Sozialistische Zeitung |
Der Attac-Kongress in Berlin am vergangenen Wochenende war überfüllt. Die Eröffnungsveranstaltung sowie die Abschlussveranstaltung
mussten in einen zusätzlichen Hörsaal übertragen werden, da das Audimax der TU nicht ausreichte für die Tausenden von Menschen.
Keine Veranstaltung konnte zu diesem Zeitpunkt günstiger kommen: Der begonnene Krieg in Afghanistan
benötigte dringend eine großes Forum des Protests aber auch der Selbstverständigung. Die Veranstalter bewiesen eine gute Hand bei der Auswahl der
Eröffnungsredner: mit Horst-Eberhard Richter, dessen jahrzehntelanges Engagement in der demokratischen, friedensorientierten und krapitalismuskritischen Bewegung in einer guten Rede
zum Ausdruck kam, mit João Batista de Oliveira von der Landlosenbewegung (MST) in Brasilien, der das internationalistische Engagement und die realen Kämpfe von Attac
repräsentierte, und mit Jean Ziegler, der zwar nicht in seiner Funktion als "UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung" auftrat, aber als
"Privatmann" um so mehr die Zuhörer in den Bann zog und zu großem Beifall brachte.
Den Anfang machte die Brecht-Schauspielerin Käthe Reichel mit einen bewegenden Auftritt. Die Rednerbühne und das Pult zum Theater zu machen, reichten ihr Stimme und
sparsame Bewegungen. Schwarzes Käppi und Umhang genügten als "Requisit", um der Johanna der Schlachthöfe von Brecht eine Aktualität und
Nähe zu verleihen, die den zweitausend Anwesenden mehr über Globalisierungsfolgen klarmachte, als viele Worte es können. Wie sie die "Waage" spielte, auf
denen die einen immer unten, und die anderen immer oben sitzen und die oben davon abhängig sind, dass die anderen die Mehrheit sind und unten bleiben das war
politisches Theater alter Klasse.
Käthe Reichel war eine der Rednerinnen bei der großen Demonstration im November 1989 in Ostberlin gewesen,
als es noch um die Änderung des Systems der DDR ging, nicht um den Anschluss, und sie hat seitdem darauf bestanden, den politischen Brecht zu interpretieren. Sie stimmte den Kongress
ein auf die zugrundeliegenden Probleme von Armut, Hunger, Protest und Widerstand Auszüge aus einem in der Bundesrepublik mit Grund "nicht gespielten
Stück", wie sie ironisch anmerkte.
Was eher nicht für das Attac-Netzwerk gelten sollte, ist allerdings die Parabel vom Netz aus Brechts Stück, das ein
organisierender Arbeiter Johanna vorhält: Wenn nur ein Knoten ausfällt, wird das ganze Netz unbrauchbar, weil alle Fische durch das Loch entkommen können. Netzwerk
Attac auch dann, wenn mal ein Teil ausfällt, ist da eher die Perspektive!
Die Eröffnungsreden durchzog ein roter Faden: Auch nach den Attentaten vom 11.September gibt es keinen Grund für die globalisierungskritische Bewegung, in die Defensive zu
gehen. Im Gegenteil: gerade auch die Reaktionen der offiziellen Politik und der begonnene Krieg zeigen, wie wichtig die offensive Verteidigung von Menschenrechten, Frieden und
internationaler Gerechtigkeit ist. "Man will uns dazu bringen, Menschenleben unterschiedlich zu gewichten, aber das machen wir nicht mit", stellte Horst-Eberhard Richter angesichts
der drohenden Hungerkatastrophe als Folge des Krieges in Afghanistan fest.
Seine sorgfältig und klar formulierte Rede wurde noch übertroffen durch die engagierten Worte von Jean Ziegler.
Voller Zahlen und Fakten aus den Berichten der UNO-Abteilungen zeigte er auf, wie sich in den letzten 40 Jahren sowohl das Elend als auch die Ungleichverteilung auf der Welt noch
verschärft haben. Immer mehr Armut schafft immer mehr Reichtum, und die Vermögen der reichsten Menschen in den USA sind größer als das Volksvermögen
der Länder Afrikas.
Er zeigte auch die Mechanismen auf, mit denen "vernünftige" Leute wie Bankpräsidenten oder
Regierungsmitglieder dazu beitragen, dass diese Zustände fortgesetzt werden. Er zeigte den Mechanismus der GATT- und GATS-Abkommen, der WTO-Verträge für den
freien Waren- und Dienstleistungsverkehr auf und seine Folgen für die armen Länder.
"Für sie hat der Dritte Weltkrieg bereits begonnen: In einem Jahr sterben an den Folgen von Unterernährung
und mangelnder Gesundheitsversorgung mehr Menschen als im gesamten Zweiten Weltkrieg!", prangerte er die unhaltbaren Zustände an. "Hinter jedem sterbenden Kind steht
ein Mörder!", wies er auf die Verantwortung hin, die die Reichen und ihre Repräsentanten haben.
