Sozialistische Zeitung |
Der Vorwurf des Antiamerikanismus gegen die Friedensbewegung wird in Deutschland nicht nur von konservativen politischen Kräften erhoben. Auch
einigen Publikationen, die sich dem antinationalen und antideutschen Spektrum zuordnen, sind kritische Haltungen zur Politik der USA vor allem dann verdächtig, wenn sie mit den
Anschlägen vom 11.September in Verbindung gebracht werden.
Als wären die Flugzeuge buchstäblich vom Himmel gefallen, scheint ihnen jeder Versuch der Rationalisierung oder
Erklärung suspekt. Pauschal unterstellt z.B. Anton Landgraf, Redakteur der Wochenzeitung Jungle World, der neu entstehenden Friedensbewegung eine "klammheimliche
Freude". Gerhard Scheit, ein Autor dieser Zeitung, schwingt sogar die Antisemitismuskeule gegen Friedensaktivisten. Würden Schröder, Blair und Bush dieses Blatt lesen
ein Schulterklopfen wäre den Schreiberlingen sicher.
So angemessen ihre Kritik bei der neofaschistischen NPD erscheint, deren Mitglieder unverhohlen den Anschlag bejubeln, so
falsch sind die pauschalen Unterstellungen gegenüber der Friedensbewegung. Niemand hat dort den Terroranschlag, geschweige denn die 6000 Toten begrüßt. Niemand stellt
sich an die Seite Osama Bin Ladens noch an die der US-Regierung. Viele Friedensbewegte versuchen jedoch, die Ursachen für die Anschläge zu ergründen. Hingegen
schleudern die Autoren der bunten Wochenzeitung ihren zahlreichen jungen Leserinnen und Lesern Behauptungen über den verkommenen und moralisch verwerflichen Charakter der
Friedensbewegung entgegen, die sie bisweilen notdürftig mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten zu belegen versuchen. Eine politische Bankrotterklärung sind auch die
ausgesprochenen Denkverbote, die nahezu alle Argumentationsketten der antinationalen Autoren durchziehen.
Nicht zufällig haben die mit Menschen beladenen Flugzeuge Ziele mit hohem Symbolgehalt in den USA getroffen. Der
Anschlag vom 11.September ist dennoch nicht mehr als eine reaktionäre Antwort auf eine weltweite Krise, die von der Regierung der USA mit herbeigeführt worden ist. Und genau
bei dieser Analyse kann nur das Fünkchen Wahrheit einer Fragestellung hervorscheinen, die den Vorwürfen der Jungle-World-Autoren implizit ist: PDS, die französische KP
und einige Nichtregierungsorganisationen setzen auf ein humanitäres bzw. militärisches Korrektiv, dass ausgerechnet die EU bei einer Stärkung des UN-Sicherheitsrats
gegenüber dem US-Imperialismus darstellen soll. Einige sind sogar derart in ihrem alten Blockdenken verhaftet, dass sie der militärischen Potenz Russlands diese Funktion
zutrauen. Damit unterschätzen sie eklatant die kriegstreibende Rolle der EU und Russlands. Denn derzeit findet genau das Gegenteil statt: für die Teilnahme Russlands an der
Einheitsfront drücken die Regierungschefs der EU beide Augen beim russischen Tschetschenien-Feldzug zu. Dieser Krieg, so die Einschätzung von Experten, wird einen nicht
unerheblichen Teil der tschetschenischen Bevölkerung an die Seite Osama Bin Ladens bomben.
Die Fragestellung der Autoren greift also tatsächlich den Schwachpunkt eines Teils der Friedensbewegung auf. Die
gegebenen Antworten sind aber gleichermaßen plump, falsch und undifferenziert. Anstatt über den angeblichen "Antisemitismus" der Friedensbewegung zu
schwadronieren und Begriffe aus der Mottenkiste des bundesdeutschen Repressionsapparats gegen die Rote Armee Fraktion zu bemühen (mit dem Vorwurf der "klammheimlichen
Freunde wurden in den 70er Jahren vermeintliche Sympathisanten kriminalisiert), sollten sich die Autoren der Wochenzeitung die Frage stellen, ob sie nun vollends dem dichotomen Denken
unterliegen und damit ihren Wechsel auf die Seite der US-amerikanischen Militäroffensive einleiten.
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