Sozialistische Zeitung |
Die terroristischen Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon haben die Welt und insbesondere die USA geschockt. Die Auswirkungen
dieser Ereignisse treffen nun vor allem zwei Länder, Afghanistan und Pakistan.
In Afghanistan ist das Elend für die werktätigen Massen noch lange nicht zu Ende, doch die Tage der verhassten
Taliban werden bald gezählt sein. Das gleiche gilt jedoch nicht für Pakistan. Die pakistanischen Massen werden im Zuge des ersten Krieges des 21.Jahrhunderts in vielfältiger
Weise leiden. Aber man kann sich leicht vorstellen, dass die pakistanischen Generäle, die Machthaber des Landes, in ihrem Hauptquartier in Rawalpindi glücklich sind.
Seit der Unabhängigkeit vom britischen Imperialismus 1947 haben die Generäle Pakistan in direkter Form
insgesamt 26 Jahre mittels des Kriegsrechts regiert. Plötzlich haben sich die Dinge zu ihren Gunsten verändert: Am 24.September hat die US-Regierung die Sanktionen gegen
Pakistan aufgehoben, die gegen das Land wegen seines Nuklearprogramms und eines Atomwaffenversuchs im Jahre 1998 verhängt worden waren. Auch Japan und Australien versprachen
mittlerweile, ihre Sanktionen aufzuheben.
US-Außenminister Colin Powell verkündete, dass sich die USA keine Sorgen wegen des Nuklearprogramms
machten und die Stabilität der Musharraf-Regierung "garantierten". Am 26.September ordneten 13 Länder die Schuldenrückzahlung für Pakistan neu
(darunter die USA, die BRD, Frankreich, Australien, Kanada und Großbritannien). Japan bewilligt eine 40-Millionen-Dollar-Hilfe für Pakistan und am 27.September erlässt
der Internationale Währungsfonds (IWF) in einem ungewöhnlichen Schritt ein Drittel der pakistanischen Schulden, worüber bereits lange verhandelt worden war. Der IWF
war bislang mit der Wirtschaftspolitik des Militärs nicht zufrieden.
All dies geschah als Gegenleistung für die pakistanische Unterstützung der "internationalen
Gemeinschaft" in ihrem Kampf gegen den "Terrorismus".
Laut Medienberichten leitete General Musharraf am 16.September eine Marathonsitzung seines Kabinetts, bei der über
die Unterstützung für die USA gegen Osama Bin Laden entschieden wurde. Die bürgerlichen Medien mögen über den Ausgang der Sitzung spekuliert haben,
aber die werktätigen Massen in Pakistan wussten sehr wohl, dass die Regierung Musharraf den USA jede mögliche Unterstützung gewähren würde.
Das Schicksal der herrschenden Klasse Pakistans, deren mächtigster Bestandteil die Armee ist, ist mit dem Imperialismus
verbunden. Von der Suez-Krise 1956 bis zum Golfkrieg 1991 befand sie sich immer in schamloser Weise in Übereinstimmung mit den USA bei der völligen Verachtung des Willens
der Massen.
Die jetzige Militärregierung unter General Musharraf stürzte die demokratisch gewählte zivile Regierung
von Nawaz Sharif am 12.Oktober 1999. Der Militärputsch widerspiegelte die wirtschaftliche und politische Krise, in der sich das verfaulte kapitalistische System in Pakistan befindet.
Pakistans herrschende Klasse war während des Kalten Krieges ein Augapfel der USA. Als einem
vertrauenswürdigem Verbündeten gegen die UdSSR wurde Pakistans korrupter herrschender Klasse großzügige Darlehen von IWF, Weltbank und anderen
gewährt. Dieser Prozess erreichte in den 80er Jahren seinen Höhepunkt, als die USA in Afghanistan engagiert waren. Pakistan erhielt von den USA die drittgrößte
Hilfe, nach Israel und Ägypten.
Doch diese enormen Geldsummen verbesserten in keiner Weise die elenden Lebensbedingungen der Werktätigen. Diese
Darlehen landeten gewöhnlich auf ausländischen Bankkonten der Generäle, Bürokraten und korrupten bürgerlichen Politiker.
Die pakistanische Arbeiterklasse radikalisierte sich zum ersten Mal in den revolutionären 60er Jahren. Das Jahr 1967 sah
in Pakistan eine vorrevolutionäre Situation. Der erste Militärdiktator, Feldmarschall Ayub Khan, wurde zum Rücktritt gezwungen, und 1970 wurden zum ersten Mal
allgemeine Wahlen abgehalten.
