede.
Doch diese "Realitäten" haben Schwesterparteien im Ausland mit dem Rücken zur Wand gedrängt. Das erkennen auch einige Mitglieder der PDS, die nicht zum linken Flügel gehören. Der Parteivize Dieter Dehm beklagt, dass die französische KP als Juniorpartner der Sozialisten in der Wählergunst "auf das Niveau trotzkistischer Parteien abgesunken ist". Auf EU-Ebene diskutierten die verschiedenen Parteien nun über "neue Formen des Mitregierens", so Dehm, der Ende September ein Treffen der Schwesterparteien in Straßburg besucht hatte. Die PDS solle sich darüber ebenfalls Gedanken machen.
Dass sie auch angesichts ihrer Erfahrungen in Mecklenburg-Vorpommern zu ähnlichen Schlüssen kommt wie Rifondazione Comunista in Italien, ist kaum zu erwarten. Die italienischen Genossinnen und Genossen haben mit dem Mitte-LinksBündnis abgeschlossen und ziehen es vor, lieber mit sozialen Bewegungen und anderen außerparlamentarischen Kräften zu arbeiten, als ihre Kräfte in der Rolle des regierenden Juniorpartners zu verschleißen.

Gerhard Klas

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