Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 22.11.2001, Seite 6

Beschleunigte Arbeitsplatzvernichtung in allen Branchen

Während der kriegerischen Ereignisse und der vorgeschobenen Wichtigkeit der parlamentarischen Entwicklungen geraten die Vorfälle in der Wirtschaft an den Rand des Interesses. Dabei ist die drohende Entwicklung der Arbeitslosigkeit eines der ernstesten Probleme der nächsten Zeit und wirft schon jetzt einen schweren Schatten auf die soziale und politische Entwicklung.
Es begann schon mit dem Abschwung in der sog. "neuen Ökonomie" seit dem letzten Jahr. Ob infolge oder als Ursache der Börsenkrise: während der Nemax-Index von seinen Höchstwerten im März 2000 auf fast ein Fünftel fiel, brachen reihenweise Firmen des neuen Marktes zusammen, die Bereicherung einiger weniger endete im Debakel vieler.
Seit Monaten geht die Zahl der Stellenanzeigen für die "Zukunftsindustrie", die Computer- und Internetfirmen, Telekommunikation und Medien zurück. Siemens und Nokia — die bekanntesten Handy-Hersteller hierzulande — haben Einstellungsstopp, Eriksson wankt. Alcatel entlässt ebenfalls Tausende von Beschäftigten. Viele Firmen, deren Aktien nur noch in Cent lauten, werden aus dem Nemax gekippt.
Die Telekommunikationsfirmen müssen ihre Investitionen in das UMTS-Netz verdienen, es ist aber noch gar nicht abzusehen, wann hier Geräte und Nachfrage nach Diensten den hohen Erwartungen entsprechen. So ist auch der Kurs der Telekom-Aktie eingebrochen, und einige Aktionäre beklagten sich vor Monaten passend zur Rentenreform, dass "Herr Sommer die Alterssicherung an der Börse verjubelt" hätte.
Die Krise ist aber nicht nur auf diese Branchen beschränkt.
Jeden Tag stehen neue Zahlen in der Zeitung über die Vernichtung von Arbeitsplätzen. In den letzten Wochen kündigten alle Großbanken die Streichung von Tausenden von Stellen an. Bei Commerzbank und Dresdner Bank wurde als Begründung die gescheiterte Fusion herangezogen. Bei der Deutschen Bank die gesunkenen Gewinne.
Bei den Hypothekenbanken gibt es ebenfalls massiven Abbau, der allein für die vier größten Banken über 20.000 Menschen betreffen wird. Dabei werden vor allem Filialen geschlossen oder ohne Personal nur noch als Automaten-Bank geführt. Der "einfache" Geldverkehr soll nur noch automatisch abgewickelt werden, ohne Rücksicht auf die Probleme vor allem für ältere Menschen.
Die Banken wollen sich auf das Anlagegeschäft, das Geschäft mit Firmen und Großkunden und die Kreditvergabe konzentrieren. Die Sparkassen, die an vielen Orten das Massengeschäft betreiben, automatisieren ebenfalls. Die Beschäftigten dort müssen sich auch darauf einstellen, dass die Eingriffe der EU-Kommission und die Infragestellung des öffentlich-rechtlichen Privilegs der Sparkassen zu weiteren Stellenvernichtungen führen kann.
Die Prophezeiung von vor vielen Jahren, dass der Bankensektor die Arbeitsplatzvernichtung der Stahlindustrie vor sich habe, beginnt Wirklichkeit zu werden.
Die Großfusionen der letzten Zeit sollen die sog. Synergieeffekte erbringen. Das gilt insbesondere im Chemie-Bereich, wo die Fusion von Degussa und Hüls nun über 4000 Arbeitsplätze kostet.
Auch Bayer hat erneut die Streichung von Stellen angekündigt, wobei die Übernahme von Aventis noch gar nicht eingerechnet ist. Hier wirken die massiv gestiegenen Gewinne der letzten Jahre natürlich nicht mehr, sondern der Gewinnrückgang in den letzten ein, zwei Quartalen soll als Begründung ebenfalls gelten.
Sogar der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit wagte eine leise Kritik an der Personalpolitik der Unternehmen, und einige Gewerkschaftsvorstände mahnten an, doch erst die Überstunden abzubauen und eventuell Kurzarbeit einzulegen, bevor entlassen würde.
Während in den großen Unternehmen immer wieder betont wurde, dass keine Entlassungen in den Arbeitsmarkt "nötig" seien, sondern die Arbeitsplätze über "natürliche Fluktuation" abgebaut würden, sieht es in der Realität viel bedrohlicher aus. An jedem industriellen Arbeitsplatz hängen weitere in den vor- und nachgelagerten Bereichen, die nicht solche Sicherungen wie die Großbetriebe haben.