Zulfiqar Ali Bhuttos Pakistan Peoples Party (PPP), die den Sozialismus versprach, erhielt die Unterstützung der
Arbeiterklasse. Unter ungeheurem Druck seitens der Arbeitenden führte die PPP-Regierung unter Bhutto eine Landreform durch und verstaatlichte Teile der Industrie und der
Finanzinstitutionen. Bhutto, selber ein feudaler Großgrundbesitzer, war ein bürgerlicher Populist und ein bonapartistischer Führer. Und er erlitt das Schicksal eines solchen.
Nach seiner Wiederwahl im März 1977 besiegelte ein Militärputsch am 5.Juli 1977 sein Schicksal. Zwei Jahre später wurde er hingerichtet.
Die Arbeiterklasse hatte die Reformen unter der Regierung Bhutto nicht vergessen. Sie leistete gegenüber dem
Militärregime von General Zia ul-Haq heldenhaften Widerstand. Zia herrschte bis zum 16.August 1988, als er zusammen mit seinen engsten Vertrauten durch einen Anschlag sein
Flugzeug explodierte starb. Im Dezember desselben Jahres kam die PPP nun geführt von Ali Bhuttos Tochter Benazir durch Wahlen wieder an die Macht.
Die neue Regierung enttäuschte die Massen durch ihre arbeiterfeindliche Politik. Die Partei war stark nach rechts
gegangen. Sie wollte nun eine gehorsame Dienerin von IWF und Weltbank sein. Doch ihre proletarische Basis ließ sie die Tagesordnung des IWF nicht ausführen. Benazir Bhuttos
Regierung wurde 1990 gestürzt. Ihr politischer Gegner Nawaz Sharif, ein korrupter bürgerlicher Politiker, kam nach einer manipulierten Wahl an die Macht.
Im letzten Jahrzehnt entfaltete sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR ein neues Szenario. Pakistan wurde nun nicht mehr
als Stützpunkt gegen die Sowjetunion benötigt. Es war nun Zeit, die Schulden zurückzuzahlen.
Pakistans Ökonomie basiert auf der Landwirtschaft. Doch diese wurde vom Feudalsystem beherrscht. Die industrielle
Grundlage ist sehr schwach. Eine Schuldenrückzahlung ist nur mit vom IWF diktierten "Wirtschaftsreformen" zu haben, d.h. durch zunehmende Besteuerung, Privatisierung
und Massenentlassung von öffentlichen Angestellten sowie durch ein Ende der staatlichen Subventionen.
Die zivilen Regierungen von Benazir Bhutto und Nawaz Sharif scheiterten bei der Durchsetzung dieser
"Wirtschaftsreformen" in Geist und Buchstaben. Doch auch die Reformen, die sie durchsetzen konnten, brachten Elend, Armut, Arbeitslosigkeit und einen für die
Arbeiterklasse sinkenden Lebensstandard. In den letzten 20 Jahren hat sich die Armut in Pakistan verdoppelt. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen sank von 1990 bis heute von 460
Dollar auf 340 Dollar.
Neben den oben genannten Wirtschaftsreformen hatte der IWF den zivilen Regierungen noch eine weitere Aufgabe gestellt,
nämlich die Senkung des Militärhaushalts. 40% des jährlichen pakistanischen Finanzhaushalts gehen an die Armee. (Weitere 40% werden für die
Schuldenrückzahlung, d.h. für die Zinsen auf die von IWF, Weltbank und anderen Institutionen gewährten Darlehen, aufgewendet. Laut einer Schätzung zahlt Pakistan
12 Dollar Zinsen für jeden geliehenen Dollar.) Die Rechtfertigung für diesen riesigen Posten ist die "Feindschaft" zu Indien. Kashmir ist das Symbol dieser Feindschaft.
Die herrschenden Klassen in Pakistan und Indien wollen diese "Feindschaft" pflegen, denn sie hilft ihnen diesen großen Militärhaushalt zu rechtfertigen.
Beide Länder bemühten sich jedoch 1998, gezwungen durch die regionale Agenda des IWF, normale Beziehungen
herzustellen. Die pakistanische Armee, die dies fürchtete, begann einen Krieg in Kashmir ohne die Zustimmung der Regierung, ja sogar ohne sie zu informieren. Dieser Widerspruch
führte zum Militärputsch vom 12.Oktober 1999.
Die von den demokratischen Regierungen enttäuschten Massen entwickelten Illusionen in die Militärregierung.
Diese befand sich von Beginn an in einer schwierigen Situation. Das internationale Szenario war für Militärdiktaturen nicht sehr förderlich. Die USA konnten
Militärdiktaturen nicht so offen Unterstützung gewähren, wie sie es in 33 Ländern während des Kalten Krieges getan hatten. Nun, als "Verfechter der
Menschenrechte und der Demokratie", mussten sie nach dem Putsch 528 Restriktionen gegen Pakistan verhängen. Bereits nach den Atomwaffentests 1998 hatten die USA, die EU,
Japan und Australien Sanktionen gegen Pakistan verhängt.
