Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 25.10.2001, Seite 6

Callcenter-Affäre

‘Ich bin nicht schuld, ich war nur der Chef‘

Über eine Anzeige in der Zitty hatte die aus England stammende Angela D.* Anfang Mai ihren Arbeitsplatz im Berliner Callcenter von Modalis Research Technologies an der Jannowitzbrücke gefunden. "Die Arbeit dort war relativ angenehm, aber nicht so toll, dass ich kein Geld dafür erwartet habe."
Die 22-jährige Slawistikstudentin hat nämlich bis heute keinen Pfennig für ihre Tätigkeit als Telefoninterviewerin im Auftrag von Firmen wie Dell oder Osram bekommen. "Sie schulden mir 2300 DM und ich kann nicht darauf verzichten." Sie musste sich gar einen "Überbrückungsdarlehen" vom Studentenwerk besorgen, um sich an der FU überhaupt zurückmelden zu können.
Ähnlich erging es Tomas G.* aus Spanien. Er hat sein Politik- und Geschichtsstudium an der Humboldt-Uni abbrechen müssen, weil er noch auf 1600 DM für Arbeiten im Auftrag von Siemens Medizintechnik und MAN wartet. Er konnte sich seine Semestergebühr nicht mehr leisten und wurde exmatrikuliert.
Bei Modalis haben hauptsächlich Ausländer als sog. "Agents" gearbeitet, die von Berlin aus in alle Welt telefonieren, um Marktforschung und Kundenbefragungen für renommierte Unternehmen zu betreiben. Wie in der Branche üblich, gab es keine festen Arbeitsverträge und die Mitarbeiter wurden nicht pro Stunde, sondern nach Leistung bezahlt.
Anfang August haben rund 100 Agenten ihre Kündigung per E-Mail erhalten. Niek Coenen, der damalige Leiter des Callcenters, informierte seine Mitarbeiter, dass es "leider ab dem 31.August kein Modalis in Berlin geben wird", und dass Modalis alle offen stehenden Rechnungen vor dem 15.August begleichen werde. Außerdem vergaß er nicht zu erwähnen, dass die betreffenden Interviewer keine rechtlichen Schritte unternehmen sollten, "denn dies könnte die ganze Bezahlung um Monate verzögern".
Zuletzt lobte Coenen "die geleistete Arbeit und Geduld beim Warten auf die entsprechende Belohnung". Allerdings haben diejenigen, die keinen Emailzugang haben, nichts davon mitbekommen, berichtet Angela D.* Schriftliche Erklärungen seitens Modalis gab es nicht.
Zwei Monate später warten die Interviewer noch immer. "Er [Coenen] hat uns sogar per E-Mail gefragt, ob wir ihre Tische und Stühle abkaufen möchten!", so Daniel W.*, der als Gewerkschaftsmitglied "aus Prinzip" Rechtsschutz genießt. Deswegen weiß er aber , dass seine Chancen, auf rechtlichem Wege sein Geld zu bekommen, äußerst gering sind. Die Firma schloss ihre Türen am 31.August, die Telefonleitungen waren sofort tot, Post wurde zurückgeschickt.
Modalis Research war in Deutschland nie eingetragen und San Francisco, Sitz der Firma, ist weit weg. Rechtsanwälte in den Staaten sind teuer und "für die Gewerkschaft ver.di wäre es bestimmt billiger, mir mein Geld zu geben, statt einen Rechtsanwalt in der USA damit zu beauftragen", so Daniel W. Vor das Arbeitsgericht zu gehen wäre ohnehin sinnlos, weil in seinem Fall kein formales Arbeitsverhältnis bestand. Wäre das der Fall gewesen, könnten die Ex-Beschäftigten ihre Löhne notfalls vom Arbeitsamt erhalten. "Als ich da gearbeitet habe", erzählt er jedoch, "konnte ich kaum jemand für die Gewerkschaft interessieren. Viele meinten, ‚alles wäre doch okay‘, weil wir mit den Chefs auf Du waren und manche Interviewer mit ihnen sogar Fußball gespielt und gesoffen haben. Wir waren alle ‚Partner‘, alle ‚im Team‘ — es gab keine Hierarchien. Das haben sie uns zumindest erzählt." Mehrere sind jetzt ver.di beigetreten.
Karlheinz Gerhold vom Fachbereich "Besondere Dienstleistungen" bei ver.di berichtet von der weltweiten Erfahrung, dass im Namen der Anforderungen der internationalen Finanzmärkte und der sog. "New Economy" eine Offensive gegen die kollektiven und sozialen Rechte stattfindet. Die Begründungen dafür sind überall gleich — ob in San Francisco oder in Berlin: Die "Kosten der Arbeit" seien zu hoch und gehörten gesenkt, um "konkurrenzfähig" zu sein.
