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Die Friedens- und Konfliktforscher gruppieren sich heute mehr oder weniger um zwei Pole: Die ernsthaften unter ihnen stoßen bei der Ursachenforschung
auf einen "Nährboden des Terrorismus", den sie auch und vor allem in den weltweiten Verwerfungen der kapitalistischen Globalisierung sehen.
Die anderen, meist aus regierungsnahen Instituten, betonen kulturelle, religiöse oder ethnische Aspekte und lehnen
mit dem Hinweis, bei Osama Bin Laden handele es sich nicht um einen Vertreter der weltweiten Armutsbevölkerung jeden Zusammenhang zwischen globalem
Kapitalismus, Terror und Krieg ab.
"Die Koalition gegen den Terrorismus muss ergänzt werden durch eine Koalition für Entwicklung, wobei die
Union eine führende Rolle als Initiatorin spielen muss", gesteht sogar die EU-Kommission in einer Stellungnahme zur "Reaktion auf die Ereignisse vom 11.September und
Einschätzung ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen" ein.
Klarer könnte der vermittelte Zusammenhang nicht hergestellt werden. Doch ist diese Einsicht weniger einem globalen
Gerechtigkeitsgedanken geschuldet, auf den gerade bei der EU auch einige Friedensforscher setzen, sondern eher dem Erhalt der "Anti-Terror-Koalition". Deshalb erscheint der
Kommission auch besonders wichtig, die "Rahmenbedingungen für unseren Handel und die Zusammenarbeit mit Pakistan, Indien und Iran sowie mit Saudi-Arabien und den
Golfstaaten zu verbessern".
Vor allem im Hinblick auf die 4.Ministertagung der Welthandelsorganisation (WTO) ab dem 9.November in Qatar haben die
USA und die EU ihre Messlatten sehr hoch gehängt. Ihr Gelingen wird zu einem Erfolgssymbol der bestehenden Weltordnung.
Dafür sind sie bereit, einiges in Kauf zu nehmen. Ende Oktober verunsicherten besonders Nachrichten der CIA die US-
Delegation: Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die nationalen Sicherheitskräfte in Katar von Bin Ladens Al-Quaida unterwandert seien, meldete der Geheimdienst und
spricht von einem erheblichen "Risiko". Obwohl der US-amerikanische Handelsbeauftragte Robert Zoellick daraufhin mit seiner Delegation lieber in Singapur getagt hätte,
muss er mit seinem Gefolge nun doch nach Doha, in die Hauptstadt von Qatar, fahren.
Denn sowohl George Bush als auch sein Vize Dick Cheney, die selber nicht in den Kleinstaat am persischen Golf reisen werden,
befürchten, dass eine Absage der Ministertagung Qatar und andere Staaten des Mittleren Ostens, deren Bedeutung in der "Anti-Terror-Koalition" nicht zu unterschätzen
sei, brüskieren könnte.
Glaubt man der westlichen Wirtschaftspresse, sind zumindest die Differenzen in der WTO zwischen den Entwicklungs- und
Schwellenländern einerseits und der sog. Quad-Gruppe (USA, EU, Kanada und Japan) andererseits weitgehend ausgeräumt. Vordergründig scheint in dieser Hinsicht der
11.September zu einer neuen Einigkeit zu führen.
Vor dem Europaparlament sagte EU-Handelskommissar Pascal Lamy am 24.Oktober, dass eine "ordentliche Handelsliberalisierung, mit Berücksichtigung für die
Integration von Entwicklungsländern und kombiniert mit Umwelt- und Sozialklauseln" nach dem 11.September eine noch größere Bedeutung bekommen habe.
"Wir sind heute allgemein in einer besseren Position als vor der dritten Ministerrunde in Seattle vor zwei Jahren", so Lamy, "die Vorbereitungen laufen in einer sehr
kooperativen Atmosphäre".
