Sozialistische Zeitung |
Hinter Emily liegt ein Bewegtes Leben. Schon als Gymnasiastin trat sie dem Kommunistischen Jugendverband bei. Bei den Demonstrationen beim Brand des
Wiener Justizpalasts am 15.Juli 1927 lernte sie ihren späteren Mann Roman, damals Mitarbeiter des Marx-Engels-Instituts in Moskau unter der Leitung von David Rjasanow kennen. Die
beiden arbeiteten in der Zelle im 9.Wiener Bezirk zusammen, wo der die trotzkistische Linie verfechtende Roman, Brandlerianer und linientreue Stalinisten nächtelang miteinander
stritten.
Nach dem 12.Februar 1934 wurde Emily sechs Wochen unter der Beschuldigung, für die Rote Hilfe "illegal"
tätig gewesen zu sein, inhaftiert. Wieder in Freiheit arbeitete sie weiter im Untergrund und gründete mit dem späteren SPÖ-Justizminister Christian Broda, dem
nachmaligen Universitätsprofessor Karl R. Stadler und anderen die stalinismuskritische marxistische Zeitschrift "Ziel und Weg".
Roman Rosdolsky musste nach den Februarkämpfen vor der österreichischen Polizei nach Lemberg fliehen. Dort
besuchte ihn im Herbst 1938 Emily die beiden wurden ein Paar. Als nach dem Hitler-Stalin-Pakt die Nazi-Truppen in Lemberg einmarschierten, flohen die beiden nach Krakau. Die von
den Deutschen besetzte Stadt schien den Rosdolskys zunächst sicherer zu sein. Doch im Herbst 1942 schlug die Gestapo zu. Die hochschwangere Emily wurde vermutlich dank
eines antinazistischen Gestapo-Manns nach einiger Zeit freigelassen und blieb während der Kriegsjahre, ständig von Inhaftierung bedroht, in Wien.
Wenige Monate nach der Geburt ihres Sohnes im Januar 1943 wurde ihr Mann nach Auschwitz deportiert. Als Roman dort von
der Roten Armee befreit wurde, wusste er nicht einmal, ob Gattin und Sohn noch lebten. Als sich die Familie in Oberösterreich wiedertraf, nahmen sie in Linz, in der amerikanischen Zone,
Arbeit an. Emily war in der Arbeiterkammer tätig, Roman unterrichtete an der Gewerkschaftsschule.
Als ein trotzkistischer Freund 1947 an der Zonengrenze von den Russen gekidnappt wurde, flüchtete die Familie ins
vierte Exil. In den USA der McCarthy-Ära fand Roman keine Beschäftigung und wirkte als Privatgelehrter.* Emily nahm an der nordamerikanischen Arbeiterbewegung teil. 23 Jahre
war sie als Wirtschaftsexpertin für die Forschungsabteilung der Automobilarbeitergewerkschaft in Detroit tätig, bis sie 1971 Roman war 1967 gestorben wieder nach
Wien zurückkehrte. Hier betätigte sie sich noch als ehrenamtliche Mitarbeiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands.
Wenn ich an Emily zurückdenke, fällt mir sofort eine von ihr gern zum Besten gegebene Anekdote aus den
Anfängen der Arbeiterbewegung ein:
"Durch die Sozialistengesetze in die Illegalität gedrängt saßen drei anarchistische Verschwörer
in einem Caféhaus der Reichs- und Residenzstadt Wien, um zu besprechen, wie die k. und k. Monarchie durch Nitroglyzerin verbessert werden könne. Als der erste von ihnen den
Zirkel verlassen hatte, meinte einer der Zurückgebliebenen sofort: Jetzt ist der Polizeispitzel endlich gegangen! Befragt, warum er auf diesen schrecklichen Verdacht
käme, antwortete er: So herablassend, wie er die Kellnerin behandelt hat das muss einfach ein Wams sein!"
Für Emily bedeutete links zu sein mehr als ein intellektuelles Verstehen und Akzeptieren von marxistischen
Lehrgebäuden. Für sie musste eine solche Überzeugung immer im alltäglichen Leben hier und jetzt spürbar sein. Dogmen jeder Art misstraute sie, auch solchen,
die manche Anhänger Leo Trotzkis predigen. Das hinderte sie aber keineswegs, sich den Ideen der IV.Internationale kritisch verbunden zu fühlen.
Auch als ihr die Teilnahme am politischen Geschehen in den letzten Lebensjahren nicht mehr möglich war, blieb Emily
eine aufmerksame Beobachterin. "Was gibt es politisch Neues?", war stets eine ihrer ersten Fragen. Traurig nahm sie zur Kenntnis, dass die Realisierung der Idee einer solidarischen
Gesellschaft, die sie sich seit ihren Jugendtagen erträumt hatte, in immer fernere Zukunft entschwand. Lösungen hatte sie keine anzubieten, nur die permanente Mahnung, neuen
Fragen nicht mit alten Antworten zu begegnen…
Fritz Keller
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