Sozialistische Zeitung |
Es wird oft übersehen, dass die Neuordnung der internationalen Ökonomie nicht nur für die Ausweitung der Armut, sondern auch für
einen neuen Kolonialismus verantwortlich ist, der die Unterschiede unter den Frauen vertieft. Deshalb muss er Hauptgegner für alle sein, die für die Befreiung der Frauen
kämpfen.
Denn auch diejenigen die die globalisierte Wirtschaft und die Politik der internationalen Institute à la Weltbank und IWF
kritisieren, begnügen sich oft mit reformistischen Positionen, die zwar die Geschlechterdiskriminierung verdammen, aber die strukturellen Probleme außen vor lassen, die mit der
weltweiten Hegemonie der kapitalistischen Herrschaft verbunden sind.
Viele Feministinnen beklagen z.B. die "ungleiche Belastung", die Strukturanpassungs- oder andere Sparprogramme
den Frauen auferlegen und empfehlen. Sie fordern, dass man die Bedürfnisse der Frauen stärker beachtet oder die "Einbeziehung der Frauen in die
Entwicklungsprogramme" fördert. Selten wird offen gegen diese Programme aufbegehrt oder erkannt, dass Armut und wirtschaftliche Ausbeutung weltweit die Menschen betreffen,
auch Männer.
Andere betrachten dieses Problem unter dem Gesichtspunkt der "Rechte der Persönlichkeit" und hoffen auf
gesetzliche Reform durch Regierungsinitiative.
Eine Sicht, die wiederum versäumt, sich der internationalen Ökonomie und der auf ihr beruhenden Ausbeutung zu
stellen.
Außerdem hat sich der Diskurs über Gewalt gegen Frauen zu einem über Vergewaltigung und
häusliche Gewalt entwickelt. Er orientiert sich gemäß der UN-Richtlinien. Oft wird dabei die der kapitalistischen Akkumulation innewohnende strukturelle Gewalt ignoriert:
die Gewalt der Wirtschaftspolitik, die Millionen von Menschen zum Elend verurteilt. Die Gewalt, die Landvertreibungen begleitet und von der Weltbank im Interessse ihrer
Entwicklungsprojekte betrieben wird. Nicht zu vergessen die Gewalt der Kriege und der Aufstandsbekämpfungsprogramme, die in den 80er und 90er Jahren der Dritten Welt durch den
Kapitalismus aufgezwungen wurden.
Millionen Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika wären nicht derart von der Weltwirtschaft abhängig
geworden, wenn sie nicht durch andauernde Kriege oder "Strukturanpassungen" ihre Subsistenzmittel verloren hätten.
Zweitens erlaubte die Verelendung der Dritten Welt eine internationale Reorganisation des Reproduktionsbereichs, innerhalb
derer dem Süden eine wichtige Aufgabe für die Reproduktion der Arbeitskraft in den Metropolen zugewiesen wird.
Das heißt, zusätzlich zu ihrer Funktion als Produzentinnen von Exportgütern sind die Frauen der Dritten
Welt schon in die globale Wirtschaft "integriert" als Lieferantinnen von Arbeitskräften , die benötigt und "konsumiert" werden in den
industrialisierten Zonen der Welt.
Dadurch dass diese Prozesse neue Einteilungen und Hierarchien unter den Frauen schufen, um die Mechanismen der Ausbeutung zu konsolidieren, entstand in feministischen Kreisen
eine Krise. Es handelt sich um eine Krise, die vorrangig behandelt werden muss, wenn der internationale Feminismus wirklich ein Projekt zur Befreiung der Frauen sein soll, und nicht nur ein
Vehikel zur Festschreibung der "Rationalität" der Weltwirtschaftsordnung.
Um die Folgen der neuen internationalen Arbeitsteilung (NIAT) für die Lage der Frauen zu bewerten, müssen
geklärt werden, was unter diesem Begriff zu verstehen ist. Konventionelle Theorien liefern Teilaspekte der Veränderungen, die sich auf diesem Gebiet abspielen. Im Allgemeinen
versteht man darunter die Neuordnung der Märkte Mitte der 70er Jahre, als die multinationalen Konzerne als Reaktion auf zunehmende Arbeitskämpfe begannen, einen Teil ihrer
Produktionsstätten, vor allem Sektoren mit hoher Arbeitsintensität wie die Textil- und Elektroproduktion in die Entwicklungsländer zu verlagern.