Seine Aussagen stehen in einem eklatanten Widerspruch zu denen zahlreicher Vertreter von NGOs und Regierungen der Dritten
Welt. Als "Schlag ins Gesicht der Zivilgesellschaft" bezeichneten mehrere NGOs den zweiten Entwurf für die Doha-Abschlusserklärung, veröffentlicht vom
Sekretariat der WTO am 27.Oktober. Er beinhaltet alle umstrittenen Punkte, die schon im ersten Entwurf kritisiert wurden.
Wettbewerb, Investitionen, öffentliche Aufträge und neue Handelserleichterungen, die allesamt Bestandteile einer
neuen Verhandlungsrunde sein sollen, stießen bereits vor dem dritten Ministertreffen in Seattle bei zivilgesellschaftlichen Kräften und Entwicklungsländern auf Ablehnung.
Sie fordern hingegen eine rückblickende Bewertung und Analyse der weitgehenden Bestimmungen des ursprünglichen WTO-Vertrags (Uruguay-Runde), mit zumeist negativen
Auswirkungen für die Bevölkerung in den Ländern der Peripherie.
Der Ärger vieler Entwicklungsländer war einer der Hauptgründe, warum das Ministertreffen in Seattle
scheiterte. "Es scheint, als hätte sich seitdem nicht geändert ungeachtet aller Versprechen, die gemacht wurden", erklären mehrere NGOs aus dem
globalisierungskritischen Spektrum.
Ein "kleines Ministertreffen", dass Mitte Oktober in Singapur stattfand, sei nicht anderes als die schon in Seattle
verfemten Hintertürgespräche gewesen, "mit einer handvoll Regierungen, die über das Wie, Wann und Wohin der WTO-Agenda entschieden haben".
Nur 21 Regierungen der insgesamt 142 Mitgliedstaaten waren Mitte nach Singapur eingeladen worden, um den Textentwurf
für Doha zu erarbeiten. Andere wollten sich beteiligen, sind aber vom WTO-Sekretaritat mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt worden. Führende WTO-Vertreter
haben das Treffen und seine Ergebnisse verteidigt, obwohl sich die Vertreter von Tanzania und Jamaika, die in Singapur teilnehmen durften, gegen eine neue Verhandlungsrunde ausgesprochen
hatten.
"Der neue Textentwurf bietet nichts für Entwicklung, Gleichheit, die Umwelt oder Nachhaltigkeit", so Ronnie Hall von der internationalen NGO "Friends of
the Earth". Fünfzig Entwicklungsländer hatten sich zuvor dafür ausgesprochen, dass keine Regelung zu den geistigen Eigentumsrechten (TRIPS) die
Gesundheitsversorgung in ihren Ländern beeinträchtigen sollte.
Mehr als die Hälfte der WTO-Mitgliedstaaten lehnt eine Erweiterung der Zuständigkeiten auf den Bereich der
Investitionen ab. Kuba, die Dominikanische Republik, El Salvador, Honduras, Kenya, Nikaragua, Pakistan, der Senegal, Sri Lanka, Uganda und Zimbabwe wollten für den Agrarsektor eine
"Development Box" einrichten.
Demnach sollten sich Entwicklungsländer nach wie vor restriktivere Einfuhrbestimmungen und Unterstützung des
Binnenmarkts leisten können, um ihre Ureinwohner und die Kleinbauern vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen.
Diese Forderung hätten "die mächtigen Staaten zwar höflich zur Kenntnis genommen, aber
anschließend ignoriert", so Aileen Kwa, eine Genfer Mitarbeiterin der in Thailand ansässigen NGO "Focus on the Global South".
Der Text erkennt auch nicht das Recht einzelner Länder an, den Handel mit Dienstleistungen zu regeln, wenn dieser
Auswirkungen auf die öffentliche Versorgung oder die Umwelt haben könnte. Hinter dem Handel mit Dienstleistungen, der Banken, Finanzwesen, Verkehr, Energie- und
Wasserversorgung umfasst, stehen sehr mächtige Interessenorganisationen, die allein für den Dienstleistungsbereich des weltweiten Gesundheits- und Erziehungssektors von einem
Wertvolumen von 5,5 Billionen US-Dollar ausgehen.
