Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 22.11.2001, Seite 2

Über 100.000 in Rom gegen den Krieg

Ein besonderer Tag

Editorial von Liberazione

vom 11.11.2001. Liberazione ist die Tageszeitung der Partei der kommunistischen Neugründung (PRC)

Dieser Tag, der 10.November 2001, verdient es, sich dauerhaft in unserer Erinnerung einzuprägen, in die des Herzens und die des Verstandes. Das große Volk des Friedens hat die Straßen Roms mit einem der stattlichsten Demonstrationszüge der Nachkriegszeit gefüllt: ein Strom von jungen Menschen, Frauen und Männern jeder Generation hinter einem ebenso einfachen wie unmissverständlichen Transparent: Nein zum Krieg, Nein zum Terrorismus. Was war dies anderes als das wirkliche Land, jenes, das sich selbst als Subjekt der Politik und die direkte Aktion wiederentdeckt, jenes, das die Institutionen sich weigern zu repräsentieren? Selten war die Distanz zwischen der "Zivilgesellschaft" und der "offiziellen Gesellschaft" so abgrundtief. Gestern in Rom ward die Bewegung links und die Linke von neuem das Volk, im Bewusstsein, in Wahrheit die moralische und politische "Mehrheit" des Landes zu sein. Gerade mal 67 Abgeordnete und Senatoren hatten sich einige Tage zuvor gegen den Eintritt Italiens in Bushs globalen Krieg ausgesprochen — nicht mehr als 6% der gewählten Vertreter. Das Verhältnis zwischen den Institutionen — der formalen Vertretung des Volkswillens — und der Gesellschaft hängt derzeit völlig schief. Jene 6%, ihrer Zahl nach scheinbar so armselig und so marginal in ihrer parlamentarischen Stellung, repräsentieren die Stimmung breitester Massen: Die Bomben auf Afghanistan dienen nicht nur nicht dem Kampf gegen den Terrorismus, sondern sie vergrößern dessen Gefahr übermäßig. Und jene 94% Parlamentarier aus Regierung und Opposition, die zahlenmäßig so dominieren, vertreten in Wirklichkeit eine Minderheit — wie fast alle Regierungen des Westens.
Die Demonstration, die allein vom Roma Social Forum organisiert wurde, konnte sich weder auf machtvolle Strukturen noch auf eine schlagkräftige Organisation stützen — im Gegensatz zur Kundgebung von Forza Italia [sie zählte nach Angaben der Polizei 40000 Teilnehmende], die von der Unterstützung durch die Regierung und der Anwesenheit des Regierungschefs profitieren konnte. Die Medien versuchten, die Antikriegsdemonstration in jeder denkbaren Weise zu boykottieren — u.a. durch ungerechtfertigte Panikmache. Danach taten sie alles, das Ereignis herunterzuspielen: wahrhaft eine Aktion des Regimes, bar jedes politischen Wahrheitsgehalts und jedes Informationsgehalts. Trotzdem hat die Demonstration sogar die Schlacht um die mediale Sichtbarkeit "gewonnen": die Gegenüberstellung der beiden Kundgebungsplätze sprach Bände. Die Wirklichkeit hat sich gegenüber der Rhetorik und dem politischen Spektakel durchgesetzt.
Wir wollen nicht in Triumphalismus verfallen: eine Demonstration, auch eine große, ist eine Demonstration und noch kein organisiertes politisches Subjekt. Aber diese Demonstration enthielt eben eine neue Hoffnung: jene einer Bewegung, die mündig wird. Frei vom Komplex, Minderheit zu sein, frei, tagtäglich eine andere Zukunft zu entwerfen.

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