Eine weitere Großfusion — die Übernahme des Bahnausrüstungsherstellers Adtranz durch das kanadische Unternehmen Bombardier — führt nun ebenfalls zu Stilllegungen und Arbeitsplatzvernichtung. Kritiker der Fusion hatten diese Folge vorausgeahnt: in diesen Tagen wurde von Bombardier angekündigt, Werke in den neuen Bundesländern zu schließen.
Da auch die Deutsche Bahn in den östlichen Bundesländern Werkstätten schließen will, kommt es zu einem Ausbluten industrieller Reste in Regionen, in denen die Arbeitslosigkeit sowieso schon überproportional hoch ist.
Durch die Ereignisse nach den Attentaten und den Krieg ist es zu massenhaften Krisen in der Luftfahrt gekommen. Die Pleite der schweizerischen Luftfahrtgesellschaft Swissair, gefolgt von der Pleite der belgischen Sabena und der bis jetzt noch abgewendeten Pleite der LTU sind nur der Gipfel.
Viele Flüge werden gestrichen, Reisen werden teurer, die Leute planen ihren Urlaub ohne Flugreise, und Geschäftsreisen wurden gestrichen. Die Lufthansa will die Gehälter und die Arbeitszeit reduzieren, die Piloten der LTU haben von sich aus Gehaltskürzungen angeboten.
Aber es ist mit weiteren Folgen für die Industrie zu rechnen, denn allein die Lufthansa hat ein viertel ihrer Flugzeuge stillgelegt, und die Nachbestellungen werden zurückgehalten. Die Verwirklichung der Airbus-Aufträge ist fraglich.
Aber während die amerikanische Luftfahrtindustrie den größten Rüstungsauftrag bekommen hat, der je für Flugzeuge angekündigt wurde, droht ein Betriebsrat eines deutschen Rüstungskonzerns damit, dass noch 10.000 Arbeitsplätze abgebaut werden müssten, wenn die Entwicklung der Bundeswehr und die Finanzierung von Rüstung nicht verbessert würde.
Die Arbeitslosigkeit sinkt seit Jahresanfang saisonbereinigt nicht mehr, sie ist im Herbst angestiegen. Die politischen Folgen werden schon an die Wand geschrieben: vor allem die Steuereingänge sinken ebenfalls. Die Kapitalertragsteuer, also die Steuer auf Gewinne, soll "gegen Null" gehen! Die Konjunktur- und Steuerschätzungen werden massiv nach unten korrigiert, und das hat mit den Ereignissen des 11.September nicht das Geringste zu tun.
Die Folge sind geringere Beiträge zu den Sozialversicherungen, was zu erhöhten Bundeszuschüssen z.B. zur Bundesanstalt für Arbeit oder zur Rentenversicherung führen wird. Damit ist die Wirkung der bisherigen Steuerreform geplatzt. Angeblich sollten die Steuererleichterungen zu mehr Konsum und Investitionen und damit zur Belebung der Konjunktur führen, das ist ausgeblieben. Die Unternehmer und die CDU fordern weitere Steuererleichterungen für Unternehmen, also ein Vorziehen der Steuerreform um ein Jahr.
Vor allem die Kommunen aber merken den Steuerrückgang aus der Gewerbesteuer. Stilllegungen von Betrieben, Fusionen und Konkurse höhlen die Grundlagen des Steueraufkommens der Gemeinden aus. Im Ruhrgebiet stehen die Ausgaben vieler Städte unter Aufsicht und sie kündigen ebenfalls massiven Personalabbau an. Das wird die Lage auf dem Arbeitsmarkt ebenfalls verschärfen, da auch Ausbildungsplätze immer weniger werden.
Die Regierung Schröder will sich an der Zahl der Arbeitslosen messen lassen — sie hat in sozialdemagogischer Manier schon vorbeugend die Faulpelz-Diskussion mit angezettelt, als sich abzeichnete, dass der Rückgang der ersten Jahre gestoppt war.
Statt die Industrie und Banken an den Pranger zu stellen, werden die Unternehmen weiterhin durch die politischen Maßnahmen begünstigt und die Gewerkschaften im "Bündnis für Arbeit" an die Kette des Wohlverhaltens gelegt. So konnten die Gewinne der vergangenen Jahre, steuerlich begünstigt und befreit, privat eingesackt werden, während nun die Krisenfolgen von den Beschäftigten zu tragen sind. Das "Job-Aqtiv-Gesetz" — gerade vom Bundestag verabschiedet — soll den Arbeitslosen "Beine" machen und sie zu weiteren Anstrengungen sowie zur Übernahme jeder Arbeit verpflichten.
Die Pläne der Kürzung und Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe stehen als Drohung im Raum. Die Rentenversicherungsbeiträge werden nicht sinken, die Krankenversicherungsbeiträge steigen — damit sind weitere Einschnitte in die sozialen Netze, von den Unternehmern seit langem gefordert, auch von dieser Regierung auf die Tagesordnung gesetzt.
Alles dies sollte bei den Protesten gegen den Bundeswehreinsatz, aber auch den Krieg der USA nicht vergessen werden — wer davon profitiert und wer bezahlt.

A.R.

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