Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.21 vom 11.10.2001, Seite 8

Pakistan

Auftrieb für die Militärs?

Die Ereignisse vom 11.September hatten eine verheerende Auswirkung auf die verschiedenen politischen Richtungen in Pakistan. Das politische Leben wurde in nie dagewesenem Ausmaß polarisiert. Die Pakistan Peoples Party (PPP), die Partei des Bhutto-Clan, unterstützt nun offen das Militärregime darin, den Amerikanern zu helfen. Das gilt auch für die Mutihida-Qaumi-Bewegung (MQM), die Partei der Immigranten mit einer Massenbasis in den Städten der Provinz Sind im Südosten Pakistans, an der Grenze zu Indien. In der Provinz im Nordwesten hat auch die National Awami Party (ANP), die größte Partei der Pashtu, die Seite gewechselt und unterstützt nun offen das Militärregime.
Vor dem 11.September standen PPP und ANP offen gegen das Militärregime; sie sind Teil der Allianz zur Wiederherstellung der Demokratie (ARD). Danach tat die PPP ihr Bestes, dem Militärregime zu Gefallen zu sein, sie sogar am sog. Solidaritätstag, dem 27.September, an den Demonstrationen teil, zu denen General Musharaf aufgerufen hatte.
Einige der kleineren Bündnisse von radikalen und stalinistischen Parteien unterstützen ebenfalls offen den Standpunkt des Militärregimes. "Man muss die USA unterstützen, um den Terrorismus auszurotten", lautet der Schlachtruf dieser ehemals linken Parteien, mit dem sie ihre Unterstützung für das Regimes rechtfertigen. Zu diesen "linken" Parteien gehören die National Workers Party und die Communist Mazdoor Kissan Party. Sie haben nun ihre Anti-US-Parolen aufgegeben.
Die Moslemliga hinter dem ehemaligen Premierminister Nawaz Sharif segelt im Schlepptau der religiösen Fundamentalisten und unterstützt halbherzig die Taliban; sie kritisiert das Militärregime wegen seiner Unterstützung für Bush.
Die fundamentalistischen Kräfte propagieren die vollständige Unterstützung für Osama Bin Laden und den totalen Krieg. Über 50000 demonstrierten in Quetta am 2.Oktober für die Taliban, angeführt von Jamiat Ulama Islam, einer religiösen Partei, die die Taliban von Anfang an unterstützt hat. Sie war zwischen 1994 und 1996 eine Verbündete der PPP von Benazir Bhutto, als diese an der Macht war. In dieser Zeit übernahmen die Taliban in Afghanistan die Macht.
Bhutto, die nun auf der Seite des Regimes steht, behauptet jetzt, sie 1996 "dabei gewesen, gegen die Taliban vorzugehen", als sie gestürzt wurde. Tatsächlich wurde der Weg nach Kabul den Taliban unter ihrer Regierung geebnet. Deren erster Akt war damals, den Leichnam von Dr.Najibullah tagelang im Zentrum von Kabul aufzuhängen, nachdem er aus dem Büro der Vereinten Nationen entführt und von den Taliban getötet worden war. Die UNO, die USA oder Benazir Bhutto hatten zu diesem barbarischen Akt damals nichts zu sagen. Najibullah war zwischen 1988 und 1992 der Chef der afghanischen Regierung. Als er 1992 von den Mudschaheddin gestürzt wurde, flüchtete er für vier Jahre ins UNO-Hauptquartier in Kabul, bis er von den Taliban ermordet wurde.
Welch eine Heuchelei des Militärregimes, das zum ersten Mal am 1.Oktober den terroristischen Anschlag auf die von Indien abgehaltene Kashmir-Versammlung, bei dem durch ein Selbstmordattentat 32 Menschen getötet wurden, verbal verurteilte! Die Jaish Mohammed, die fanatische religiöse Gruppe, die die Verantwortung dafür übernahm, hat eine Basis in Pakistan. Die Regierung musste das jetzt tun. Sie konnte nicht sagen, der Anschlag von New York sei ein terroristischer Angriff gewesen, der Anschlag in Srinagar hingegen Teil des nationalen Kampfes, wie sie es bisher getan hat.
Der Führer der Jaish-Mohammed, Masood Azhar, wurde erst vor zwei Jahren aus einem indischen Gefängnis entlassen. Dies geschah auf Druck der Entführer eines indischen Flugzeugs. Nach seiner Einreise nach Pakistan wurde ihm erlaubt, die Jaish-Mohammed-Gruppe zu bilden, Geld zu sammeln und Terroristen in Pakistan auszubilden. In den meisten kleinen Läden in Pakistan stehen Geldbüchsen, die für die Mudschaheddin in Kashmir sammeln.
Die haben mit dem nationalen Kampf Kashmirs nichts zu tun, sie wollen aus Kashmir ein zweites Afghanistan machen, das von den neuen Taliban kontrolliert wird. Bis zum 11.September haben sie die vollständige Unterstützung des pakistanischen Staates genossen, sowohl der zivilen Regierungen von Nawaz Sharif und Benazir Bhutto wie auch später des Militärregimes. Jetzt hat das Militärregime eine Kehrtwende hin zur Unterstützung des noch größeren Terrors des US-Imperialismus gemacht.
Die Anschläge vom 11.September haben auch die Organisationen der Zivilgesellschaft polarisiert. Einige sagen "Nein zum Krieg", aber Ja zu einer "maßvollen Antwort". Viele andere sagen "Nein zum Krieg — Nein zum Terrorismus" und erklären offen ihre Solidarität mit der internationalen Friedensbewegung.
