Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.21 vom 11.10.2001, Seite 13

Tobin-Steuer und kapitalistische Krise

Die aktuellen Krisenerscheinungen an den Börsen seit Sommer 2001 und verstärkt nach den Terroranschlägen vom 11.September haben das Thema Spekulation ins Zentrum gerückt. Seit kurzer Zeit fordern nicht nur Gruppen wie ATTAC eine "Tobin-Tax" als Spekulationssteuer; Gewerkschaften, Umweltverbände, so der BUND, und Nichtregierungsorganisationen, so WEED, haben sich diese Forderung in einer Erklärung, die zufällig das Datum 11.September 2001 trägt, zu eigen gemacht. Sie sehen in ihr ein maßgebliches Mittel, um die negativen Auswirkungen der "Globalisierung" zu bekämpfen.
Sogar die EU erwägt, das Thema Tobin-Tax auf die Tagesordnung zu setzen. Das ist ohne Zweifel Ergebnis der großen Mobilisierungen wie derjenigen im Juli in Genua. Allerdings sollte bereits der Zeitpunkt zu denken geben, zu dem die Tobin-Tax offiziell Thema wird. James Tobin hat seine Theorie vor mehr als 30 Jahren entwickelt.
In all den Jahren, in denen die rein finanziellen Spekulationen sich wie Sumpfblüten ausweiteten, war die Tobin-Tax offiziell kein Thema. Jetzt, wo die Spekulation sich von den zusammenbrechenden Finanzmärkten zurückzieht, wird diese Steuer zu einem offiziellen Thema. James Tobin war und ist Gegner einer Globalisierungskritik und "überzeugter Anhänger eines Freihandels". Wörtlich äußerte er in der Financial Times: "Mit diesen Bewegungen der Globalisierungskritik habe ich nichts zu tun. Ich bin überzeugter Anhänger des Freihandels. Ich halte Weltbank und IWF für wichtige Institutionen."
James Tobin vertritt im Übrigen Vergleichbares seit Jahrzehnten. Doch wer die Weltbank und den IWF für "wichtige Institutionen hält" und den "Freihandel" pauschal verteidigt, der verteidigt dasjenige Wirtschaftsmodell, das für all die Zerstörungen insbesondere in der Dritten Welt verantwortlich ist.
Tatsächlich kann eine "Tobin-Tax" oder jedwede Steuer auf internationale Finanzspekulationen nur ein Mosaikstein für eine Alternative darstellen. Die "Tobin-Tax" ist nur vorstellbar in einem internationalen Rahmen. Sie ist damit politisch schwierig durchzusetzen. Gleichzeitig werden jedoch Jahr für Jahr in allen Staaten Beschlüsse gefasst, mit denen die Unternehmensteuern, die Steuern auf Vermögen und Gewerbe und die Besteuerung von Unternehmensfusionen gesenkt werden.
Nun speist sich die rein finanzielle Spekulation in erheblichem Umfang daraus, dass die Unternehmensgewinne nach Steuern explodierten und die großen frei verfügbaren Vermögen und Einkommen ständig überproportional wuchsen. Gleichzeitig wurde die Massennachfrage reduziert, wodurch Investitionen in den produktiven Bereichen wenig lukrativ sind. Diese Steuersenkungen auf Kapital und Vermögen werden jedoch von vielen Globalisierungskritikern kaum thematisiert. Dabei handelt es sich hier um Steuern, die auf nationaler Ebene erhoben werden, d.h., es wäre technisch und politisch weit einfacher, diese wesentlichen Quellen der Finanzspekulation zu bekämpfen.
Vor diesem Hintergrund macht die Frage "Was ist Spekulation?" Sinn. "Spectare" heißt im Lateinischen "abzielen auf"; "specula" heißt "Anhöhe" und "esse in speculis" = "sich auf einer Anhöhe befinden; lauern auf". Übersetzt auf kapitalistische Verhältnisse meint Spekulation schlicht: Abzielen auf maximalen Profit. Im Grunde sind alle wirtschaftlichen Aktivitäten der großen Konzerne und Banken spekulativ — nicht allein diejenigen im Finanzsektor.
Wenn ein Konzern mit enormen Profiten ein neues Autowerk errichten will und zuvor die interessierten Kommunen in mehreren Ländern anstachelt, sich bei der Subventionierung zu überbieten, "spekuliert" dieser in kaum übersehbarer Form. Die "Tobin-Tax" bleibt da außen vor. Es lässt sich allerdings trefflich darüber streiten, was schädlicher ist: Finanzoperationen der großen Banken an den Devisenmärkten oder eine Gesellschaft, die immer mehr von Auto und Öl abhängig ist.
Tatsächlich ist es das Prinzip der Profitmaximierung insgesamt, das allein die Weltwirtschaft antreibt und abstürzen lässt. Diese Erkenntnis muss entwickelt und verbreitet werden.
