Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.23 vom 08.11.2001, Seite 11

Biowaffen

Waffen der Großmächte

Biologische und chemische Kriegführung sind keine Erfindung von "Terroristen". Im Ersten Weltkrieg setzte die deutsche Armee Nervengas ein, das zu einem furchtbaren Todeskampf Hunderttausender Soldaten führte. Auch das "Golfkriegssyndrom" könnte seine Ursache darin haben, dass mit bakteriologischer Kriegführung experimentiert wurde.
Der Einsatz sog. Biowaffen, also die gezielte Verbreitung von Viren oder Bakterien, hat mehrere Auswirkungen. Es ermöglicht nicht nur, dass unter Umständen Tausende Menschen getötet werden, sondern belastet auch die Infrastruktur, weil Spitäler und medizinisches Personal, technische Einrichtungen und Medikamente in großen Mengen gebraucht werden. Darüberhinaus können auch wirtschaftliche Destabilisierung und Hungersnöte Ziel des Einsatzes biologischer Kampfstoffe sein. Vielleicht sind Verunsicherung und Panik, die durch massenhafte Erkrankung oder Todesfälle ausgelöst werden, die entscheidendsten Auswirkungen.
Biowaffen wurden in Europa erstmals von den Osmanen eingesetzt, die im 16.Jahrhundert Pesttote über die Mauern belagerter Städte warfen, um die Pest auch unter den Belagerten zu verbreiten. Schließlich war es (zumindest) England, das in kolonialen Eroberungsfeldzügen mit Pockenviren versuchtes "humanitäres Material" wie z.B. Decken unter die Bevölkerung Indiens brachte. Im Ersten Weltkrieg setzte Deutschland Giftgas ein.
Erst im Januar 2001 bestätigten Zeugen vor einem chinesischen Gericht, dass Japan im Zweiten Weltkrieg mit Pest infizierte Flöhe über mehreren Regionen Chinas abgeworfen hat, 1940 starben in der Folge in Ningho mehr als 100 Menschen an der Pest. Die "Einheit 731" der japanischen Armee operierte mit biologischen Waffen, die nach Ansicht Chinas 2100 Menschenleben forderten. In den später 70er und frühen 80er Jahren tauchten immer wieder Gerüchte auf, dass die USA die kubanische Bevölkerung mit Denguefieber-Erregern angegriffen hätten.
Aber auch die Sowjetunion experimentierte mit chemischen und biologischen Kampfstoffen. Die Folgen bedrohen noch heute die Bewohner vor allem Usbekistans und Kasachstans. 1988 wurden nämlich die Vorräte an Milzbranderregern (Anthrax) aus dem Biowaffenlabor in Swerdlowsk auf die Insel Woschrodenje verfrachtet, nachdem eine Milzbrandepidemie in Swerdlowsk 68 Menschenleben forderte und die Bewohner der Stadt gegen die Biowaffenfabrik aufgebracht hatte. Die Anthraxbakterien lagern noch heute auf der Insel im Aralsee, machen den russischen, usbekischen und kasachischen Politiker aber zunehmend Sorgen, weil der Aralsee langsam austrocknet und so der Zugang zur Insel Woschrodenje bald leicht möglich sein könnte.
Saddam Hussein ließ im Nordirak Tausende Kurden mit Giftgas ermorden. Im Zweiten Golfkrieg ab 1991 beschuldigten die USA den Irak, bakteriologische und chemische Kampfstoffe hergestellt und gelagert zu haben. Aber auch die Anschuldigung, die USA hätten im Krieg gegen den Irak biologischen Waffen eingesetzt, wurde nie widerlegt. Durch die militärische Zensur der Medien ist bis heute nicht bekannt, was hinter dem "Golfkriegssyndrom" steckt, an dem Hunderte US-Soldaten erkrankt sind. Experten halten den Einsatz biologischer Kampfstoffe durch die US-Armee für ebenso möglich wie Spätfolgen einer Impfung der US-Soldaten gegen bakteriologische Kampfstoffe. Ärzte, die in den vergangenen Jahren den Irak besuchten, berichteten jedenfalls von zahlreichen Erkrankungen und Missbildungen, die sowohl auf den Einsatz atomarer wie auch biologischer Waffen hindeuten.

Pocken und Milzbrand
Biologische Kampfstoffe sind hochinfektiös und haben stark krankmachende Wirkung auf die Betroffenen, müssen aber nicht tödlich sein. Sie können als Aerosol oder Pulver verbreitet werden, die Verbreitung im Freien ist vor allem von metereologischen Gegebenheiten abhängig. Sie können aber auch durch Verseuchung von Nahrungsmitteln, Kleidung und Gegenständen verbreitet werden.
Die beiden gefährlichsten biologischen Kampfstoffe sind das Pockenvirus und der Milzbranderreger Anthrax. Daneben gibt es noch eine Reihe anderer, wie z.B. Pest, Melioidose oder durch Viren verursachte Fiederkrankheiten, die das Blut verändern. Das Pockenvirus ist deshalb so gefährlich, weil die Pocken hochgradig ansteckend und die Viren äußerst stabil sind. Da die Pocken als "ausgerottet" gelten, sind die wenigsten Menschen dagegen geschützt und nur die wenigsten Staaten — darunter die USA — verfügen über den Impfstoff.
Sporen des Milzbranderregers werden entweder über die Haut, die Atmung oder die Speiseröhre aufgenommen. Anthrax kann durch Kontakt mit infizierten Tieren übertragen werden — selbst beim "barfüßigen Spaziergang auf einer Kuhweide", wie es ein Bakteriologe bei einem Vortrag in einem Wiener Krankenhaus ausdrückte.
Der Zugang zu und die Möglichkeiten zur Herstellung von biologischen Waffen ist unter Experten umstritten. Im Jahrbuch 2001/2002 Infektiologie. Aktuelle Aspekte (Springer Verlag) wird der Kostenfaktor betont, mit dem auch in den Medien die Biowaffe zur "Atombombe des kleinen Mannes" gemacht würde. Jessica Stern, Expertin für Massenvernichtungswaffen am Massachusetts Institute of Technology (MIT), weist dagegen auf die "komplexen Fachkenntnisse aus mehreren Wissenschaftsdisziplinen" hin: "Zur Herstellung von Biowaffen ist eine Fachkompetenz nötig, die nur sehr wenige Experten haben." (Interview in 3sat, 17.10.)