Um an der Macht zu bleiben schloss das Regime ein Abkommen mit dem IWF: Der IWF sollte auf die Kürzung des
Militärhaushalts verzichten, während das Regime die Schulden entsprechend der IWF-Forderung zurückzahlt auf Kosten der Arbeiterklasse durch Besteuerung,
massive Entlassungen usw.
Das Militärregime verfuhr entsprechend: über 100000 Arbeiter wurden entlassen; die Steuern für die
Werktätigen wurden erhöht. Innerhalb weniger Monate wurde das Regime bei den Massen unpopulär.
Die Illusionen sind entschwunden und die demokratische Bewegung beginnt sich wieder aufzurichten. Im August 2001
kündigte Musharraf einen Plan für Wahlen und die Wiederherstellung der Demokratie an. Doch wie aus heiterem Himmel beginnen sich die Dinge nach den Ereignissen vom
11.September für Musharraf günstig zu entwickeln.
Es gibt eine große Ähnlichkeit zwischen 1979 und 2001. 1979 wurde Ali Bhutto hingerichtet. Kein politischer
Führer ist von den pakistanischen Massen je so verehrt worden wie Bhutto. Kein pakistanischer Herrscher war je so verhasst wie General Zia ul-Haq, der die Hinrichtung Bhuttos befohlen
hatte. Als im eigenen Land extrem unpopulär war Zias Regime auch international isoliert.
Die Unpopularität blieb (bis das verhasste Regime 1988 zu Ende ging), aber die internationale Isolierung endete bald, und
zwar dank des Krieges in Afghanistan. Die Sowjetarmee marschierte in Afghanistan ein, um die entstehende afghanische Revolution zu verteidigen. Eine brutale Regierung war nun notwendig,
damit Pakistan zu einem Basislager für das Engagement des CIA gegen die Sowjetarmee in Afghanistan werden konnte. Pakistan erhielt die meiste US-Hilfe nach Israel und
Ägypten.
Ob Musharraf wie sein Vorläufer Zia ul-Haq zehn Jahre an der Macht bleiben wird, hängt von einer Reihe von
Faktoren ab. Das Schicksal Musharrafs wie das der Taliban hängt von der US-Invasion ab. Für die Taliban ist die wichtigste Frage, wann die Invasion begint, für Musharraf ist
entscheidend, wie lange sie dauert.
Die USA möchten während des Afghanistankriegs eine nicht gewählte, diktatorische Regierung in Pakistan.
Die Forderung nach Wiederherstellung der Demokratie wird nicht mehr vorgebracht werden. Musharraf seinerseits wird die Situation ausnützen und die demokratischen Rechte weiter
vergewaltigen. Schlimmer noch, das verhasste Militärregime wird unter dem Vorwand der "nationalen Krise" die Arbeiterklasse aller ihrer gewerkschaftlichen und
demokratischen Rechte berauben, wenn sie das Programm des IWF durchführt und die Arbeiterklasse versucht, dagegen Widerstand zu leisten.
Musharraf wird für seine "Unterstützung" der "internationalen Gemeinschaft" gegen den
Terrorismus sicher Zeit gewinnen. Doch die wirtschaftliche und politische Krise, mit der das Regime konfrontiert ist, kann nicht durch die jüngste
"Großzügigkeit" der USA und der anderen imperialistischen Länder überwunden werden. Sie ist zu schwer, um durch ein paar Millionen Dollar
gelöst zu werden. Und die Dollars des IWF haben noch nie einem Land der Dritten Welt Wohlstand gebracht. Stattdessen wird die vom Militärregime geplante Durchführung
der vom IWF diktierten "Wirtschaftsreformen" mehr Elend für die Arbeiterklasse bringen. Gleichzeitig könnte in naher Zukunft eine demokratische Bewegung um
demokratische wie wirtschaftliche Losungen entstehen.
General Musharraf hatte vor dem 11.September in einer Ansprache an die Nation zugegeben, die Taliban zu unterstützen.
Als treue Diener des US-Imperialismus haben die herrschenden Kreise Pakistans nun ihre Politik gegenüber den Taliban geändert. Als Folge dieser veränderten Politik wird
das Musharraf-Regime auch in Konflikt mit den einheimischen fundamentalistischen Kreisen geraten.
Bisher waren diese, besonders in Kashmir aktiven, Gruppen weitgehend vom Militär kontrolliert worden. Aber unter den
neuen Umständen könnten die mit den Taliban eng verbundenen Gruppen der Kontrolle des Militärs entgleiten. Dies wird zu einer erneuten Welle des Terrorismus in
Pakistan führen. Und einmal mehr wird die Arbeiterklasse zum Hauptopfer des Terrorismus werden, in den USA ebenso wie in Pakistan.
Farooq Sulehria
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