In der konkreten Situation vor und nach dem 11.September sind es bereits einige erste "Dellen" bei den Profiterwartungen, die die Kurse abstürzen lassen — und das ist nichts anderes als ein Resultat des "Spekulierens" auf maximalen Profit und des "Shareholder- value"-Prinzips, was dasselbe zum Ausdruck bringt. Es ist eine "Überproduktion" in einigen Bereichen, so im IT-Sektor, was die Krise beschleunigt — auch dies Resultat der Profitmaximierung, weil sich weltweit das Kapital auf diesen Boomsektor stürzte, in dem man zeitweilig am meisten Kohle machen konnte.
Es besteht heute eine "Unterkonsumtion", die die Krisentendenzen verschärft: die Massenkaufkraft ist relativ zur Produktion zurückgeblieben. Auch dies ist Resultat der Profitmaximierung, weil sie einhergeht mit einem ständig wachsenden Druck, die "Kosten", u.a. Löhne, Gehälter, soziale "Nebenkosten", zu senken. Es sind die umfassenden Privatisierungen, die die Finanzblase vergrößerten und zu deren Platzen beitrugen.
Auch dies ist Ergebnis des Wirkens der Maxime "Profitmaximierung", weil die Regierungen unter dem Druck des Kapitals bisher staatlich organisierte Bereiche zu Anlagemöglichkeiten des privaten Kapitals und zur Unterwerfung unter das Prinzip der Profitmaximierung machten. Usw.usf.
Mit der neuen weltweiten Rezession, an deren Beginn wir stehen, rückt die soziale Frage mehr denn je ins Zentrum. Diejenigen, die den Kapitalismus im Allgemeinen, und diejenigen, die die kapitalistische "Globalisierung" im Besonderen bekämpfen, müssen selbst diese soziale Frage aufgreifen und dazu beitragen, dass der Widerstand der Betroffenen unterstützt bzw. entwickelt wird.
Eine der wichtigsten Folgerungen aus dieser Analyse der kapitalistischen Verhältnisse lautet: die "Standortlogik" ist abzulehnen. Wer glaubt, mit Nachgeben und sozialen Konzessionen ließe sich "der Standort X" verteidigen, der handelt zunächst nach dem St.-Florians-Prinzip, d.h., er will eigenen Schaden (im "eigenen" Betrieb, am "eigenen" Ort, im "eigenen" Land) abwehren und zulassen, dass es andere trifft. Das ist bereits moralisch verwerflich.
Doch das ist nicht alles. Es lässt sich nachweisen, dass die "Standortlogik" nur den Kapitaleignern nutzt. Letzten Endes wird mit der Standortlogik eine Spirale sozialer Demontage in Gang gesetzt. Diese Spirale kennt keine Grenzen: Hohe Profite durch Befolgen der Standortlogik machen erst richtig Appetit auf ein noch schamloseres Ausnutzen der Konzessionsbereitschaft.
Auch die Kriegsdynamik, die wir seit den Terroranschlägen erleben und die in erster Linie durch den Aufmarsch der US- Armee und die Beistandserklärungen aller NATO-Staaten betrieben wird, hat Ursachen, die im Kapitalismus selbst liegen.
Kapital und Krieg, Waren- und Kapitalexpansion und Expansion durch militärische Aktion bilden eine Einheit.
Diese Politik wird erheblich durch die Herausbildung großer militärisch-industrieller Komplexe beeinflusst, wie sie in den USA existieren, wie sie aber auch im Rahmen der EU mit der EADS (u.a. mit der Daimler-Tochter Dasa) gebildet wurden.
Wenn USA und NATO nach dem Zusammenbruch des World Trade Center nun den "Verteidigungsfall" ausriefen, dann folgt dies ebenfalls einer inneren kapitalistischen Logik: Da die zivile Luftfahrt einbricht, erstarken die Forderungen nach massiven Ausdehnungen der Bestellungen von militärischem Fluggerät. Gleichzeitig wird mit der allgemeinen Militarisierung versucht, die tiefe gesellschaftliche und wirtschaftliche Krise zu "überspielen" und von den Ursachen, die zu solchen Terrorakten auch beitragen, abzulenken.
Die anvisierten "Gegenschläge" sind zugleich geeignet, eine Spirale von Aufrüstung und Kriegsausweitung einzuleiten, wie sie die Welt bspw. nach dem Terroranschlag gegen den österreichischen Kronprinz im August 1914 in Sarajevo erlebte — wo zunächst auch nur von "Gegenschlägen" gegen Serbien, das die "Terroristen beherbergte", die Rede war.
Auch dies — der Widerstand gegen den Krieg und eine Politik zur Entlarvung des Geredes über "Terrorbekämpfung" als verlogene Begründung neuer kapitalistischer Kriege — muss Thema der Globalisierungskritik sein.

Winfried Wolf

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