Nach dem "Du-Prinzip" erzählen die Ex-Geschäftsführer gern, dass Bosse und Interviewer alle in einem Boot sitzen. Aber manche saßen bereits im Rettungsboot, als das sinkende Schiff unterging — die Ex-Chefs haben oft genug Geld, um neue Unternehmen zu gründen.
Klaus König beschäftigt einen großen Teil der ehemals festen Modalis-Mitarbeiter in seiner neuen Firma ConSatis International Research in schicken Räumen in der Choriner Straße in Berlin-Mitte. Seine Interviewer arbeiten zurzeit in den Räumen von Emnid an der Kürfurstenstraße, und werden von Emnid bezahlt. Anfang September veranstaltete die Call-Center-Offensive, eine Interessenvertretung für Callcenterbeschäftigte, gemeinsam mit einigen Modalis-Opfern eine Kundgebung vor ihren Türen, um Aufmerksamkeit für den Fall zu bekommen.
Hans-Jürgen Schmolke, ebenfalls Ex-Geschäftsführer versucht sich allerdings zu retten. Sein Unternehmen MetaFacts in der Schlesischen Straße (Kreuzberg) bezeichnet sich im Internet zwar als "europäischen Teil" von Modalis im neuem Gewand. Das heißt aber nicht, dass er sich für die 200.000 DM, die Modalis seinen Ex-Mitarbeitern schuldet, verantwortlich fühlt. "Die Geschichte" ist für ihn "eine Schweinerei" — aber wer daran schuld ist, möchte er nicht sagen. Als ehemaliger Vorstand wolle er sich darüber nicht am Telefon äußern — "ich würde mich eventuell strafbar machen". Für ihn hängen die Probleme von Modalis mit der Krise der "New Economy" zusammen — "man kann das nicht einfach auf Personen beschränken". Er weiß also von nichts, er war nur der Boss.
Von den Modalis-Kunden regt sich auch kaum jemand auf. Achim Froh aus der Marktforschungsabteilung der Allianz-Tochter Hermes AG in Hamburg weiß nur, dass es Nachfolgefirmen geben soll, und hat sogar schon Werbung von MetaFacts erhalten.
Bei Siemens Medizintechnik gab es eine gut formulierte Erklärung. Melanie Schmude von der Pressestelle: "Es ist tragisch, wenn Leute ihr Geld nicht kriegen, aber dazu können wir uns nicht äußern." Auf die Frage, ob Siemens vorhabe, den Nachfolgefirmen Projektverträge zu geben, meinte sie, dass es darauf ankomme, "wie seriös sie sich verhalten".
So ernst kann Siemens das nicht meinen. Klaus König, Ex-Modalis-Chef und Gründer von ConSatis GmbH (dessen Mitarbeiter auch nach den 31.August — seit dem Tag gab es kein Modalis in Berlin mehr — Honorarverträge im Namen von Modalis vergeben hat) hat seinen Ex-Mitarbeitern, er habe Siemens schon als Kunde gewonnen.
MetaFacts sucht unterdessen neue Interviewer und schaltet Anzeigen in Zitty und Tip. Die Zitty-Anzeigenabteilung hat zwar ihr Mitleid bekundet — schließlich hatte das Blatt mal einen links-alternativen Anspruch —, Kleinanzeigen werden aber prinzipiell nicht überprüft. Beim Tip ist es dasselbe: "Um dubiosen Dingen auf die Spur zu kommen, müssten wir zwei neue Leute einstellen."
Die Interviewer wollen sich allerdings nicht mehr mit solchen Kommentaren und leeren Versprechungen zufrieden geben. Sie versuchen vielmehr, in die Offensive zu gehen. Jurastudenten prüfen den Gedanken, die Sache einer Inkassofirma in den USA in Auftrag zu gehen. Gewerkschafter schreiben an die Betriebsräte der Firmen, in dessen Auftrag sie telefoniert haben, um ihr Schicksal unter Kolleginnen und Kollegen bekannt zu machen. Andere setzen auf die Veröffentlichung im Internet. Und als Bill MacElroy, der amerikanische Noch-Geschäftsführer von Modalis, Ende September eine Rede anlässlich eines internationalen Marktforschungskongresses in Rom hielt, wurde er in seinem Hotel von Protestfaxen überschüttet.
Modalis ist seit neuestem wieder telefonisch erreichbar. Auf die Frage, wo sie denn sitze und wer ihren Lohn bezahle, wollte die Mitarbeiterin aber "keine Auskünfte" geben.

Bob Moran (Berlin)

*Name von der Redaktion geändert.

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