Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.21 vom 11.10.2001, Seite 7

Die Algebra der endlosen Gerechtigkeit

Nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen 1979 in Afghanistan setzten die CIA und der pakistanische Geheimdienst ISI die größte Undercoveroperation in der Geschichte der CIA in Gang. Ihr Ziel war, die Kraft des afghanischen Widerstand gegen die Sowjetunion für sich einzuspannen und ihn zu einem Heiligen Krieg, einem Jihad, auszuweiten, der die islamischen Republiken in der Sowjetunion gegen das kommunistische Regime kehren und es damit destabilisieren würde.
Anfänglich sollte er zum sowjetischen Vietnam werden. Es wurde viel mehr daraus. Über die Jahre und vermittelt über die ISI hat die CIA fast 100.000 radikale Mudschaheddin aus 40 islamischen Ländern als Soldaten für Amerikas Stellvertreterkrieg rekrutiert und finanziert. Die Basis der Mudschaheddin wusste nichts davon, dass ihr Jihad im Auftrag von Uncle Sam geführt wurde. Die Ironie ist, dass auch Amerika nicht wusste, dass sie dabei war, einen künftigen Krieg gegen sich selbst zu finanzieren.
1989, nach zehn Jahren blutigem und unbarmherzigem Krieg, zogen sich die Russen zurück; sie hinterließen eine zu Bruch gegangene Zivilisation.
Der Bürgerkrieg in Afghanistan wütete weiter. Der Jihad griff über auf Tschetschenien, Kosovo und möglicherweise Kashmir. Der CIA pumpte weiter Geld und militärische Ausrüstung hinein, aber die Kosten stiegen ins Unermessliche, und es wurde immer mehr Geld gebraucht. Die Mudschaheddin befahlen den Bauern, Opium als Revolutionssteuer anzubauen. Die ISI errichtete Hunderte von Heroinlaboren in allen Teilen Afghanistans.
Innerhalb von zwei Jahren nach der Ankunft der CIA hatte sich an der pakistanisch-afghanischen Grenze die größte Heroinproduktion der Welt etabliert; sie war die größte Bezugsquelle für das Heroin, das in Amerikas Straßen verkauft wurde. Die jährlichen Profite wurden zwischen 100 und 200 Milliarden Dollar geschätzt, sie flossen zurück in Ausbildung und Bewaffnung der islamischen Kämpfer.
1995 erkämpften sich die Taliban, damals eine randständige Sekte gefährlicher Männer und harte Fundamentalisten, ihren Weg zur Macht in Afghanistan. Sie wurden von der ISI, die alte Kriegerschar der CIA, finanziert und von vielen politischen Parteien in Pakistan unterstützt.
Die Taliban entfesselten ein Terrorregime. Ihr erstes Opfer war die eigene Bevölkerung, vor allem Frauen. Mädchenschulen wurden geschlossen, Frauen aus ihren Arbeitsplätzen in der Verwaltung gedrängt, und eine verschärfte Scharia eingeführt, unter der angeblich unmoralische Frauen zu Tode gesteinigt und ehebrecherische Witwen lebendig verbrannt wurden.
Angesichts der Spur an Menschenrechtsverletzungen, die die Taliban hinterlassen, ist es unwahrscheinlich, dass sie sich von der Aussicht auf einen Krieg einschüchtern oder irgendwie von ihrem Vorhaben abbringen lassen, auch nicht von der Drohung, es könne die Zivilbevölkerung das Leben kosten.
Nach allem, was passiert ist, kann es da eine größere Ironie geben als dass Russland und Amerika jetzt gemeinsam Afghanistan ein weiteres Mal zerstören? Kann man Zerstörtes noch einmal zerstören? Noch mehr Bomben über Afghanistan können nur Trümmerberge aufwühlen, ein paar alte Gräber durcheinander bringen und die Toten stören.
Die trostlose Landschaft Afghanistans war die Grabstätte des sowjetischen Kommunismus und das Sprungbrett zu einer unipolaren, von Amerika dominierten Welt. Heute ist Afghanistan auf dem Weg, zum Grab für die Soldaten zu werden, die diesen Krieg für Amerika gefochten und gewonnen haben.

Arundhati Roy, Aus: The Guardian, 29.9.2001.

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