NIAT bedeutet somit die Schaffung von Freihandelszonen. Die Frauenorganisationen, die dort aktiv sind, bezeichnen diese als
eine Form der Slaverei, sowohl bezogen auf die Löhne als auch die Arbeitsbedingungen. Diese Folgen der NIAT für Frauen werden selbst in feministischen Kreisen wenig beachtet.
Die konventionelle Theorie über die NIAT hat praktisch nichts zu sagen zu den mikroskopischen Veränderungen,
welche die Ausbreitung der kapitalistischen Verhältnisse auf dem Gebiet der Reproduktion der Arbeitskraft und der Bedingungen der sozialen Reproduktion in der Dritten Welt hervorruft.
Die Ausbreitung der kapitalistischen Verhältnisse wird damals wie heute hergestellt durch die Trennung der Produzenten
von den Produktionsmitteln.
Das bedeutet, dass die Weltwirtschaft aufgebaut ist auf eine beträchtliche Neustrukturierung der sozialen Reproduktion
und der Klassenbeziehungen in der ganzen Welt. Eine Neustrukturierung, die jegliche nicht marktorientierte wirtschaftliche Aktivität zerstören soll, angefangen mit der
landwirtschaftlichen Subsistenzwirtschaft. Das hat zur Herausbildung eines Proletariats bar aller Reproduktionsmittel geführt, das zum Überleben auf Geldleistungen angewiesen ist,
doch in der Regel keinen Zugang zu einem Einkommen hat.
Das ist die Situation, die durch die Weltbank und den IWF geschaffen wurde, mittels der "Schuldenkrise", den
Strukturanpassungsprogrammen und neoliberaler Wirtschaftspolitik, die zusammengenommen die Basis der neuen Weltwirtschaftsordnung bilden. Nicht zu vergessen die ständigen
Landvertreibungen zugunsten der Kommerzialisierung der Landwirtschaft und der Bodenprivatisierung aufgrund der wachsenden Institutionalisierung eines begrenzten Kriegszustands.
Dass die Industrialisierung der Dritten Welt ein Mythos ist, wird durch die Tatsache bewiesen, dass in den 80er und 90er Jahren
der Transfer von Kapital und Industrie von der Ersten in die Dritte Welt übertroffen wurde vom umgekehrten Transfer von Kapital und Arbeit.
Die erste Konsequenz der Verarmung des Proletariats der Dritten Welt, die durch die Liberalisierung verursacht wurde, war eine
breite Migrationsbewegung vom "Süden" in den "Norden", die dem Kapitalfluss folgte, der durch die Schuldenlast verursacht wurde. Der Umfang dieses
Phänomens wird dadurch verdeutlicht, dass z.B. in Mexiko der Geldtransfer der Emigranten bereits an zweiter Stelle hinter den Erlösen aus dem Erdölgeschäft kommt,
und ganze Dörfer von ihm abhängen.
Für diejenigen, die nicht emigrieren können oder keinen Zugriff auf die Geldsendungen der Emigranten haben,
bleibt ein Leben voller Entbehrungen und Arbeit, das man sich in den "Entwickelten" Ländern nur schwer vorstellen kann.
Der Mangel an Lebensmitteln, Gesundheitsvorsorge, Trinkwasser, Strom, Schulen, Strassen, Krankenhäusern und die
Massenarbeitslosigkeit bestimmen heute den Alltag in großen Teilen der Dritten Welt. Er bedeutet ständige Epidemien, zerrüttete Familien und Straßenkinder, die zu
Sklavenbedingungen arbeiten. Er wird ebenfalls sichtbar in den intensiven Kämpfen, die oft die Form von Aufständen annehmen, durch die sich die Bevölkerung in den
"strukturangepassten Ländern" gegen die Schließung lokaler Industrien, die Preiserhöhungen der Grundversorgung und des Transports und den finanziellen Druck
der Schuldenlast wehrt.
Vor diesem Hintergrund wird man zustimmen müssen, dass jedes feministische Projekt, das sich ausschliesslich auf die
sexuelle Unterdrückung beschränkt, sich zum Komplizen einer zutiefst antifeministischen Politik macht.