"Wer den Terror verfolgen will, sollte den Terror der modernen Ökonomie in den unterentwickelten Ländern
nicht vergessen", war einer seiner viel beklatschten Sätze. Und er endete unter dem begeisterten Beifall der Anwesenden mit einem Zitat von Pablo Neruda: "Sie
können wohl alle Blumen abschneiden, aber sie können den Frühling nicht verhindern!"
Attac hatte völlig richtig darauf gesetzt, dass viele Menschen sich aus völlig unterschiedlichen Richtungen mit einem gemeinsamen Ziel bewegen wollen, nämlich Widerstand
gegen die Globalisierung zu leisten. Deshalb wurde die Möglichkeit zu einer großen Zahl von Arbeitsgruppen und Diskussionsforen eingerichtet, über deren Ergebnisse
hoffentlich auch bald ein Bericht von Attac selber erscheinen kann.
Einige der wichtigen Arbeitsgruppen betrafen die Zukunft von Attac selber, dessen Netzwerk innerhalb sehr kurzer Zeit schnell
gewachsen war und einen großen Zustrom von örtlichen Gruppen und einzelnen Menschen verkraften muss.
Attac will sich vor allem auch mit den Angriffen auf die sozialen Sicherungssysteme und in naher Zukunft vor allem mit dem
Gesundheitssystem befassen. Ärzte und andere Fachleute griffen in die Debatten ein und es wird zu einer Zusammenarbeit mit anderen Initiativen kommen.
Insbesondere die Bereitschaft der ehemaligen "Erfurter Erklärung", jetzt "Initiative für eine
andere Politik", mit Attac zusammen zu arbeiten, wie Horst Schmitthenner in einer Rede am Abschlusstag erklärte, könnte auch auf diesem Gebiet fruchtbar sein, um den
Widerstand gegen die drohende "Gesundheitsreform" rechtzeitig zu formieren.
Bei einigen Debatten ging es auch um die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften. Die neue Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ist Attac beigetreten, wie schon die
Vorgängerorganisationen HBV und IG Medien. Sie unterstützt vor allem auch die steuer- und finanzpolitischen Vorstellungen bei Attac, etwa in der Frage der "Re-
Regulierung" des internationalen spekulativen Kapitalverkehrs oder der Bekämpfung der Steuerungerechtigkeit. Hier finden sie sich einig mit Oskar Lafontaine, der mit auf dem
Abschlusspodium saß. Auch in der Frage der Verankerung von sozialen Rechten und Mindestforderungen weltweit ist es ja kein Nachteil, an einem Strick zu ziehen.
Aber auch Attac wird bei aller Offenheit und Breite dann ein Problem haben, wenn wohl einige Gremien und wichtige Vertreter
der Gewerkschaften beitreten, aber vor Ort die Mitglieder nicht viel davon spüren. So gibt es natürlich die Debatte, was die Gewerkschafter oder Betriebsräte vor Ort machen,
wie sie sich bei Konflikten um Privatisierung und Globalisierungsfolgen in den Betrieben und Institutionen verhalten.
Die Erfahrungen etwa aus Hamburg und Berlin bei der Privatisierung von Krankenhäusern zeigen genügend
Konfliktpotenzial. Attac als Netzwerk von Bewegungen von unten sollte sich da gerade an Kämpfen orientieren, die oft nicht die Billigung von oben erhalten. Hoffentlich wirken die
offene Debattenbereitschaft und der Elan des Berliner Kongresses zurück in die Basis und die betroffenen Gremien, damit nicht nur über die Ungerechtigkeit der Welt nachgedacht,
sondern sie auch vor Ort im eigenen Land direkt angegangen wird.
Lohndrückerei, Outsourcing, Tarifflucht, Niedriglohnbereiche, Privatisierung das sind ja keine Begriffe aus fernen
Ländern, sondern die andere Seite der Globalisierung im eigenen Land und in den Betrieben, deren Auswirkungen die Frauen und Männer hier zu spüren bekommen. Die
Senkung der Lohnquote und der Abbau der sozial Sicherungssysteme haben schließlich auch etwas mit vergangener Tarifpolitik und mit Bündnissen für Arbeit zu tun.
Bei der abschließenden Diskussion beharrte vor allem Wolf-Dieter Narr vom Komitee für Grundrechte und Demokratie darauf, wie wichtig es sei, nicht nur politische Konzepte
für die Parlamente und nationalen oder internationalen Organisationen in der EU oder UNO zu entwerfen, sondern vor allem Bewegung von unten zu bleiben und zu fördern.
Die Erinnerung an den Aufbruch bei und nach den Ereignissen von Genua sollte für alle Beteiligten von Attac und alle im
Netzwerk einbezogenen Organisationen Aufmunterung und Ansporn sein, auf diesem Wege weiter zu machen.
Alles in allem ein großartiger Kongress, dessen viele Aspekte natürlich nicht auf einer Seite und von einem
Besucher abgehandelt werden können. Für dessen Vorbereitung und Organisation gebührt den Attac-Menschen Lob, auch wenn die politischen Ereignisse sicher einen
wichtigen Teil dazu beigetragen haben, dass in solidarischer und guter Atmosphäre geredet und diskutiert wurde.
Rolf Euler
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