Die Biobombe — made in USA

Eigentlich hätten die USA in den vergangenen 30 Jahren nie mit Biowaffen in Verbindung gebracht werden dürfen. Denn auf ihr Betreiben wurde 1972 die Biowaffen-Konvention von 143 Staaten unterzeichnet. Der Vertrag verbietet die Entwicklung und Verbreitung von Waffen, die Krankheiten wie Milzbrand oder Pest verursachen. EAs ist den Unterzeichnerstaaten aber gestattet, an Schutz- und Verteidigungsmaßnahmen zu arbeiten, also auch Impfstoffe zu entwickeln.
Mit diesem Argument hielten die USA auch an der Produktion von Biowaffen fest: sie würden sie nur entwickeln, um mit Impfstoffen zu operieren, verlautete aus dem Weißen Haus. Hingewiesen auf die Biowaffen-Konvention argumentierten die USA stets damit, jeder der Unterzeichnerstaaten hätte die Labors besichtigen können, was allerdings bei der strengen Geheimhaltung der Produktionsstätten schlicht unmöglich ist.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO verlangte 1998 die systematische Vernichtung von Pockenviren, doch sowohl Russland als auch die USA bestanden darauf, Pockenviren in ihren Labors weiter zu züchten. David Heymann, WHO-Direktor der Abteilung Infektionskrankheiten, betonte 1999 die Gefahr, die von den Labors ausgeht: "Das Risiko eines Unfalls in den Laboratorien, der zu einer riesigen Pockenepidemie führen könnte, wird viel größer eingeschätzt als die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus noch für die Entwicklung neuer Impfstoffe gebraucht werden könnte."
Doch die WHO blieb machtlos. Gegen den Willen der USA und Russlands war die Vernichtung der Viren nicht möglich, sie lagern daher weiter in den Labors von Nowosibirsk und Atlanta.
Auch US-Präsident Bush verlängerte drei Biowaffenprogramme, die er von seinem demokratischen Amtsvorgänger Clinton "geerbt" hat: den Bau und Test einer "Biobombe" unter der Leitung der CIA (Projekt "Cear Vision"), den Bau eines Biowaffenlabors in der Wüste von Nevada (Projekt "Bacchus") und die Herstellung eines neuen Bakteriums, das Milzbrand verursacht (Projekt "Jefferson").
Als die Projekte Anfang September 2001 in der US-amerikanischen Öffentlichkeit bekannt wurden, verursachten sie große Aufregung. Kritiker warfen der US-Regierung vor, ähnlich dem Umweltprotokoll von Kyoto bestehende internationale Abkommen vom Tisch zu wischen. Die USA hatten nämlich in den vergangenen Monaten immer wieder Versuche blockiert, die Biowaffen-Konvention auf den neuesten Stand zu bringen und die Beschränkung von Laboratorien oder eine verstärkte Offenlegung in das Abkommen aufzunehmen.
Die US-Biologin Cathryn Nixdorff kommentierte die Haltung der US-Administration zu den Biowaffenversuchen mit folgenden Worten: "Gefährliche Mikroorganisamen herzustellen, ist eine Grenzaktivität. Streng genommen ist sie erlaubt, und man nimmt an, dass die Amerikaner verantwortlich damit umgehen, aber ich bin überzeugt, wenn ein anderes Land diese Versuche unternähme, würden die Amerikaner das als fraglich einstufen." (Standard, 11.9.01)
In den Tagen vor den Anschlägen in New York und Washington machte sich die neue Pentagon-Sprecherin Victoria Clarke Sorgen über ihren ersten öffentlichen Auftritt: Sie hätte vor JournalistInnen Auskunft über die drei bisher geheimgehaltenen Biowaffenprogramme geben sollen. Dazu kam es nicht mehr. In den USA wurden nach den Anschlägen mit entführten Flugzeugen mehrere Fälle von Milzbrand gemeldet, ein Mensch starb bisher daran. Ob die Verbreitung des Erregers Anthrax Terroristen anzulasten oder eine Folge der US-Biowaffenexperimente ist, lässt sich im gegenwärtigen Klima der gleichgeschalteten Propaganda nicht klären. Jedenfalls meldete US-Präsident Bush am 16.Oktober, dass 70 Millionen Dollar zusätzlich für die "Abwehr" von bakteriologischen Waffen bereit gestellt würden.

Boris Jezek

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