Ein wichtiger Aspekt der NIAT ist die internationale Umverteilung im Reproduktionsbereich, die nicht nur gravierende
Unterschiede zwischen den Frauen schafft sondern die inhärenten Hierarchien der geschlechtsbedingten Arbeitsteilung verstärkt.
Falls es stimmt, dass die Überweisungen der Emigranten den wichtigsten Geldfluss nach den Erdölerlösen bilden, folgt daraus, dass das wichtigste Exportgut der
Dritten in die Erste Welt die Arbeit ist.
Anders gesagt ist die kapitalistische Akkumulation in der aktuellen Phase des Kapitalismus eine Akkumulation von
Arbeitskräften und diese findet vor allem in der Dritten Welt statt. Dies bedeutet, dass ein bedeutender Teil der Reproduktionsarbeit, die zur Herstellung der Arbeitskraft in den
Metropolen notwendig ist, von den Frauen in der Dritten Welt realisiert wird. Eigentlich verbirgt sich hinter der Emigration ein großes "Geschenk" an Hausarbeit.
Im Laufe der 80er und 90er tauchten neue Phänomene auf, die eine Absicht aufzeigten, den Aufwand zur Reproduktion
der Arbeitskraft von den Metropolen auf die Schultern der Frauen in der Dritten Welt zu verlagern. Die bedeutendsten sind:
Die Beschäftigung von Emigranten aus Afrika, Asien, der Karibik, Lateinamerika in großem Umfang im
privaten Dienstleistungsbereich, sowohl in den industrialisierten Ländern als auch in den erdölproduzierenden Staaten im Mittleren Osten.
Die Entwicklung eines weitläufigen Babymarktes, der durch die Adoptionen organisiert wird. Gleichzeitig
entstehen Babyfarmen, wo Kinder speziell für den Export aufgezogen werden sowie die zunehmende Beschäftigung von Frauen der Dritten Welt als Leihmütter.
Die massenhafte Zunahme der Sexindustrie und des Sextourismus, die ein internationales Klientel bedient, das von
Touristen bis zu Angestellten japanischer Gesellschaften oder der US-Armee reicht, denen man "Vergnügungsreisen" als Bonus anbietet.
Der Handel "Frauen per Katalog" und der Sexismus und Rassismus europäischer und
nordamerikanischer Männer. Sie wünschen sich eine Frau nur um sie total zu kontrollieren und rechnen mit der Verletzlichkeit der Frauen, die zur dieser Wahl gezwungen sind und
beuten die verzweifelte Frauen aus.
Der Massentourismus der in erster Linie auf der Arbeit der Frauen im Dienstleistungsbereich basiert.
Der antifeministische Charakter der NIAT ist so evident, dass die Frage gestellt werden muss, in welcher Maßnahme die
" unsichtbare Hand" des Marktes oder eines bewußten Planes steckt als Antwort auf die Kämpfe der Frauen der Dritten Welt und der Metropolen gegen die
Diskriminierung, die unbezahlte Arbeit und die "Unterentwicklung" in allen Formen.
In Europa und den USA müssen sich die Feministinnen organisieren gegen die von der NIAT aufgezwungenen
Lösungen und der damit verbundenen Rekolonisierung, die Strukturanpassung, Militärinterventionen, weltweite Machtübernahme der transnationalen Konzerne beinhaltet.
Das ist die Politik, die Kämpfe der indigenen Völker weltweit inspiriert: Kämpfe, die die Rückgabe
der Enteignungen fordern, die Streichung der Schulden, der Strukturanpassung und der Privatisierungen.
Man muss die Funktion, die den NGOs der Metropolen gegenüber den Frauen der Dritten Welt zukommt, als Teil einer neoliberalen Antwort auf die Schwächung der
traditionellen Männerrolle und der Rolle des Staates betrachten.
Da der Staat in den meisten Dritte-Welt-Ländern verpflichtet wurde, den Reproduktionsbereich nicht zu subventionieren,
ist eine neues patriarchales Regime an seine Stelle getreten, das dazu dienen soll, die Frauen der Dritten Welt unter die Kontrolle der Weltbank, des IWF usw zu bringen. Dieses neue Patriarchat
stützt sich auf die Mitarbeit von europäischen und nordamerikanischen Frauen, die als neue Missionarinnen den Frauen in den "Kolonien" beibringen sollen, wie man
sich in die globalisierte Wirtschaft "integriert".
Silvia Federici
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