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Die Rechnung der EU ist auf dem am 14.November mit einem Tag Verspätung zu Ende gegangenen vierten Ministertreffen der Welthandelsorganisation
voll aufgegangen: verbindliche Umwelt-, Arbeits- und Sozialregeln in der WTO hat EU Handelskommissar Pascal Lamy in Qatar als "Zugeständnis" an die sog.
Entwicklungsländer aufgegeben. Dafür steht in der Abschlusserklärung der 142 Handelsbeauftragten nichts, was die EU zu einem konsequenten Abbau ihrer
Agrarsubventionen zwingen würde.
Kritische Beobachter der europäischen Handelspolitik hatten schon lange vermutet, dass es sich bei Regeln zu Soziales,
Arbeit und Umwelt um reine Verhandlungsmasse handelt, zumal die Unternehmerverbände in Europa schon seit Jahren vehement dagegen steuern.
Die WTO will zahlreichen Konzernen in den kommenden Jahren einen weiteren Wunsch erfüllen: es gibt eine neue
Verhandlungsrunde, die als Gesamtpaket verabschiedet werden soll und nahezu alle Vorhaben enthält, die zuvor von Ländern der Dritten Welt und zahlreichen
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) kritisiert worden waren.
Ab 2003 wird definitiv über ein Abkommen zum Investitionsschutz, zur Wettbewerbspolitik und zu öffentlichen
Ausschreibungen verhandelt, das Multis in den Industrienationen neue Marktzugänge und andere Vorteile bringt. Auch das Dienstleistungsabkommen GATS, bisher von 83
Mitgliedsstaaten der WTO unterzeichnet, soll Bestandteil der neuen Verhandlungsrunde werden. Damit wird die Liberalisierung wichtiger Sektoren weiter voranschreiten: Wasserversorgung,
Bildungs- und Gesundheitssysteme werden künftig Güter sein, die den eigennützigen Gesetzen der Marktwirtschaft unterworfen sind.
Vollmundig hatten Lamy und der Generaldirektor der WTO, Michael Moore, eine "Entwicklungsrunde"
angekündigt. Davon kann keine Rede mehr sein. Der "Deal in Doha zu einer neuen Welthandelsrunde mit den Themen des Nordens ist ein Schlag ins Gesicht vieler
Entwicklungsländer und der Zivilgesellschaft … zudem wurden Umwelt- und Demokratisierungsanliegen weitgehend ignoriert", kommentiert Peter Fuchs von der
Entwicklungsorganisation WEED.
Lediglich beim Abkommen zu den geistigen Eigentumsrechten (TRIPS) gab es kleine Fortschritte. Künftig soll jedes
Land darüber entscheiden können, ob eine Krise des Gesundheitssystems vorliegt. Dies gilt als Grundlage für die Lockerung des Patentschutzes für Arzneimittel, wie
sie zahlreiche afrikanische Länder fordern.
Die WTO will sich zunächst allerdings nur auf Erstellung von Zwangslizenzen beschränken, mit denen die
betroffenen Länder z.B. bei einer AIDS-Epidemie selbst die entsprechenden Medikamente produzieren können. Wie Länder ohne eigene Pharmaindustrie ihre Krise
bewältigen sollen, bleibt bislang ungeklärt. Unter welchen Bedingungen Billigimporte von Generika (Kopien lizensierter Arzneimittel) möglich sind, will die WTO erst im
kommenden Jahr klären.
Jenseits der Regierungsebene fand immerhin eine Annäherung zwischen Nord und Süd statt. Stellvertretend
für Pakistan, Indien, Uganda und Kuba hob der pakistanische Handelsminister auf einer Pressekonferenz in Doha die Aktivitäten der Globalisierungskritiker im Norden als eine
"große und willkommene Hilfe" hervor.
Tatsächlich gab es eine große Schnittmenge an Forderungen: Vor einer Bilanz der bestehenden Abkommen sollte
es keine neue Verhandlungsrunde geben. Und selbst dann sollte nur verhandelt werden, wenn es eine "echte Entwicklungsrunde" werde, insistierte das "Forum Umwelt &
Entwicklung". Dazu hätten langfristige Sonderrechte für Entwicklungsländer in den Bereichen Agrar, Dienstleistungen und geistige Eigentumsrechte, aber auch der
stringente Abbau von Exportsubventionen in den Ländern der Quad-Gruppe (USA, Europa, Japan und Kanada), gehört.
Deutliche Unterschiede zwischen NGO aus dem Norden und Entwicklungsländern gab es jedoch hinsichtlich der
Umwelt- und Sozialstandards. Während die NGO eine stärkere Berücksichtigung in der WTO begrüßt hätten, lehnten die Regierungen der
Entwicklungsländer dies ab. Sie befürchteten, dass solche Regeln zu einem stärkeren Abschotten der lukrativen Märkte der Quad-Gruppe führen könnten.
Auf die vermeintlichen Zugeständnisse beim Ablauf der Ministertagung in Doha 1999 in Seattle lehnten die
meisten Länder eine Verhandlungsrunde ab, nachdem die Quad-Gruppe mit dem WTO-Generalsekretär in verschlossenen Hinterzimmern gekungelt hatte reagierten die
Entwicklungsländer sehr verhalten. Die Auswahl der insgesamt sechs Moderatoren, die in Doha für Transparenz und Effektivität sorgen sollten, sei "vollkommen
intransparent verlaufen", kritisierte Ugandas Handelsminister Edward Rugumayo.
Nur wenige Länder seien einbezogen worden, bemängelt auch Martin Khor, Sprecher des Third World Network,
einer internationalen NGO mit Sitz in Thailand. Die Moderatoren ignorierten die kritischen Fragen einiger Entwicklungsländer. "Offenbar", so Khor, "sind die green-
rooms durch green-men ersetzt worden". Am letzten Tag setze die Tagungsleitung deshalb noch einen siebten "Moderator" ein: Tebelelo Seretse, Botswanas Minister
für Handel, Industrie, Tierwelt und Tourismus.
"Bei der Festlegung der Agenda der neuen Runde haben die Entwicklungsländer kaum etwas zu sagen",
monierte Indiens Handelsminister Murasoli Maran. Schon vor der Ministertagung hatte die indische Regierung offen angekündigt die Konferenz platzen zu lassen, sollten ihre
wesentlichen Kritikpunkte nicht in die Abschlusserklärung einfließen. Damit hatte sie für viele andere Entwicklungs- und Schwellenländer gesprochen.
Dass ihre Handelsvertreter letztendlich dennoch einlenkten, so berichteten mehrere kritische Beobachter, sei in zahlreichen
inoffiziellen Gesprächsrunden von den Delegierten der großen Handelsnationen erwirkt worden, die offensichtlich Druck auf ihre Kollegen aus wirtschaftlich schwächeren
Ländern ausgeübt haben.
Gerhard Klas
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