Statt Ausnahmeregeln für die wirtschaftlich schwachen Länder zu berücksichtigen, sollen die Verhandlungen
in allen Bereichen gleichermaßen für alle Mitglieder verbindlich sein. Außderdem sollen alle Vorgaben des Textentwurfs einem gemeinsamen und verbindlichen Zeitrahmen
unterworfen werden.
Mit einer Ausnahme: Entgegen langjähriger Forderungen gibt es keine ausdrückliche Verpflichtung für die
entwickelten Länder, ihre Exportsubventionen und landwirtschaftlichen Billigproduktionen einzustellen. Lediglich von einer "Reduzierung" bzw. "Auslaufen" der
Exportsubventionen ist die Rede, ohne einen konkreten Zeitpunkt zu nennen.
"Im Entwurf wird behauptet, dass die Vorzüge der Handelsliberalisierung gemäß der Uruguay-
Abkommen erfüllt und zu gleichen Teilen auf alle Mitglieder gefallen sind, ohne negative Auswirkungen auf die Armen, ihre Gemeinden, die Umwelt und die Fähigkeit der
Entwicklungsländer, für ihre Bevölkerung zu sorgen", empört sich Ronnie Hall.
Viele Regierungen von Entwicklungsländern betrachteten den Text mit "Ungläubigkeit und
Enttäuschung", berichtet Hall. Ton und Inhalt des Entwurf ließen einen Konsens vermuten, der so gar nicht existiere.
Dieser Text folgte auf einen ersten Entwurf im September, der von den Entwicklungsländern ebenfalls weit
zurückgewiesen wurde. Zwischenzeitlich gab es zahlreiche formelle und informelle Treffen der WTO, auf denen die Entwicklungsländer ihre Kritik und Forderungen deutlich
vorgetragen haben.
"Die Ministerrunde in Doha könnte ein "weiteres Seattle bedeuten: die glatte Zurückweisung eines
nichtigen Textes", so eine Erklärung der "Friends of the Earth".
Ein erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen ist unter diesen Bedingungen kaum anzunehmen. Doch verfügt die Quad-Gruppe über massive Druckmittel: Auf bilateraler
Ebene kann sie Entwicklungshilfe und Handelsabkommen, die außerhalb der WTO existieren, in Frage stellen, wenn die Handelsbeauftragten des jeweiligen Entwicklungslandes sich nicht
"angemessen benehmen", erklärt Shalmali Guttal, Mitarbeitervon "Focus on the Global South".
Zudem gebe es auch noch das Druckmittel des "Terrorismus". Guttal macht dies auch an der Wortwahl zahlreicher
politischer Erklärungen des vergangenen Monats fest.
Vor dem 11.September hieß es mit Blick auf eine erweiterte Verhandlungsrunde, dass "Handel gut für die
Armen ist". Nun sei der "Handel gut gegen den Terror". Zoellick, Handelsbeauftragter der US-Regierung, nannte schon bald nach dem 11.September Handelsvereinbarungen
als zentrales Element der offensiven Gegenstrategie, der auch die übrigen G8-Staaten und die UNO folgten.
Mit diesem Druckmittel, so Guttal, soll die "legitime und gut fundierte Opposition gegen eine neue
Verhandlungsrunde" auf dem Ministertreffen in Doha zum Einlenken gezwungen werden. Die Drohungen reichten von wirtschaftlicher Isolation und Sanktionen bis hin zu Versprechen an
Staaten, die mit Schuldenerlass, neuen Krediten des Internationalen Währungsfonds (IWF), höherer Entwicklungshilfe und Handelsvorteilen gekauft werden. "Die WTO, der
IWF und die Weltbank sind nun explizit und offiziell Teil der US- und G8-Offensive gegen schattenhafte und auswechselbare Feinde. Das ist nicht die Arbeit der Demokratie, sondern die des
Imperiums", konstatiert Guttal.
Gerhard Klas
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