Dieser Position steht die Labour Party Pakistan (LPP) sehr nahe. Die LPP hat von Anfang an die terroristischen Anschläge und die in der Vergangenheit vom US-Imperialismus gegen die Kolonialländer praktizierte Politik verurteilt. Die Anschläge sind aus keinem Grund rechtfertigen.
Die LPP setzt aber auch kein Vertrauen in die UNO, die Frage dadurch zu lösen, dass der Krieg gegen Afghanistan legalisiert wird. Sie unterstützt nicht die Schaffung eines Internationalen Gerichtshofs, weil dies nur eine weitere Institution zur Vertuschung der Verbrechen der US-Regierung wäre. Sie tritt auch konsequent gegen die Methoden und das Programm des US-Imperialismus auf. Sie war an der Organisierung der Bewegung gegen IWF und Weltbank in Pakistan beteiligt. Sie hat auch — mit anderen — begonnen, eine Friedensbewegung aufzubauen, weil sie mit einem anhaltenden Krieg gegen Afghanistan rechnet. Die LPP ist gegen den religiösen Fundamentalismus und die Mächte, die ihn schützen, vor allem gegen das Militärregime in Pakistan und vor allem gegen seinen Geheimdienst.
Die Haltung der offiziellen Arbeiterbewegung neigt mehr und mehr zur Unterstützung des Militärregimes. Der Hauptvorstand der Pakistan Workers Confederation (PWC) hat das Militärregime offen unterstützt und einen Appell an die USA gerichtet, Afghanistan nicht anzugreifen.
Der Einfluss der religiösen Fundamentalisten ist je nach Landesteil verschieden. Nach anfänglichem Aufschwung verlieren sie in den Städten, vor allem in Lahore und Karachi, an Boden. Aber in den Städten nahe der afghanischen Grenze wie Peshawar und Quetta sind sie stark. Und im ganzen Land machen sie Fortschritte in den Dörfern und Kleinstädten.
Die am meisten diskutierte Frage ist derzeit, welche anderen Optionen das Militärregime gehabt hätte und welche Auswirkungen die US-Hilfe haben wird. Über verschiedene Institutionen wie IWF und Weltbank wird die gesamte Last der Krise der Weltwirtschaft auf die niedergehenden Ökonomien der Dritten Welt abgewälzt. Gegen diese Ungerechtigkeit hat sich in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern eine starke antikapitalistische Bewegung entwickelt.
Nun haben die USA die Sanktionen gegen Pakistan aufgehoben und freundschaftliche Beziehungen zum Militärregime angekündigt. Allgemein entsteht der Eindruck, die mögliche US-Hilfe werde der kranken pakistanischen Wirtschaft auf die Beine helfen. Aber das widerspricht der tatsächlichen Lage.
Die pakistanischen Exporte sind nach dem 11.September stark rückläufig. Viele Aufträge wurden gestrichen oder verschoben. Das Hauptproblem der pakistanischen Wirtschaft ist ihre niedrige Produktivität. Sie wird noch weiter sinken. Die Bedingungen von IWF und Weltbank haben das Leben der Arbeiter und Bauern gegenüber dem Zeitraum vor der Machtergreifung der Militärs im Oktober 1999 weiter verschlechtert.
Unter diesen Umständen erscheint eine Wiederbelebung der pakistanischen Wirtschaft nicht möglich, selbst wenn der US-Imperialismus massive Hilfe leistet. Das wird das Leben der Reichen und der herrschenden Klasse verbessern, aber nicht das Leben der Werktätigen. Eine mögliche US- Hilfe kann die Frist für das Militärregimes verlängern. Vor dem 11.September hatte es viel von seiner sozialen Basis verloren. Die Anschläge und die Kehrtwende zum US-Imperialismus haben ihm neue politische Freunde eingebracht. Für den Augenblick hat das Regime seine Position gestärkt. Aber wenn erst einmal der Krieg beginnt, kann sich die Stimmung im Militär, das derzeit Musharaf vollständig zu unterstützen scheint, schnell ändern. Es gibt in den Führungsrängen der Armee religiös-fundamentalistische Elemente. Der Druck der Ereignisse hat sie gezwungen, ruhig zu bleiben, aber sie sind nicht aus der Armee ausgeschlossen worden. Mit dem Beginn des Krieges können die antiamerikanischen Gefühle den religiösen Fundamentalisten eine noch größere soziale Basis zuführen.
Am 14.August hatte das Militärregime einen "Fahrplan" zur Wiederherstellung der Demokratie angekündigt. Im Oktober 2002 sollten Wahlen stattfinden. Das Militärregime hatte die Absicht, eine zivile, vom Militär abhängige Regierung zu installieren. Nach dem 11.September ist davon keine Rede mehr.
Es scheint sehr wahrscheinlich, dass die Taliban die Macht bald verlieren werden. Das wird dem Militärregime moralischen Auftrieb verleihen und kann ihm helfen, länger als die erwarteten drei Jahre an der Macht zu bleiben. Aber die Kehrtwende zugunsten der USA hat auch viele negative Aspekte. Sie hat den fanatischen Kräften neues Leben eingehaucht. Sie gefährdet das Leben der fortschrittlichen und linken Kräfte in Pakistan.
Die Arbeiterbewegung muss gegen die US-Intervention in der Region auftreten. Aber sie kann auch nicht die Augen vor dem wachsenden Einfluss der religiösen Fundamentalisten verschließen. Von einer Parteinahme für eine der beiden Seiten können die Werktätigen nichts gewinnen. Sie können dabei nur ihre Unabhängigkeit verlieren.

Farooq Tariq

Der Autor ist Generalsekretär der Labour Party Pakistan.

( www.labourpakistan.org)

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