Sozialistische Zeitung |
Nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen 1979 in Afghanistan setzten die CIA und der pakistanische Geheimdienst ISI die größte
Undercoveroperation in der Geschichte der CIA in Gang. Ihr Ziel war, die Kraft des afghanischen Widerstand gegen die Sowjetunion für sich einzuspannen und ihn zu einem Heiligen
Krieg, einem Jihad, auszuweiten, der die islamischen Republiken in der Sowjetunion gegen das kommunistische Regime kehren und es damit destabilisieren würde.
Anfänglich sollte er zum sowjetischen Vietnam werden. Es wurde viel mehr daraus. Über die Jahre und vermittelt
über die ISI hat die CIA fast 100.000 radikale Mudschaheddin aus 40 islamischen Ländern als Soldaten für Amerikas Stellvertreterkrieg rekrutiert und finanziert. Die Basis
der Mudschaheddin wusste nichts davon, dass ihr Jihad im Auftrag von Uncle Sam geführt wurde. Die Ironie ist, dass auch Amerika nicht wusste, dass sie dabei war, einen künftigen
Krieg gegen sich selbst zu finanzieren.
1989, nach zehn Jahren blutigem und unbarmherzigem Krieg, zogen sich die Russen zurück; sie hinterließen eine
zu Bruch gegangene Zivilisation.
Der Bürgerkrieg in Afghanistan wütete weiter. Der Jihad griff über auf Tschetschenien, Kosovo und
möglicherweise Kashmir. Der CIA pumpte weiter Geld und militärische Ausrüstung hinein, aber die Kosten stiegen ins Unermessliche, und es wurde immer mehr Geld
gebraucht. Die Mudschaheddin befahlen den Bauern, Opium als Revolutionssteuer anzubauen. Die ISI errichtete Hunderte von Heroinlaboren in allen Teilen Afghanistans.
Innerhalb von zwei Jahren nach der Ankunft der CIA hatte sich an der pakistanisch-afghanischen Grenze die größte
Heroinproduktion der Welt etabliert; sie war die größte Bezugsquelle für das Heroin, das in Amerikas Straßen verkauft wurde. Die jährlichen Profite wurden
zwischen 100 und 200 Milliarden Dollar geschätzt, sie flossen zurück in Ausbildung und Bewaffnung der islamischen Kämpfer.
1995 erkämpften sich die Taliban, damals eine randständige Sekte gefährlicher Männer und harte
Fundamentalisten, ihren Weg zur Macht in Afghanistan. Sie wurden von der ISI, die alte Kriegerschar der CIA, finanziert und von vielen politischen Parteien in Pakistan unterstützt.
Die Taliban entfesselten ein Terrorregime. Ihr erstes Opfer war die eigene Bevölkerung, vor allem Frauen.
Mädchenschulen wurden geschlossen, Frauen aus ihren Arbeitsplätzen in der Verwaltung gedrängt, und eine verschärfte Scharia eingeführt, unter der angeblich
unmoralische Frauen zu Tode gesteinigt und ehebrecherische Witwen lebendig verbrannt wurden.
Angesichts der Spur an Menschenrechtsverletzungen, die die Taliban hinterlassen, ist es unwahrscheinlich, dass sie sich von der
Aussicht auf einen Krieg einschüchtern oder irgendwie von ihrem Vorhaben abbringen lassen, auch nicht von der Drohung, es könne die Zivilbevölkerung das Leben kosten.
Nach allem, was passiert ist, kann es da eine größere Ironie geben als dass Russland und Amerika jetzt gemeinsam
Afghanistan ein weiteres Mal zerstören? Kann man Zerstörtes noch einmal zerstören? Noch mehr Bomben über Afghanistan können nur Trümmerberge
aufwühlen, ein paar alte Gräber durcheinander bringen und die Toten stören.
Die trostlose Landschaft Afghanistans war die Grabstätte des sowjetischen Kommunismus und das Sprungbrett zu einer
unipolaren, von Amerika dominierten Welt. Heute ist Afghanistan auf dem Weg, zum Grab für die Soldaten zu werden, die diesen Krieg für Amerika gefochten und gewonnen
haben.
Arundhati Roy, Aus: The Guardian, 29.9.2001.
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